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schränkt, und Walter Lindenbaum versuchte sich mit Reportagen und kleinen Beiträgen über Wasser zu halten. Wie Jura Soyfer, Peter Hammerschlag, Hans Weigel, Rudi Spitz u.a. stieß er zur neuen Wiener Kleinkunstszene, die sich subversivsatirisch, Programm für Programm, an der Grenze zwischen Legalität und Illegalität bewegte. „Walter war sehr wichtig, er hat sozusagen das Mittelstück geschrieben, das dann die Wurzel eines Programms war“, bemerkt Leon Askin, Regisseur und Schauspieler des „Cabaret ABC im Regenbogen“, in einem Geleitwort zu dem ersten Buch von Walter Lindenbaum ‚Von Sehnsucht wird man hier nicht fett“ , das 53 Jahre nach seinem Tod nun erschienen ist. Herbert Exenberger hat, unterstützt von Eckart Früh, in mühevoller Detektivarbeit Gedichte und Prosaarbeiten gesammelt und ein materialreiches Portrait des Schriftstellers verfaßt. Denn Lindenberg, der jüdische Sozialist aus der Leopoldstadt, konnte kein geordnetes Werk hinterlassen, vielmehr ist ein bedeutender Teil seiner Arbeit nur durch mündliche Überlieferung und Aufzeichnungen von KZ-Überlebenden erhalten. Das Gedicht „Juden am Bahnhof“ läßt Dr. Egon Böhmer seine Schülerin Dr. Gertrude Schneider auswendig lernen, und 1942 wird dieses Gedicht unter anderen „Hetzgedichten“ bei einer Hausdurchsuchung bei drei Angestellten der Lokomotivfabrik in Wien-Floridsdorf durch die NS-Polizei sichergestellt. Die Identität des anonymen Autors erschließt sich durch die Sammlung von Karel Herrman aus dem KZ Theresienstadt und durch ein erhaltenes Notizbuch von Bertha Kriss, einer KZ-Überlebenden. Auf eine Veröffentlichung des Gedichts im New Yorker ,,Aufbau“ (Nr.6, Marz 1996) antwortet Ernst Seinfeld, sendet ihm bekannte Gedichte von Lindenberg ein und ergänzt die bislang bekannte Fassung von „Das Lied von Theresienstadt“ , eine äußerst rare, ungeheuerliche Wort-Bild-Lebensbotschaft aus dem „‚Kaum-mehr-Sein“, um eine Strophe. (H. Exenberger: „Juden am Bahnhof“ - Irrfahrten eines Gedichts. In: Aufbau, Nr.10, Mai 1996.) Das Werk von Walter Lindenbaum ist schmal. 1943 wurde er gemeinsam mit seiner Frau Rachel und der fünfjährigen Tochter Ruth nach Theresienstadt verschleppt. Eineinhalb Jahre kampft das ,,Lindenbaum-K abarett“ in TereZin mit dem „guten Wort“ gegen Hunger, Verzweiflung, gegen das Schicksal. Mit „Nimmt der Herr die Suppe“ wird der furchtbare, niederdrückende KZ-A lltag in ein epigrammatisches Bild gefaßt. Nicht ästhetische Distanzierung fordert seine Ironie ein, sondern Menschlichkeit, mit der allein die vorgefundene, unmenschliche Wirklichkeit gebrochen werden kann. Im September 1944 wurde Walter Lindenbaum und wenig später seine Frau und seine Tochter nach Auschwitz deportiert. Im Jänner 1945, nach einem qualvollen Rücktransport nach Buchenwald, wurde er in das Außenlager Ohrdurf in Thüringen verlegt, wo ein geheimer Führer54 bunker errichtet werden sollte. Die Befreiung kam für ihn zu spät, doch die bescheiden formulierte Hoffnung für seine Gedichte realisierte sich in einer fernen Zukunft. Pietätvoll gewendet und im Handel hoch veranschlagt zirkulieren Autographen am Literaturnachlaßmarkt. Wie hoch veranschlagt man die Theaterzettel der ,,Lindenbaum-Gruppe“ aus dem KZ Theresienstadt, die Herbert Exenberger dem Publikum zur Kenntnis bringt? Siglinde Bolbecher Walter Lindenbaum: Von Sehnsucht wird man hier nicht fett. Texte aus einem jiidischen Leben. Hg. von Herbert Exenberger und Eckart Friih. Wien: Mandelbaum Verlag Michael Baiculescu 1998. 107 S. ÖS 198,-/DM 27,10/SFr 25,40 Buchzugänge Jeremy Adler (Hg.): H. G. Adler — Der Wahrheit verpflichtet. Interviews, Gedichte, Essays. Mit einem Nachwort von J. Adler, einem Quellenverzeichnis und einer Zeittafel. Gerlingen: Bleicher Verlag 1998. 247 S. OS 248,-/DM 34,-/SFr 32,20 Eli Amir: Der Taubenziichter von Bagdad. Roman. Aus dem Englischen von Karina Of, Petra Post und Andrea von Struve (aufgrund der autorisierten Ubertragung aus dem Hebräischen ins Englische von Hillel Halkin). Miinchen, Wien: Europa Verlag 1998. 543 S. OS 336,Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel: Die Fahrt auf dem Katarakt. Eine Autobiographie ohne einen Helden. Mit einem Beitrag von Brita Eckert, hg. von Hans-Harald Miiller. Mit einem Personenregister. Wien: Picus Verlag 1998. 352 S. OS 291,-/DM 39,80/SFr 38,80 Giinther Elbin: Am Sonntag in die Matinee. Moriz Seeler und die Junge Bühne. Eine Spurensuche. Mannheim: persona verlag 1998. 125 S. OS 212,-/DM 29,-/SFr 26,50 Das Buch ist Stella Rotenberg gewidmet und faßt die Ergebnisse von Elbins jahrelanger Suche nach dem in jeder Theatergeschichte aufscheinenden, als Person doch völlig unbekannten Moriz Seeler zusammen. Einen nunmehr überholten Bericht über seine Forschungen veröffentlichte Elbin unter dem Titel ,, Moriz Seeler — ermordet und vergessen“ in MaZ Nr.3/1993, S. 12-16. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Band 16: Exil und Avantgarde. Hg. im Auftrag der Gesellschaft fiir Exilforschung/Society for Exile Studies von Claus-Dieter Krohn, Erwin Rotermund, Lutz Winckler und Wulf Koepke. Miinchen: edition text + kritik 1998. 275 S. OS 423,-/DM 58,-/SFr 52,50 Heinrich A. Frankl: Zwischen Davidstern und Halbmond. Ein politischer Roman. Krems: Österreichisches Literaturforum (A-3500 Krems, Althang.2/9) 1998. 254 S. Holger Gumprecht: „New Weimar“ unter Palmen. Deutsche Schriftsteller im Exil in Los Angeles. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag 1998. 159 S. OS 123,-/DM 16,90/SFr 16,30 Ursula Hegi: Das Schweigen durchbrechen. Uber das Deutschsein in Amerika. Aus dem Amerikanischen von Susanne Goga-Klinkenberg. Miinchen, Wien: Europa Verlag 1998. 350 S. OS 336,Michael A. Kater: Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich. Aus dem Amerikanischen von Maurus Pacher. München, Wien: Europa Verlag 1998. 575 S. OS 423.-. Deutsche Erstausgabe von: The Twisted Muse. New York: Oxford University Press 1997. Anders als der Titel vermuten läßt, befaßt sich Katernicht nur mit dem Mißbrauch von Musik im Dritten Reich, sondern auch ausführlich mit verfolgten, gemaßregelten und geflüchteten Musikern. Egon Erwin Kisch-Preis 1998. Berlin: AufbauVerlag 1998. 204 S. OS 291,-/DM 39,90/SFr 37,60 Seit 1978 vergibt das Hamburger Magazin STERN alljährlich den jetzt mit DM 50.000,dotierten Egon Erwin Kisch-Preis für die besten deutschsprachigen Reportagen. Erstmals werden nun die für die Endauswahl nominierten 26 Reportagen in Buchform präsentiert. Im Anhang (S. 199-204) E.E. KischLebensdaten. Den ersten Preis erhielt heuer Dirk Kurbjuweit für seine in der Hamburger „Zeit“ erschienene Reportage ‚Die Folter war sauber und ordentlich“, die der Beteiligung deutscher Einwanderer an den Morden und Folterungen in der Zeit der PinochetDiktatur in Chile nachgeht. Die Qualität der in die Endauswahl gekommenen Texte ist hoch, dennoch fragt sich, warum nur in größeren Zeitschriften und Zeitungen erschienene Reportagen in die Endauswahl gekommen sind. Die Züricher ,,WochenZeitung“ z.B. hätte da einiges zu bieten. (Von MdZ einmal abgesehen). Siegmund Kleinl: DorfMale ein Umsinnen. Siegendorf: Verlag ,,NN-fabrik“ 1998. 235 S. Der Verlag gibt sich ein wenig experimentell, und so hat er z.B. eine Anthologie unter dem Titel ,,0.T.“ (ohne Titel) und eine Buch- und CD-Box unter dem Titel ,,m.T.“ (vermutlich derselbe schale Witz, nur umgekehrt) herausgebracht. Kleinls Buch hat die laufende ISBNNummer zur Umschlaggestaltung. Abgesehen von solchem Mißgeschick, wüßte Kleinl sehr viel über die Grammatik des heutigen ländlichen oder dörflichen Siedlerlebens, und sein Werk wäre auch lesbar, erstickte es nicht über weite Strecken in dem pedantisch auswuchernden seriellen Textkörper, dem zu dienen der Autor angetreten. Dem Autor fehlt es an Souveränität der Form gegenüber, an literarischer Zivilcourage. Richard Klinkhamer: Orden und Asche. Roman. München, Wien: Europa Verlag 1998. 287 S. OS 277,