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Ursula Prutsch

in Österreich

In der Silvesternacht 1934/35 floh ich aufgrund eines verabre¬
deten Warntelegramms meines Bruders Hans (Justitiar in
Saarlouis) über eine mögliche Verhaftung durch die Gestapo
von Bonn unter gefährlichen Umständen in meine Saarheimat.
Ich gehörte zu der Widerstandsgruppe um die „Neue Saar¬
post“ (Johannes Hoffmann) und war der einzige Vertreter die¬
ser Gruppe im Rheinland. In Bonn unterhielt ich intensive Be¬
ziehungen zu Widerstandskreisen und arbeitete zugleich an
meiner Habilitation. [...]

In meiner Saarheimat angekommen, konnte ich erneut
Druck und Terror der Nationalsozialisten auf die saarländi¬
sche Bevölkerung, kurz vor der Abstimmung am 13. Januar
1935, feststellen. Nachdem das Saarvolk sich bei der Abstim¬
mung für die Rückkehr in das Hitler-Reich entschieden hatte,
mußte ich mir eine neue Zukunft ausdenken. Friedrich Wilhem
Foerster [sein Lehrer, Anm.d.V.] war mit dem Fürsterzbischof
von Salzburg, Dr. Sigismund Waitz, befreundet, der mich auf
Veranlassung Foersters als Assistent an das Institut für Deut¬
sche Geistesgeschichte in Salzburg berief.

Mit einem von seinem Bruder beschafften deutschen Paß, der
ihn auch von der 1000-Mark-Gebühr befreite, flüchtete Gör¬
gen Mitte Jänner nach Salzburg.

Die zitierte Passage ist einer kurzen Reminiszenz über die
fast sechzig Jahre zurückliegende Immigration des Theologen
und Historikers Hermann Mathias Görgen (1908-1994) nach
Österreich entnommen. Darin beschreibt er seine Strategien
und die Funktionen, die eine Widerstandsbasis gegen national¬
sozialistische Vereinnahmungsziele schaffen sollten.

Für die demokratisch engagierten, links-liberalen und so¬
zialistischen Schriftsteller unter den rassisch und politisch
Verfolgten des Hitler-Regimes bot das zum faschistischen
Ständestaat mutierte Österreich keineswegs eine attraktive Al¬
ternative. Als Bundeskanzler Dollfuß im Mai 1934 in der Ver¬
fassung das Bekenntnis zum „christlichen, unabhängigen
deutschen Staat“ Österreich festschreiben ließ, hatte sich der
latent existierende Antisemitismus zu einem klar sichtbaren
Paradigma der österreichischen Innenpolitik zu wandeln be¬
gonnen. Seine Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf das
Berufsleben waren unübersehbar, etwa in der Ausgrenzung
„nichtakzeptabler“ Kulturproduzenten und Wissenschafter
aus den universitären und außeruniversitären Institutionen.
„Falsch geflüchtet“, der so überlieferte Ausspruch eines in
Wien angekommenen Immigranten, getan angesichts der zu¬
nehmenden Faschisierung der politischen Landschaft, wäre ei¬
nem Vertreter der monarchistischen, christlich-konservativen
Gruppen kaum über die Lippen gekommen. Beruhte ihr Staats¬
verständnis doch auf antidemokratischen, antimarxistischen,
antiliberalen und hierarchisch-autoritären Vorstellungen mit
einer paternalistischen Führerpersönlichkeit an der Spitze. Zu¬
dem spielte auch ein im katholischen Bewußtsein verankerter
religiöser Antisemitismus eine Rolle, gerade auch wenn es
darum ging, Allianzen im anti-nationalsozialistischen Kampf
zu bilden.

Daß nicht wenige deutsche Flüchtlinge christlich-konserva¬
tiver sowie monarchistischer Überzeugung in Österreich ein
ideales Aktionsfeld gegen den Nationalsozialismus fanden
und an der Konstruktion einer mythischen, rückwärtsgewand¬
ten Österreich-Idee mitzuwirken begannen, bemerkte Fried¬
rich Heer: „Die wortmächtigsten Vertreter der österreichi¬
schen Nation sind nahezu ausnahmslos Menschen aus dem al¬
ten Reichsraum: Konvertiten aus dem alten Protestantismus,
politische Flüchtlinge vor den Fängen des preußischen Ad¬
lers.“” Dietrich von Hildebrand, der im wichtigsten publizisti¬
schen Organ des Ständestaates tätig war, nahm beispielsweise
den Kampf gegen den Nationalsozialismus von Wien aus auf,
da er Österreich als den einzigen Staat in Europa betrachtete,
von dem aus Widerstand auf katholischer Grundlage geleistet
werden könne.”

Katholischer Reichsmythos und gesamtdeutsche
Geschichtsauffassung

Die Emigranten fanden nach der Ausschaltung des Parlaments
und dem Bürgerkrieg im Februar 1934 ein katholisch¬
ständestaatliches Österreich vor, das Kommunisten und Sozia¬
listen in die Opposition getrieben hatte. Das katholische „La¬
ger“ in Österreich war selbst stark heterogen und in Segmente
mit verschwimmenden Grenzen gegliedert.* Der im Septem¬
ber 1933 abgehaltene Allgemeine Deutsche Katholikentag
machte die ambivalente Haltung, das Lavieren zwischen
christlich-übernationaler Idee und Deutschnationalismus
deutlich.

Der Christlich-Soziale Leopold Kunschak gehörte zur Min¬
derheit der Demokratie-Verteidiger; die monarchistischen und
legitimistischen Gruppen, unter denen die der „Österreichi¬
sche Aktion“ um Ernst Karl Winter, Alfred Missong, August
Maria Knoll und Wilhelm Schmid eine wichtige Rolle spielte,
strebten eine „soziale Monarchie‘ an. Von den gesamtdeut¬
schen Gruppen hoben sie sich durch ein „österreichisch-beton¬
tes Staats- und Kulturverständnis“ ab und zählten die national¬
sozialistische Ideologie, „Bolschewismus“ und gesamtdeut¬
sche Anschlußpolitik zu den „äußeren Feinden“.

Zum „gesamtdeutschen‘“ Spektrum zählte der deutsche Im¬
migrant Joseph Eberle mit seiner Zeitschrift „Die schönere Zu¬
kunft“. Diese Richtung fand in Hochschullehrern starke Pro¬
pagandisten: in Othmar Spann mit seiner romantisch-universa¬
listischen Gesellschaftsphilososophie, in Heinrich Srbik, dem
Verkünder der gesamtdeutschen Geschichtsauffassung, oder
auch in dem Germanisten Josef Nadler. Auch im Rahmen des
„politischen Katholizismus‘ existierte eine aus einem Arbeits¬
kreis in der Katholischen Hochschülerschaft, aus katholischen
Jugendverbänden, sowie Vereinen wie der „christlich-deut¬
schen Turnerschaft“ hervorgegangene großdeutsch-nationali¬
stische Richtung. Zu ihr zählten Theodor Veiter, Wilhelm
Wolf, Taras Borodajkewycz und Josef Klaus. Sie rezipierten
und propagierten organizistisch-biologistische Volksgemein¬
schafts- und Volkstumsideologien und fanden unter den

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