Leben und Sterben in Döllersheim
Großpoppen, Franzen, Döllersheim, Stones. Diese Dörfer im
nördlichen Waldviertel gibt es heute nicht mehr. Ihre Bewohner
wurden bald nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten ausge¬
siedelt, das „Döllersheimer Ländchen“ wurde von der Deutschen
Wehrmacht als Truppenübungsplatz benutzt. Nach 1945 fiel es
als „Deutsches Eigentum“ in die Hände der Sowjets und wurde
von der USIA verwaltet. Seit 1957 dient es dem österreichischen
Bundesheer als Truppenübungsplatz.
Blicken wir zurück in eine Zeit, als es diese Dörfer noch gege¬
ben hat. Etwa ins Jahr 1932. Am 14. August 1932 - also ein halbes
Jahr vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland - faßte die
Gemeinde Großpoppen den Beschluß, den Führer das Ehrenbür¬
gerrecht zu verleihen. Der Beschluß wurde einstimmig gefaßt.
Zur Rettung der Ehre Niederösterreichs muß erwähnt werden, daß
am 14. 10. 1932 die niederösterreichische Landesregierung die
Ehrung Adolf Hitlers verbot. Begründung der Landesbehörde:
Adolf Hitler sei nicht mehr österreichischer Staatsbürger.
Zur selben Zeit war Adolf Rauscher Lehrer in Franzen. 1987
erschienen seine Erinnerungen im Amtsblatt der Bezirkhaupt¬
mannschaft Zwettl: „Eine hoffnungsvolle Zeit brach mit der Ver¬
einigung unseres Vaterlandes Österreich mit dem Deutschen
Reich an. Die Jugend hatte wieder Hoffnung, die Bevölkerung
Verdienst, für jeden war Beschäftigung“.
Zwei Jahre nach dem Ansuchen um Ehrenbürgerschaft wurde
in Großpoppen die Anbringung einer Gedenktafel am Friedhof
verhindert. Gedacht werden sollte des Kanzlers Dollfuß, der Text
hätte gelautet: „‚dem ... von brauner Mörderhand gefallenen Doll¬
fuß“. Die Nazis und der Pfarrer verhinderten die Aufstellung der
Gedenktafel, der Pfarrer wurde im Buch „Die alte Heimat“ im
Jahre 1942 löblich erwähnt.
Warum die Nazis im Dreieck Zwettl - Allentsteig — Döllers¬
heim so rasch und eindrucksvoll Fuß faßten, hing mit zwei Fakto¬
ren zusammen.
Zum einen waren auch damals die Menschen in agrarisch do¬
minierten und wirtschaftlich rückständigen Gebieten anfällig für
großspurige Versprechungen. Und auch damals suchten die Mo¬
dernisierungsverlierer Schutz und Schirm bei jenen Kräften, die
ihnen Arbeit, Brot und Freibier verkündeten.
Zum anderen war im nördlichen Waldviertel der Boden von ei¬
nem Vorläufer bereits gut aufbereitet. Georg Ritter von Schönerer
residierte bis zu seinem Tod 1921 auf Schloß Rosenau am Kamp
und vertrat ab 1873 den Bezirk Zwettl/Waidhofen im Wiener
Reichsrat. Über von ihm finanzierte Zeitungen sowie über Schul¬
und Gewerbevereinen gelang es ihm, ein rassistisches Netzwerk
aufzubauen und plumpen Antisemitismus in alle Bevökerungstei¬
le des nördlichen Waldviertels zu verbreiten.
Im Jahr 1888 übermittelte er dem niederösterreichischen Statt¬
halter in Namen von 374 Waldviertler Gemeinden eine „Antise¬
mitische Petition“: Juden solle der Zugang zu verschiedenen Be¬
ruf verboten werden.
Sechs Jahre vorher schimpfte er im Horner Gewerbeverein
über eine bestimmte Menschensorte. „Ich habe das Wort Jude
nicht genannt (große Heiterkeit). Freilich gibt es Dinge, welche
nicht genannt zu werden brauchen, damit sie das Volk versteht
(Erhöhte Heiterkeit und Beifall).“ Wem zu diesem Meister der
versteckten Anspielung und der indirekten Schuldzuweisung
nicht Parallelen zur Gegenwart einfallen, der ist selber schuld.
Der 12. März 1938 verlief im Döllersheimer Raum wie vorbe¬
reitet: Schon am Morgen hingen die Hakenkreuzfahnen von den
Rathäusern und Gemeindeämtern, mit brennenden Fackeln zog
die SA auf die Hauptplätze, vom Bürgermeister über den Bezirks¬
straßenausschuß bis zum Jagdausschuß wurden alle Posten mit
Nazis besetzt. Inmanchen Gemeinden war eine Neubesetzung gar
nicht notwendig: In Gföhl etwa konnte von 1927 bis 1945 der
Gastwirt Karl Kippes durch alle Wendungen der Zeit hindurch als
Bürgermeister amtieren.
Im Döllersheimer Ländchen brach zusammen mit dem Wie¬
dervereinigungstaumel ein ungeheurer Führerahnenkult los. Die
auf dem Friedhof zu Döllersheim bestatte Großmutter des Führers
erhielt ein leicht zugängliches Ehrengrab, zu dem Massen von
Parteigenossen aus dem Altreich pilgerten, obwohl ihr tatsächli¬
ches Grab gar nicht mehr eruiert werden konnte; der Platz vor dem
Kaufhaus Poigenfürst in Döllersheim wurde — nach Hitlers Vater
— in Alois-Hitler-Platz umbenannt, auf dem Alois-Hitler-Platz
wurde die Adolf-Hitler-Eiche gepflanzt; auf Ansichtskarten nann¬
te sich Döllersheim die „Heimatgemeinde des Führervaters“.
Nur einer schätzte offenbar den Rummel um seine Person
nicht, das war der Führer selbst. Am 26. 11. 1938 kam er zwar ins
Waldviertel. Er ließ sich so schnell durch die Ortschaften kut¬
schieren, daß die organisierten Jubelkommandos ihre Auftritte
versäumten.
Und er ließ das Döllersheimer Ländchen „entsiedeln“, wie die
korrekte Bezeichnung aus dem NS-Jargon lautete. In einem Brief
der Stadtgemeinde Allentsteig an die BH Zwettl vom 29. Juni
1938 wurden erstmals acht Ortschaften erwähnt, die bis 5. August
1938 geräumt werden müssen. Eine von ihnen war Großpoppen.
Die DAG - Deutsche Ansiedlungsgesellschaft - organisierte
die Entsiedlung, die rein sprachlich an eine „Endlösung“ erinnert.
Der Wert der Höfe und der sonstigen Besitzungen wurden von der
DAG geschätzt. Pro Anwesen dauerte die Arbeit der Schätzungs¬
kommission etwa einen halben Tag.
Die ausbezahlten Entschädigungen waren anfangs großzügig.
Um neue Höfe oder arisierte Häuser zu besichtigen, wurde den
Bauern von der DAG Autos oder Motorräder zur Verfügung ge¬
stellt. Nach Kriegsbeginn schwand die Großzügigkeit, oft wurden
die Entsiedler unter Zwang in Höfe eingewiesen. Und Adolf Rau¬
scher, Lehrer zu Franzen, schrieb über den Kater nach dem Verei¬
nigungstaumel: „Mitten in diesen Glückstagen trübte Anfang Juni
eine traurige Nachricht jede Freude. Mehr als 45 Orte wurden zu
einem Truppenübungsplatz. So wurde alle Freude in Trauer und
Schmerz verwandelt.“
Insgesamt wurden 13 Gemeinden und 42 Ortschaften entsie¬
delt, dazu kamen zehn Mühlen und verschiedene Einzelgehöfte.
Die Entsiedlung begann im Juni 1938 und war bis 1942 abge¬
schlossen. 1385 Häuser mußten geräumt werden, an die 7.000
Menschen verloren ihre Heimat.
Warum haben die Nazis gerade dieses Gebiet ausgesucht? Da¬
für gibt es zwei Theorien und eine Erklärung. Theorie eins: Hitler
wollte seine eigene Biographie auslöschen. Bekanntlicherweise
hieß der Führervater als uneheliches Kind der Anna Schicklgruber
in Wirklichkeit Aloys Schicklgruber, und etwaige Rufe ,,Heil
Schicklgruber“ hätten nicht gerade zur Kriegsbegeisterung ange¬
facht.
Theorie zwei: Da viele Bewohner Nazis waren, erwarteten die
Behörden keinen wie immer gearteten Widerstand bei der Ent¬
siedlung. Zumal auch der Bischof Michael Memelauer in einem
Hirtenbrief die Gläubigen ersuchte, mit Gott den Wanderstab zu
ergreifen.
Die Erklärung: Schon seit der Monarchie gab es Pläne, auf die¬
sem dünn besiedelten Gebiet mit günstigen Geländeformationen
einen Truppenübungsplatz zu errichten. Diese Pläne wurden von
den Nazis übernommen. Dem Führer selbst dürfte die Führerva¬
tersheimat ziemlich egal gewesen sein.
Die Deutsche Ansiedlungsgesellschaft überreichte 1942 jedem
der „Umsiedler“ — das Wort „Entsiedler‘“ wurde peinlichst ver¬
mieden — das nicht im Handel erschienene Buch „Die alte Heimat,
Beschreibung des Waldviertels um Döllersheim.“
Im Jahr 1981 wurde das Buch ein zweites Mal aufgelegt. Neu
waren die Vorworte, gleich blieb der Text. Und so erfuhren die