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ihren Laden und ihr Haus zu einem vorgeschriebenen, sehr niedrigen Preis zu verkaufen. Thiele hatte inzwischen eine ostpreußische Provinzlehrerin geheiratet, für deren Mutter wollte er den Laden. Aber die Witwe Bronnen war störrisch und hartnäckig und lehnte ab. In diesem Haus waren sie und ihr Vater und ihr Vatersvater geboren, hier wollte sie sterben. Dann kam die Geschichte mit der Vertreibung der Juden aus Danzig. Die reichen, oder doch früher wohlhabenden, Danziger Juden erhielten einen Brief, besser gesagt, einen Befehl, der keinen Widerspruch duldete. In diesem wurden sie aufgefordert, unter Zurücklassung ihres ganzen Hab und Guts, nur mit einem Rucksack ausgestattet, auf der Reede einer bestimmten Schifffahrtsgesellschaft zu erscheinen. Unter den Aufgeforderten befand sich auch die Witwe Bronnen. Auch sie erschien zur angegebenen Stunde. Alle wurden auf ein Schiff gebracht, mit dem Bestimmungsort Constanza, dem rumänischen Hafen, von wo sie nach Palästina befördert werden sollten. Kurze Zeit danach erhielt Heinz Thiele, für einen lächerlich geringen Betrag, das Haus der Witwe Bronnen, und er hielt auch bald mit Frau und Schwiegermutter seinen siegreichen Einzug. Aber im eroberten Gebiet begann gleich ein recht komischer und ungleicher Kampf zwischen den Neuankömmlingen und der im Haus verbliebenen schwarzen Katze der Witwe. Er war hauptsächlich deshalb so lächerlich, weil der um so viel schwächere Teil, nämlich die Katze, siegreich blieb. Das Haus hatte so viele Winkel, Erker, Nischen, verborgene Türen, versteckte Wandschränke, daß es unmöglich war, die Katze festzunehmen. Der Schabernack, den sie trieb, wurde bald zum Danziger Tagesgespräch. Einmal stahl sie den ganzen Sonntagsbraten der Familie Thiele, ein anderes Mal zerdepperte sie ein kostbares Glasservice, das als Hochzeitsgeschenk für einen Danziger Naziführer bestellt war. Heinz Thiele schoß sogar einmal in seiner Wutnach ihr, ohne sie aber zu treffen, was zur allgemeinen Belustigung noch beitrug. Es gab aber noch Schlimmeres. Es geschahen im Haus unheimliche Dinge, die unmöglich der Katze zuzuschreiben waren. Gespenster hausten in dem alten Haus. Seufzer, Türengeklapper, ein merkwürdiges Schleichen und flüsternde, schreckliche Verwünschungen erfüllten das Haus. Die Schwiegermutter schwor sogar, einmal nachts eine dahinhuschende weiße Gestalt gesehen zu haben. Die arme Frau konnte kein Auge mehr zutun. Am liebsten wäre sie wieder in ihre ostpreußische Heimat gezogen. Heinz Thiele aber wollte die Sache real betrachten. Er war der Ansicht, daß sich die alte Frau Bronnen im Haus versteckt hatte. Das wäre nichts überraschendes bei diesem böswilligen, verstockten Weib. Aber trotz allem Suchen fand man keine Spur der Witwe. Es gab auch Augenzeugen, die mit Bestimmtheit behaupteten, Frau Bronnen auf dem abdampfenden Schiff gesehen zu haben; doch der Standartenführer suchte nach gültigen Beweisen. Er wollte erfahren, wo sich seine alte Feindin nach amtlichen Feststellungen aufhielt. Die weiteren Nachforschungen erwiesen sich als besonders schwierig, da die Danziger Vertriebenen einem Dampfer überantwortet wurden, der nirgends landen konnte. Es sollen auf diesem Schiff mehrere Personen den Tod gefunden haben durch Selbstmord, oder weil sie schwimmend einen Hafen zu erreichen versucht hatten. Der Dampfer soll auch von Seuchen, sogar von der Pest, heimgesucht worden sein. Das Schiff irrte jetzt, so wurde berichtet, in den palästinensischen Gewässern, zwischen Jaffa und Beirut, umher. Es war unmöglich, ein Gespenst auf einem Gespensterschiff zu suchen. Thiele aber hatte beschlossen, dem Unfug ein Ende zu machen. Eines Sonntags nachmittags lud er die ganze Danziger Hitlerju30 gend zu sich ein und veranstaltete eine wilde und tolle und laute Jagd nach der alten Frau. Es wurden Haßgesänge gejohlt, es wurde nicht gespart mit Schimpfworten auf die Juden, besonders auf das alte Judengespenst. Aber trotz des jugendlichen Eifers fand man im Haus nicht die Gesuchte. Von diesem Tag an hörten die geheimnisvollen Zeichen auf. Keine Gespenstergeräusche störten mehr den Schlaf der neuen Besitzer. Auch die schwarze Katze zeigte sich nicht mehr. Doch bald kam neues Ungemach. Man verspürte im Haus einen merkwürdigen Geruch, einen Gestank der immer eindringlicher und unerträglicher wurde. Die Kunden begannen den Laden zu meiden. Vergeblich wurde den ganzen lieben Tag geputzt und gescheuert. Die Thieles dachten schon daran, aus dem Haus zu flüchten und es abreißen zu lassen, als ein Maurer, den man zu Rate gezogen hatte, hinter einer Geheimtür die schon vollkommen verweste Leiche der Witwe Bronnen entdeckte. Neben ihr fand man auch die tote, schwarze Katze. Der Standartenführer ließ die Leiche verscharren. Die Thieles atmeten auf. Aber damit endete nicht die Gespenstergeschichte. Denn einige abergläubische Danziger wollten eine merkwürdige Entdekkung gemacht haben. Sie behaupteten steif und fest, daß sich der Ritter in seiner Nische bewegt und sein Gesicht von dem alten Haus abgewandt hätte. Aber das ist freilich nur Geschwätz. Der Ritter hatte sich immer so merkwürdig abgewandt gehalten. Sicher aber ist, daß die Danziger nicht mehr so gern in Thieles Geschäft gehen, nicht einmal die besten Parteigenossen. Erstveröffentlichung in: Pariser Tageszeitung, 4. Jg., Nr. 1061, 30./31. Juli 1939 Eva Briick Reise nach Wien, 1953 Die Reise von Berlin nach Wien zum Weltgewerkschaftskongreß der Landarbeiter im Jahre 1953 war nicht so unkompliziert wie heute, wo man in Berlin einfach in den Zug steigt. - Es war Winter und es schneite. In tiefster Nacht kamen wir an der tschechischen Grenze in De£in an. Wir mußten aussteigen und das Gepäck im Zug lassen. Stundenlang standen wir im Schneetreiben. Als wir endlich wieder einsteigen durften, wurde unser Zug aus einem mir unbekannten Grund für eine Nacht und zwei Tage auf ein Nebengeleise gestellt. Nach 36 Stunden kamen wir in Wien an. Die Rückreise war auch problematisch. In De£in mußten wir, wie bei der Hinreise, aussteigen und unser Gepäck zurücklassen. Natürlich hatten wir alle etwas eingekauft. Es gab Diskussionen mit den Zöllnern. Vor jeder Dienstreise kam eine Zeit des bedrückenden Wartens, ob die Behörden wohl ihr Jawort geben würden. Immer wieder wurden Ausreisegenehmigungen selbst Personen verweigert, die von einer Organisation für den „Auslandseinsatz“ befürwortet worden waren. Zumeist hatten sogenannte „Reisekader‘‘ Besuch von der Staatssicherheit, um sie dazu zu gewinnen, nach der Reise über Menschen, denen sie begegneten, und mitreisende Kollegen zu berichten. Die Leute von der Staatssicherheit arbeiteten gleich