OCR Output

praßt, die Gönner bis zur Neige beansprucht, sieht sich Harin¬
ger immer mehr dem nackten Überlebenskampf ausgesetzt.

Ab 1929 sind mehrere nervenärztliche Untersuchungen und
kürzere Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken belegt. Damit
reagiert Haringer unter anderem auf einen Kampf mit den Be¬
hörden, die ihn ab Herbst 1926 wegen eines Teppichschmug¬
gels verfolgen. Es kommt zu Strafanzeigen wegen übler Nach¬
rede, Gotteslästerung, Verleitung zum Meineid usw., was zu
einer steckbrieflichen Suche führt. Haringer, der unangemes¬
sen heftig reagiert, verheddert sich im Paragraphendschungel
und flieht durch halb Europa.

Eine wesentlich gefährlichere Bedrohung als die juristi¬
schen Scharmützel und die unzähligen größeren und kleineren
Prozesse stellt für den notorisch Unangepaßten das Aufkom¬
men des Nationalsozialismus dar. Ab 1931 dürfte er den Bo¬
den Deutschlands nicht mehr betreten haben. Er zieht sich in
das Dorf Ebenau bei Salzburg zurück. Der begabte Schnorrer
kann dort, auch mit Hilfe der eben fälligen Tantiemen des
Zsolnay Verlages, das kleine efeuumwucherte „Klammhäusl“
kaufen. Vorübergehend findet er in Salzburg in einem kleinen
Kreis von Künstlern Aufnahme. Zu diesem Kreis zählen u. a.
der Schriftsteller Georg Rendl, der Maler Josef Schulz, der
Verleger Max Dietrich und der Architekt Josef Anton Jenner.
Bis 1933 lebt Haringer im Klammhäusl mit seiner Geliebten,
der Schauspielerin Hertha Grigat. 1933, als sie das zweite
Kind von ihm erwartet, verläßt sie ihn, weil er ihr keinerlei Zu¬
kunft und Existenz bieten kann. 1933 muß er das Häuschen be¬
reits wieder verkaufen. Den Dorfbewohnern bleiben sie fremd,
der Dichter und seine schöne, knapp zwanzigjährige Freundin.

Aus einer Gesprächsrunde vom 2. Dezember 1982 in Ebe¬
nau mit Bürgermeister Karl Höpflinger, dem Schriftsteller Ott¬
heinrich Zenker und drei einheimischen Frauen, die anonym
bleiben wollten, fassen wir hier einige Passagen zusammen,
die ein Licht auf Haringers Persönlichkeit werfen:

Ne ee rege Te nenne yore rn

lt

JACOB HARINGER

KIND IM
GRAUEN HAAR

Auch in sel: neuen Gedichtband,,Kind im g
Haar“ beweist der durch die Auszeichnung mit dem
Gerhart-Hauptmann-Preis weithin bekannt gewor¬
dene Dichter, daß er einer der bedeutendsten und
echtesten Poeten unserer Zeit ist. Die Inbrunst des
Gefühls und die Einfalt eines lauteren Herzens
gleiten in seine Worte hinüber und machen ihn zum
begnadeten Sänger allen Leids und aller Freude,
die ein Menschenherz zu empfinden fähig ist.

Haringers neuer Gedichtband bestätigt abermals
die Ursprünglichkeit, Kraft und Anmut seiner be¬

ennrasan Malndia Aue ımantrinnharar Tranik hlliht

JAKOB HARINGER

erhielt soeben den

Gerhart-Hauptmann-Preis
1925

x

SS sn

42

Höpflinger: Ich kann mich erinnern, als Bub mit sieben
oder acht Jahren, mein Vater war damals Bürgermeister, da
ist der Dr. Haringer ein paar Mal bei uns aufgekreuzt, ein Ak¬
tentascherl mit. Was er eigentlich wollte, weiß ich nicht, die
Mutter hat nachher gefragt: ‚Ja, was ist denn das wieder für
einer gewesen?‘ Damals sind ja viele Leut gekommen, Arbeits¬
lose und so und Gemeindearme.

‚Das ist der Dr. Haringer aus dem Klammhäusl.‘ ‚Ja, was
tut denn der?‘ ‚Mir scheint, Bücher schreiben, ich weiß es
auch nicht.‘ Auch beim Schulgehen hat es so ein Gerede gege¬
ben, daß er ein wenig ein Spinner ist.

Es war ja selten, daß so einer aufs Land gezogen ist. Es hat
niemand recht gewußt, was man mit ihm anfangen soll. Und
der Schmied Hans hat mir erzählt, daß im 48er Jahr eine Frau
gekommen ist und vom Haringer Kisten abgeholt hat, 65 Ki¬
sten mit Büchern, die beim Schmied oben am Dachboden ein¬
gestellt waren.

Zenker: Das Klammhäusl ist 1980 oder 81 abgerissen wor¬
den. Eine Dame hier in Ebenau hat mir erzählt, daß der Harin¬
ger sehr für junge DirndIn gewesen sei und sehr für den Sex.
Und an den Wänden waren große Spiegel und ein Mordsdiwan
war da.

Ebenauerinnen: „Ins Haus haben wir Kinder nicht hinein¬
gehen dürfen, wir waren immer heraußen, da war ein Tischerl,
da sind wir gesessen, wir sind dann viel zu spät in die Schule
gekommen. Da hat die Frau [Hertha Grigat] oft so Kokosnus¬
sen gehabt, so große, oben in der Höh‘ hat sie den Deckel ab¬
geschnitten, da haben wir ein bißl was essen dürfen. Und da
hat sie gesagt - so große Ringe hat sie gehabt, ob die wertvoll
waren oder Blech, das weiß ich nicht - und da hat die Frau ge¬
sagt, wir müssen ruhig sein, der Herr da drin, der tut
schreiben.“

„Er hat mich fasziniert. Später hab ich eher Abfälliges über
ihn gehört, ein bißl leichtsinnig, so in der Art. Und wie ich
dann in der Zeitung seine Gedichte gesehen hab: eigenartig,
hab ich mir gedacht, aber besser als sein Ruf.“

„Ich hab ihn nicht gekannt, nur mein Mann hat im Klamm¬
häusl zu arbeiten angefangen, wie der Haringer schon fort
war. Und da sagt er zu mir: ‚Das mußt du dir anschauen, die
Malerei!‘

Jetzt bin ich hingegangen und hab geschaut - alles so dun¬
kelblau ausgemalt gewesen und da sind so Stern’ hineinge¬
zeichnet gewesen, an der Wand; ja, da sind Sterne gezeichnet
gewesen, schön, ja.“

Selbst zu jener Zeit, als sich Haringer in der Abgeschieden¬
heit des kleinen Dorfes Ebenau geborgen, möglicherweise
vorübergehend glücklich fühlt, wird er in einem Klima des zu¬
nehmenden Mißtrauens beobachtet und überwacht. In einem
Akt der Bezirkshauptmannschaft Salzburg vom 8. April 1932
ist noch heute der Bericht nachzulesen, den die Behörde vom
Gendarmerieposten Koppl/Ebenau über das politische Verhal¬
ten und die sonstigen Lebensumstände des offensichtlich als
suspekt geltenden Jakob Haringer anforderte.

Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland ver¬
schärft sich der Terror, auch gegen Haringer. Seine Bücher
brennen. Der deutsche Markt ist ihm verschlossen: keine Pu¬
blikationen mehr, keine Aufnahme in Anthologien oder Zeit¬
schriften.

Obwohl weder Jude, noch Kommunist, noch Widerstands¬
kämpfer, ist Haringer für das NS-Regime dennoch Feind: Er
wird zum Inbegriff dessen gestempelt, was im Parteijargon
„verkommener Kulturbolschewismus“ genannt wurde.