Max Geissler war ein deutscher Emigrant in Österreich, er wurde
mehr als ein halber Österreicher in Deutschland.
Max war ein etwas überdurchschnittlich großer, eher hagerer
Bursch, auffallend durch eine recht markante Adlernase, ein im¬
mer lachendes Gesicht und eine unüberhörbar sächsische Aus¬
sprache. Er war 1906 geboren, seine verwandschaftlichen Kontak¬
te hatte er, zumindestens nach dem Kriege, im Spreewald, in der
Gegend von Jüteborg. Er starb 1988 in Lübeck.
Die Zeitgeschichte wird manchmal zu sehr an fixe Daten aufge¬
hängt — gleichsam wie eine Straße zwischen Meilensteinen. Man
kann sie auch anders sehen. Der Hitler-Faschismus begann eben¬
sowenig am 30. Jänner 1933 wie der österreichische Ständestaat
am 12. Februar 1934: Man konnte sie ebenso als steigende Wogen
auffassen, die an diesen Tagen überschwappten.
Für Maxe Geissler mußte das kritsche Datum schon früher dage¬
wesen sein. In dem damaligen Deutschland der täglichen, oft bluti¬
gen Raufereien und Saalschlachten dürfte er in irgendeine Affäre
verwickelt gewesen sein, über die er sich nicht gerne aussprach. Je¬
denfalls war es für ihn ratsam geworden, sich zu der bei damaligen
deutschen Linken höchstangesehenen österreichischen Sozialisti¬
schen Arbeiter-Jugend abzusetzen, die ihn offen aufnahm und ihn
als Verwalter ihres Wiener Jugendheims in Mauer unterbrachte.
Obwohl er durch Figur und Sprache aus der Masse der übrigen
Jugendlichen etwas hervorstach, war er sofort integriert. Der sozu¬
sagen tägliche Kampf gegen Nazi und „Vaterländische“ und die
Abwehr gegen die Kommunisten bestand für große Teile der Ju¬
gend weniger aus einer geistigen Auseinandersetzung als vielmehr
in Aktivitäten eines vielfältigen politischen Aktionismus. In diesen
Kreisen der eher jüngeren Jugendlichen, die in dem „Ghandi“ ge¬
nannten Roman Felleis ihr bewundertes Vorbild sahen, fand er —
fast zärtlich als „Marmeladebruder“ bezeichnet — herzliche Auf¬
nahme.
Dann kam der 12. Februar 1934. Ein Teil der Leitung der so¬
zialdemokratischen Partei flüchtete nach Brünn und etablierte
dort, in der „Zejl“ das ALÖS, das Auslandsbüro der österreichi¬
schen Sozialisten. Aufgabe des ALÖS war unter anderem, unter
den mißtraurischen Augen tschechischen Behörden die illegale
Arbeiter-Zeitung und propagandistische Flugschriften für Öster¬
reich herzustellen, Transporteure zu organisieren, sie mit ge¬
fälschten Pässen und den nötigen Geldmitteln auszustatten.
Zu diesen Transporteuren gehörten u. a. Leute, die nach Brünn
gegangen waren, weil ihnen hierzulande die Polizei schon zu sehr
auf die Fersen stieg. Unter ihnen waren Karl Hubeny vom Alser¬
grund, Hans Fellinger von Ottakring, Hans Soldatics aus Steinbrunn
im Burgenland und Maxe Geissler. - Während die anderen mit dem
Leben davonkamen, verschwand Soldatics in Dachau. Er war einer
Baracke der burgenländischen „Zigeuner“ als Stubenältester zuge¬
teilt worden. Nach der pseudopreußischen Ideologie der SS war er
damit für die Disziplin seiner „Untergebenen“ verantwortlich und
dürfte mit Sicherheit dafür zu Tode geprügelt worden sein.
Dem Max Geissler erging es anders.
Das ALÖS muß recht große Schwierigkeiten gehabt haben, ge¬
eignete tschechische Pässe aufzutreiben, die zur Umarbeitung taug¬
ten. So passierte es unserem Max einmal, daß ein österreichischer
Grenzbeamter seinen vollgestempelten Paß, der auf einen für ihn
kaum aussprechbaren Namen lautete, der zu seinem sonstigen Ha¬
bitus so gar nicht paßte, eine Weile prüfte und ihm dann empfahl,
die Grenze beim nächsten Mal an anderer Stelle zu passieren.
Und dann erreichte ihn aber doch sein Schicksal — und
zwar in Kärnten. Er landete in Villach im Gefängnis und
geriet, wie alle von uns in dieser Zeit, in die Gesellschaft
ebenfalls illegaler Nazis. Das war aber diesmal ein Glücks¬
fall. Diese Mithäftlinge unternahmen nämlich einen Aus¬
bruch und nahmen Geissler mit, so daß er schließlich über
Jugoslawien nach Dänemark entkommen konnte. Dort hat¬
te er engsten Kontakt mit unserem Freund Joseph (Hasi)
Simon. (Siehe dessen Biographie „Augenzeuge‘“.)
Sehr lange dauerte die Idylle allerdings nicht. Am
9. April 1940 rückte die deutsche Wehrmacht in Dänemark
ein. Obwohl die Gestapo-Leute in Dänemark die längste
Zeit viel zurückhaltender agierten als irgendwo anders, un¬
seren Maxe faßten sie gleich und schickten ihn nach Sach¬
senhausen, wo er sich in Gesellschaft von Josef (Pepperl)
Pfeffer fand, einen wirklich großen, vergessenen Helden un¬
seres Landes. Durch Maxe erfuhren wir später auch, daß
Pfeffer noch knapp vor der Befreiung ermordet worden war.
Nach dem Krieg lebte Geissler als freier Journalist in Lü¬
beck. Bei seinen häufigen Besuchen in Wien hatte er immer
einiges aus der Entourage von Willy Brand zu erzählen.
„Augenzeuge“, die erwähnte Autobiographie Joseph T. Si¬
mons, ist, herausgegeben von Wolfgang Neugebauer, 1979
im Verlag der Wiener Volksbuchhandlung erschienen und
mittlerweile natürlich vergriffen. Otto Binders Erinnerun¬
gen „Wien - retour. Bericht an die Nachkommen“ wurden
in MdZ Nr. 2/1998, S. 50, besprochen.
Oskar Maria Graf
Ohne Bleibe
Der Schnee fällt unablässig still und fein
vom dunklen Himmel nieder.
Die Glaslaternen leuchten arm im gelben Schein
und meine Schritte werden immer müder.
Ich bin den ganzen Tag von Tür zu Tür gelaufen
und konnt’ mir dafür grad’ die Suppe kaufen.
Die langen Straßenfronten sind verstummt.
Ich höre nur mein eig’nes Schnaufen.
Weitum ist alles weiß und schneevermummt
und nirgends kann ich schlafen.
Ich weiß nicht mehr, ist’s kalt, ist’s heiß,
und werde langsam selbst ein Brocken Eis.
Ich will mich einfach auf den Boden legen.
Ich wette, wer dies sieht,
den wird dies Sterben nicht erschrecken.
Es ist ja immer nur das alte Lied:
Die einen werden fett vor lauter Segen,
doch unsereins kommt viel zu spät...
Arbeiter-Zeitung, 22.12. 1933
Ausgewählte Gediche Oskar Maria Grafs sind unter dem
Titel „Ich schwebe von Dingen geschaukelt und lebe mich
wund“ 1996 im List Verlag, München-Leipzig, erschie¬
nen. Herausgegeben von Thomas Kraft, fungierte das
Buch zugleich als Jahrbuch der Oskar Maria Graf¬
Gesellschaft.