OCR
zeitig mit Angeboten von „Belohnungen“ und mit versteckten und offenen Drohungen. Viele machten mit, weil sie Angst hatten, sonst auf eine ,,Schwarze Liste“ gesetzt zu werden. Sehr viele aber lehnten das Ansinnen empört ab — und es passierte ihnen gar nichts. Man wurde aufgefordert, über das Gespräch zu schweigen; aber die Kollegen erzählten sich dennoch ihre Frlebnisse und ermutigten einander, sich mit diesen Leuten nicht einzulassen, denn später konnte man schwer oder gar nicht mehr von ihnen loskommen und geriet in immer schlimmere und entwürdigendere Verstrickungen. Die Tatsache, daß ich als Dolmetscherin und Übersetzerin zum Weltgewerkschaftskongreß der Landarbeiter nach Wien mitgenommen wurde, verdankte ich einer Empfehlung von Freunden aus der englischen Emigration, sowie der Tatsache, daß ich zu den wenigen zählte, die die englische Sprache im Zuge einer soliden Schul- und Hochschulausbildung erlernt hatten und nicht bloß durch den alltäglichen Gebrauch. Die Bürokratie hatte sich noch nicht vollständig formiert. Schon wenig später wäre ich als parteilose Angehörige der ‚‚Intelligenz“ ohne feste Anstellung, noch dazu aus der ,, Westemigration“, die damals bereits diskriminiert und ausgegrenzt wurde, fiir einen erstmaligen ,,Einsatz‘‘ im ,,NSW“ (Nicht-Sozialistischer Westen) nicht in Frage gekommen. Für mich war diese Reise nicht nur die erste aus Ostdeutschland hinaus seit meiner Ankunft aus England im Jahre 1949, sondern auch das Wiedersehen mit der Stadt, in der ich die Jahre meiner Kindheit verbracht hatte. Ich hatte den Wienerwald, der die Stadt umsäumt, als ein Stück herrlicher Natur in Erinnerung, mit reiner Luft, beherrscht von Vogelgezwitscher, Windesrauschen in den Wipfeln und tiefer Stille. Jetzt war er durchzogen von asphaltierten Straßen, auf denen Autos und Autobusse aus vielen Ländern, in dichter Folge knatternd, Scharen lärmender, knipsender Touristen auf den Kahlenberg, den Leopoldsberg und den Hermannskogel brachten. Ich fuhr mit der Straßenbahn, mit der ich als Kind täglich von unserer Wohnung am Engelsplatz in der Brigittenau zur Schwarzwaldschule in der Inneren Stadt gefahren war. Der ehemalige » ler hie® jetzt ,,33 ler‘ und der Fahrschein kostete nicht mehr 30 Groschen, sondern 3 Schilling 30. So wie der Wienerwald seiner Stille und Reinheit beraubt und zu einer Touristenattraktion geworden war, hatten sich Hektik und Chaos auch im Straßenbild der Stadt niedergeschlagen. Endlose Reihen von Autos, Motorrädern und Mopeds rasten pausenlos vorbei, und selbst durch die engen Straßen der Innenstadt donnerten Straßenkreuzer... Die Kaffeehäuser, vor dem Krieg bevölkert von Künstlern, Musikern, Träumern und Denkern, die bei einer Schale Mokka endlos über Gott und die Welt diskutierten, Schach spielten, schrieben und komponierten, wurden immer mehr von ,,Espressos “ verdrangt... Der Friedrich Engels-Platz war 1934, im ‚‚Ständestaat“, in „Pater Abel-Platz“ unbenannt worden, jetzt hieß er wieder wie zuvor. Die Arbeiterhäuser, die Ende der Zwanzigerjahre von der Gemeinde errichtet worden waren, hatte ich als viel größer in Erinnerung. Neben dem Eingang zu unserem Haus befand sich noch immer der Elektroladen des Herrn Majarek, wo mein Vater einst seine alten Radioapparate in Zahlung gegeben und sich immer die neuesten Modelle gekauft hatte. Der Firmenname stand mit blauen Buchstaben über dem Geschäft, obwohl es den Herrn Majarek lange nicht mehr gab. Den Greißler gegenüber und den Friseurladen erkannte ich wieder, auch den bekannten Blick auf den Leopoldsberg, der im Westen die Häuser überragte. Eine Etage über unserer ehemaligen Wohnung fand ich alte Freunde, die die ganze Zeit hindurch in Wien geblieben waren und überlebt hatten. Aber ich suchte in Wien vergeblich nach der Vergangenheit. Verschwunden waren nicht nur die meisten Menschen, die mir aus der Kindheit vertraut waren, verschwunden war auch das Fluidum der glänzenden Kunst- und Kulturstadt, und ein schwer definierbarer Provinzialismus hatte sich inmitten aller Betriebsamkeit breit gemacht. Zur Zeit meines Aufenthaltes in Wien wurde sehr viel gebaut. Täglich scharten sich Menschen um den Bauplatz vor der Oper, wo eine unterirdische Fußgängerpassage entstand. Wie bei einem Schauspiel sahen die Menschen den staubbedeckten Arbeitern mit ihren Kompressoren, Kränen und Gerüsten zu. Auch die Gemeinde Wien baute wieder: Schöne Wohnsiedlungen, geschmückt mit Mosaiken oder Wandgemälden, Brunnen und Kinderspielplätzen. Die Mieten waren erschwinglich, doch war bekannt, daß die Zuweisung zu einer Gemeindewohnung - und auch die Aufträge für „Kunst am Bau“ — von den beiden großen Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP stark beeinflußt wurden, während die Künstler und Kulturschaffenden insgesamt wenig staatliche Hilfe erhielten und meist von Nebenberufen leben mußten. In zahlreichen Gesprächen zeigte sich ein allgemeines Desinteresse an Tagesfragen. Die meisten Menschen standen der Politik gleichgültig oder mißtrauisch gegenüber. Den Österreichern war es unter der deutschen Besetzung entschieden besser ergangen als allen anderen V ölkern in besetzten Ländern. Die ‚wirtschaftliche Gesundung“ wurde nun mit amerikanischen Geldern geschaffen. Politisch links stehende Arbeiter und Angestellte wurden seit dem Streik im Oktober 1950 aus allen führenden Positionen entfernt. So zogen sich viele aus Furcht vor Maßregelungen ins Privatleben zurück. Das also war Österreich in den frühen Fünfzigerjahren: Land der Alpen, der Weinberge und der Burgen, überschwemmt von Rolls Royce und Coca Cola; die Fiaker, die für viel Geld Touristen um den Stephansdom kutschierten, die Heurigenlokale in Grinzing, der Prater zu Kulissen für den Fremdenverkehr geworden... Doch der Stephansdom überragte und überwachte sein Wien wie eh und je, beachtet auch heute das kalte Ungeheuer ihm gegenüber kaum, als wüßte er, daß er im Grunde das wahre, Symbol seiner Stadt bleibt. Auszugsweise aus dem unveröffentlichten Manuskript ‚Durch die Mauer in die Welt. Ungewöhnliche Reisen durch vier Jahrzehnte und vier Kontinente“. Eva Brück, geboren 1926 in Berlin, aufgewachsen in Wien, flüchtete im April 1938 mit ihren Eltern nach Großbritannien. Nach dem Besuch der High School erhielt sie ein Stipendium für die St. Anns University in Oxford. 1947 Abschluß als B.A. für „Modern Languages“. 1949 ging sie mit ihren Mann nach Berlin (Ost) und arbeitete als Journalistin und Simultandolmetscherin (Russisch, Deutsch, Französisch, Englisch). Als freischaffende Schriftstellerin verfaßte sie Reisereportagen, Kurzgeschichten und Berichte über couragierte Frauen der Dritten Welt. Ihre Novelle „Elisabeth“ ist eben beim Verlag Fouque (Engelsbach bei Frankfurt) erschienen. ‚‚Schillernde Seifenblasen im Wind“ werden von Tebbert (Münster) vorbereitet. 31