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che intellektuelle Konstruktionen“ (wie u.a
„die Behauptung, der Boden Israels sei der
einzige, auf dem das jüdische Volk sich sei¬
nem Wesen gemäß entfalten könne“) ihn
über die Maßen zu irritieren scheint.

Denn der Autor Voghera läßt keinen Zweifel
daran, daß der Zionismus für ihn „lediglich
eine von der Dummheit und der Grausamkeit
aufgezwungene harte Notwendigkeit“ ist
und als solche unbedingt das Bemühen ein¬
schließen muß, ,,mit den Arabem zusam¬
menzuarbeiten und gleichzeitig für die Ver¬
besserung der materiellen und geistigen Be¬
dingungen des eigenen Volkes und des ihren
zu kämpfen.“

Gerade dieses Bemühen um Verständnis für
die arabische Seite ist charakteristisch für
mehrere Episoden des Quaderno, so wie es
auch die Aufarbeitung des historischen Hin¬
tergrunds im oben erwähnten Anhang voran¬
treibt.

Trotz mannigfaltiger weltanschaulicher und
lebenspraktischer Gegensätze — wie sie im
Quaderno etwa in der Begegnung des ‚,‚al¬
ten“ Gerschon mit einem jungen Araberzum
Ausdruck kommen, ist der Autor Voghera
schon damals davon überzeugt, daß dem
friedlichen Zusammenleben der beiden Völ¬
ker nur ihre jeweiligen politischen Vertreter
im Wege zu stehen drohen. So schildert er
ebenso überzeugend die Beweggründe des
(von der feudalen Oberschicht geförderten)
arabischen Temorismus, wie jene des jüdi¬
schen, der sich damals vor allem gegen die
englische Mandatsverwaltung richtete, als
(bis heute ungezählte) jüdische Flüchtlinge
vordem Holocaust aufgrund unmenschlicher
Restriktionen den Tod fanden.

„Unter allen Dingen ist nicht geboren wor¬
den zu sein das beste für die Bewohner der
Erde.“ Wenn dieser von Voghera sonst gem
zitierte Satz im Quaderno auch nicht explizit
vorkommt, so ist die pessimistische Lebens¬
einstellung des Autors dennoch der Grundte¬
nor auch dieses seines Werkes. Trotzdem
hindert ihn das nicht daran, gerade fiir die
sogenannten ,,einfachen“ (weil kostenlosen?
weil zufälligen?) Freuden des Lebens ein
besonders aufmerksames Sensorium zu ent¬
wickeln, und sie nicht nur selbst dankbar und
gerührt anzunehmen, sondern ebenso auf den
Leser übertragen zu können.

Das mag der unvergleichliche palästinensi¬
sche Sternenhimmel in einer klaren Nacht
sein, wenn das Schauspiel der Natur alle
Anstrengungen des Wachdienstes vergessen
läßt; das mögen die unendlichen Fragen der
kleinen Ahuva sein, die, noch nicht neunjäh¬
rig, an einer sehr seltenen Krankheit stirbt
und deren ‚Geplauder für ein paar Augen¬
blicke ein Trost gewesen“; das mögen Erleb¬
nisse mit Arbeitstieren sein, wie jener „alten
weißen Eselin, fast ohne Haare und voller
Narben, die von irgendeinem vorbeiziehen¬
den Beduinenstamm vergessen oder zurück¬
gelassen worden war“, und deren die Pflich¬
ten des Autors unterstützende Klugheit das
geläufige Sprichwort vom „dummen Esel“
schändliche Lüge straft. Wie unser Autor

denn überhaupt - ähnlich dem Triestiner jü¬
dischen Dichter Umberto Saba-in derumilta
(Demut) der Tiere jene seltenen Glücksmo¬
mente zu finden scheint, die ihm das
schmerzvolle Zusammensein mit den Men¬
schen verweigert.

„Meine Liebe zu den Tieren war echt und
tief, gewiß größer als jene, welche die mei¬
sten Menschen für die menschlichen Wesen
beweisen, auch für die ihnen am nächsten
stehenden“, meint Voghera und fügt scher¬
zend hinzu: ‚Vielleicht war auch meine Lie¬
be zu den Frauen nur eine Erweiterung mei¬
ner zoofilia, wie das mein Vater immer zu
behaupten pflegte.“

Was nun die Frauen im Kibbuz betrifft, so
konstatiert Gerschon, daß er sich auf Grund
der egalitären Geschlechterverhältnisse, der
größeren Unabhängigkeit und Ungezwun¬
genheit der Frauen, im Umgang mit diesen
dort viel wohler gefühlt habe als je in Triest.
Doch weder die gerechtigkeitsliebende Jaffa,
noch die schweigsame und verschlossene
Anna, geschweige denn die lebenslustige
Sara (die ihm so freimütig erklärt: ,, Was soll
ich denn mit einem alten Philosophen und
Wrack wie dir?“), und nicht einmal Debora¬
pietri, Mutter zweier Kinder, haben seine
Anträge erhört. (Daß in Wirklichkeit noch
etwas anderes war, darf ruhig angenommen
werden.)

Die Jahre in Palästina erfuhren kein happy
end — weder im privaten noch im politischen
Sinn. 1946 kehrte Giorgio Voghera nach
Triest zurück und nahm seinen ursprüngli¬
chen Platz in der RAS wieder ein. Ein Jahr
später wurde er als Leiter des Bereiches
Transportversicherung nach Tel Aviv ge¬
schickt, wo sich sein Vater inzwischen gut
eingelebt hatte.

Im Mai 1948 erfolgte dann der definitive
„Rückzug“ des Sohnes nach Triest. Warum
er auch später nicht mehr nach Israel gegan¬
gen ist, begründet Voghera selbst: „‚Ent¬
scheidend war wahrscheinlich die Tatsache,
daß sofort danach der Krieg zwischen Ara¬
bern und Juden ausgebrochen ist, und ich in
ein Land im Krieg hätte zurückkehren müs¬
sen, dessen Überlebenschancen langfristig
gesehen unsicher waren. Und das Land selbst
war immer mehr von einem militaristischen
Geist durchdrungen, für den ich zwar ange¬
sichts der Umstände volles Verständnis hatte,
den ich jedoch nicht teilen konnte.“

Im zitierten Anhang zweifelt Voghera daran,
ob die politische Entscheidung der Gründung
des Staates Israel tatsächlich „klug gewe¬
sen“ sei, „oder ob nicht trotz allem ein Ghet¬
to besser gewesen wäre als ein Friedhof - für
die eigenen Leute und für die anderen.“

Giorgio Voghera. Meine Heimat ist die ganze
Welt. Überleben im Kibbuz 1938-1948. Aus
dem Italienischen von Michael Killisch-Horn.
Mit einem Nachwort von Joachim Schlör. Ger¬
lingen: Bleicher Verlag 1997. 254 S. 6S 291,¬
/DM 39,80/SFr 37,50

Anmerkungen

1 Diese und andere auch in dem vorliegenden
Text verarbeiteten Informationen gab Giorgio
Voghera der Verfasserin im Laufe zahlreicher
Gespräche innerhalb von zwei Jahrzehnten; ei¬
nige davon sind auch auf Tonband aufgezeich¬
net.

2 Dazu gesellte sich noch jenes Trauma, das
in dem Roman I! Segreto beschrieben wird, und
dessen Überwindung Giorgio Voghera gute
fünfzehn Jahre seines Lebens kostete.

Hanna Blitzer

Ich entflammie Dir...

Ich entflammte Dir
kein Feuerwerk
mein Land

nur eine stille Kerze
gliiht in mir

fiir Dich

mein Land.

Keine stolzen Gebäude

baut ich Dir
mein Land

nur mir

ein kleines Haus
darin der

Frieden wohnt
als Zeichen
für Dich

mein Land.

Bei der Betrachtung einer
Arabeske

Unser Leben verschlungen
mit den Schicksalen der Anderen,
verziert mit den Festen

und den Sternstunden,
scheinbar Gewirr

doch nicht ohne Bedeutung
von Linien auf und ab
Höhen und Tiefen
Erfolgen, Niederlagen.
Offenes Rätsel

ohne Anfang und Ende.

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