des germanischen Mythos die Historien der Wissenschaftlich¬
keit abstreift.“?° Da der Konsens innerhalb des katholisch¬
konservativen Lagers gegenüber sozialistisch-liberalen und
kommunistischen Gruppen ohnehin recht schmal war, dürften
solche „Ausrutscher“ wohl doch geduldet worden sein. Gerade
hinsichtlich des Nationsbegriffes und der Definition, was
„deutsch“ für Österreich bedeute, taten sich auch vaterländi¬
sche Theoretiker schwer und verstrickten sich in Widersprüch¬
lichkeiten: „Unser Österreichertum ist selbst etwas Deutsches
[...] eine deutsche Volksgemeinschaft neben der deutschen des
Reiches“, schrieb Andrian; der deutsche Immigrant Heilig er¬
klärt: „Das ‚wahre‘, ‚alte‘ Deutschtum lebt in Österreich.“'
Die österreichische Außenpolitik gegenüber Deutschland ließ
das Bemühen Görgens und anderer scheitern, Begriffe, die im
nationalsozialistischen Deutschland verwendet wurden, auf¬
zugreifen, zu demontieren und durch das Hineinstellen in ei¬
nen ständestaatlichen, österreichischen Kontext zu berichti¬
gen. Dies wird in Görgens Text „Was ist deutsch?“ deutlich,
der in der letzten, nur mehr in Brünn ausgelieferten Nummer
des „Christlichen Ständestaates“ vom 13. März 1938 erschien.
Hier wird wieder Dollfuß’ Deutschtumsbegriff bemüht, der
sich auf die Unabhängigkeit Österreichs, Christentum, Univer¬
salismus, Souveränität der einzelnen Volksstämme und Föde¬
ralismus gründete. Daran schloß eine Rechtfertigung für das
Vorbild Dollfuß, der „aus taktischen Gründen das Deutschtum
sehr stark in den Vordergund hat stellen müssen, um nicht dem
Vorwurf ausgesetzt zu sein, er sei ein Feind [...] der großen
deutschen Traditionen“.”? Daß diese ambivalente Politik, den
Kampf gegen Nationalsozialismus mit dem Ziel guter nach¬
barschaftlicher Beziehungen zu Deutschland in Form voraus¬
eilenden Gehorsams zu führen, kein effizientes Widerstand¬
spotential bilden könne, war Görgen nicht bewußt und wurde
in seinen späteren Schriften auch nicht reflektiert.
Verdeckte monarchistische Utopien
Görgens Haltung zum Legitimismus war indifferent. Seine Texte
manifestieren zudem die publizistische Gratwanderung zwischen
monarchistischen Utopien und Realpolitik: er zielt auf eine „not¬
wendigen“ Wiederherstellung der „Donaugroßmacht“; mit dem
Postulat einer Restauration der Habsburgerherrschaft hält er sich
mit Rücksicht auf mehrheitliche innenpolitische Ablehnung und
außenpolitische Reaktionen zurück. Offen legitimistische Be¬
kenntnisse hätten massive Proteste von seiten Frankreichs und
der kleinen Entente (Tschechoslowakei, Rumänien Jugoslawien),
sowie politische Konsequenzen von seiten Deutschlands (nach
1936) nach sich gezogen.?” Görgen schrieb demnach, daß die
Habsburger lediglich für die Dauer von Hitlers Herrschaft eine
mögliche Gegenlösung darstellen; freilich könnten sie die Gefahr
eines Anschlusses nicht abwehren:
Im heutigen österreichischen Legitimismus stehen sich die
Gegensätze sehr scharf gegenüber und die Richtung derer, die
die ‚deutsche Mission Habsburg‘ betonen (Papen-Eibl-Ideolo¬
gie), die immerfort von der deutschen Waffenbrüderschaft
schwärmen und mehr von Kaiser Franz Josef (,Sir, ich bin ein
deutscher Fürst!‘) als von Kaiser Karl reden, ist nach wie vor
sehr mächtig. Handelt es sich doch da meist um Leute, die
schon in der Vorkriegsdiplomatie tätig waren, die preussische
Kriegsdeutung im wesentlichen übernahmen und sogar noch
in katholischer Verbrämung gestützt haben. Die andere Rich¬
tung des Legitimismus, die vor allen Dingen auch den Arbei¬
termassen gegenüber sehr vernünftig auftritt und grosses so¬
ziales Verständnis zeigt (Grossösterreichische Gemeinschaft,
Leitung Dr. Schmid), ist zwar nicht minder stark, aber da¬
durch, dass sie sich weniger auf den Erbadel stützt, in einer
künftigen Monarchie autokratischen Charakters von vornher¬
ein etwas benachteiligt Lu
Görgen war Traditionalist in dem Sinne, daß er die „Ver¬
dienste der Monarchie“ anerkannte. Wiedergutmachung der
Fehler nach 1918 könne nicht im „Sinne einer Wiedererwe¬
ckung des alten Reichs“ geschehen.” In seinem Text
„Deutschland und Österreich im Donauraum“ setzt sich Gör¬
gen auch mit den Nachteilen ständestaatlicher Politik ausein¬
ander, rechtfertigt sie jedoch mit dem gängigen Argumenta¬
tionsschema einer politischen Notlösung: Wenn sich Öster¬
reich vorwiegend auf faschistische, klerikale oder andere ro¬
mantische Ideologien zurückziehe, sei dies eine Schutzma߬
nahme, aber keine Dauerlösung, weil das überstaatliche Emp¬
finden darin keine Betätigung finde. Ebenso müsse die „rö¬
misch-katholische Propaganda“ in den Hintergrund treten,
weil ein Teil der deutschen Minderheiten protestantisch und
man gegen den „politischen Katholizismus empfindlich“ sei.?6
Die Flucht aus Österreich
In seinen Aufzeichnungen betont Görgen, daß er die Erweite¬
rung der Kleinen Entente propagiert und seine österreichi¬
schen Exiljahre auch zur Anknüpfung von Beziehungen mit
der Tschechoslowakei genützt habe. Das Zusammenleben mit
slawischen Völkern habe die österreichische Kultur weitestge¬
hend beeinflußt, sei deshalb geschichtlich begründet und not¬
wendig. Wiederum profitierte er von Foersters Netzwerk, zu
dem auch der tschechische Staatspräsident Bene$ zählte. Da
die Kleine Entente starke Ressentiments gegen bulgarische,
ungarische und habsburgische Revisionsbestrebungen hegte,
dürfte Görgen gehofft haben, diese etwas abzumildern. So
setzte er bei seinen Bemühungen um gemeinsame Pläne einer
Donauföderation auf den Ministerpräsidenten Milan Hod?a,
einen der ehemaligen slowakischen Berater des habsburgi¬
schen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand. Der Prote¬
stant vertrat in den dreißiger Jahren die Idee der „Vereinigten
Staaten von Großösterreich‘“.?’
Das Verhältnis zu Ministerpräsident Hodia entwickelte
sich insofern erfolgreich, als wir uns in vielerlei gemeinsamen
Plänen und Gedanken trafen. Das Thema der Gespräche war
stets die drohende Gefahr, die der Nationalsozialismus für die
Nachfolgestaaten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie
darstellte. [...] Im Hintergrund meiner Bemühungen stand al¬
lerdings die Idee, man könne auf der Grundlage der früheren
Habsburgpläne des Erzherzogs Franz Ferdinand mit dem da¬
maligen Thronfolger, Erzherzog Otto von Habsburg, ins Ge¬
spräch kommen, um eine solche Donauföderation zustande zu
bringen, ®
schrieb Görgen 1992. Er behauptet in diesem Text, an ein
Bündnisgleichgewicht innerhalb der Donauföderation und
nicht an eine Restauration gedacht zu haben.
Die Verbindungen zu Prag retteten Görgen jedoch am
12. März 1938 das Leben. Am 10. März 1938 war er nach ei¬
nem Besuch bei Foerster in dessen Schweizer Exil nach Salz¬
burg zurückgekehrt, wo er einige seiner Kollegen bei den Vor¬
bereitungen zu Schuschniggs Volksabstimmung in Sieges¬
stimmung vorfand. Görgen meldete sich bei der Salzburger
Frontmiliz, die ihn zurückwies, da es „morgen kein Österreich
mehr gebe“. In der Nacht des 11. März räumte Görgen die be¬