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Leser im Jahr 1981: „In Pulkau beschuldigte man die Juden der Hostien¬
schändung, worüber es zu blutigen Verfolgungen kam. In Zwettl erschlug
man am Fest des hl. Georg alle ansässigen Juden. In diesen Ausschreitungen
machte sich die Wut der Bevölkerung über die artfremden Wucher und
Schmarotzer Luft.“ Daß sich bis jetzt kein Staatsanwalt eingeschaltet hat,
kann wohl nur damit begründet werden: „Bei der 48-Revolution hatte man
in falsch verstandener Menschlichkeit den Juden die volle Gleichberechti¬
gung gewährt. Die Gleichstellung bedeutete den Beginn einer jüdischen
Unterwanderung“.

Manche der leeren Häuser wurden schon bald nach der Entsiedlung zu
Lagern umfunktioniert. Die Gefangenen wurden aus den zuerst eroberten
Staaten Polen, Belgien und Frankreich hergeschleppt, später kamen viele
sowjetische Soldaten dazu. Sie arbeiteten im Steinbruch bei Germanns — der
Betrieb wurde Tag und Nacht aufrecht gehalten -, sie bauten Straßen und
verrichteten Land- und Forstarbeiten für die Heeresgutsverwaltung.

Manche der Gefangenen bastelten Kinderspielzeuge oder Holzkasetten,
die sie bei der heimischen Bevölkerung gegen Nahrungsmittel eintauschten.
Andere malten Aquarelle — etwa die „Russische Seenlandschaft‘“ oder die
„Alpenlandschaft“.

Über die Anzahl der Kriegsgefangenen gibt es keine exakten Angaben,
ebenso wenig wie über die in den Lagern untergebrachten Juden.

Klarer sind die Angaben über das „OFLAG XVII“, über das „Offizier¬
stammlager des Wehrkreises XVII“. Bis 1945 wurden etwa 4500 französi¬
sche und 300 polnische Offiziere interniert, dazu kamen etwa 1500 einfache
Soldaten als Personal. Sie wohnten in 39 Holzbaracken, die längs einer
Hauptachse nördlich von Edelbach errichtet wurden, deswegen verwendete
man auch die Bezeichnung „Lager Edelbach“. Die Baracken wurden durch
Eisenöfen beheizt und elektrisch beleuchtet.

Die Offiziere im Lager Edelbach waren zu keiner Arbeit verpflichtet, sie
mußten nur die Lagerordnung einhalten: „7 h Tagwache ... 22 h Licht aus“.

Unter ihnen waren Hochschulprofessoren, Ärzte und Priester. Manche
ergriffen die Initiative und hielten Vorlesungen oder Kurse; so wurden Spra¬
chen unterrichtet, aber auch Jus und Stenographie. In einer Baracke wurde
eine Druckerei eingerichtet, in der die Zeitschrift „Le Canard en K.G.“
(„Der Enterich in Kriegsgefangenschaft“) redigiert, illustriert, gesetzt und
gedruckt wurde. In der Nummer 18 vom 1.10. 1941 wurde stolz gemeldet:
„Le Stade PETAIN est inaugure“, das Petain-Stadion ist eröffnet. Zur Ein¬
weihung gab es ein Schauturnen und verschiedene Laufbewerbe. Die Num¬
mer 4 vom 8.2. 1941 enthielt das Vorlesungsverzeichnis. 74 Kurse wurden
angeboten, darunter „Griechisch II“, „Das Matterhorn“ und „Das Wunder
von Lourdes“.

Im der Theaterbaracke wurden unter anderem „Elektra“ von Ben Jonson,
„Die Perser“ von Aischylos und „Le Cid“ von Corneille aufgeführt.

Schier unglaublich ist die Tatsache, daß mehrere Geologieprofessoren
einen regelmäßigen Lehrbetrieb auf Universitäts- niveau einrichteten. Die
schriftlichen Arbeiten und Abschlußprüfungen wurden nach Kriegsende
von französischen Universitäten nostrifiziert.

Schon 1941 hatte J. Gandillot eine Sammlung von Steinen angelegt und
regelmäßige Vorlesungen gehalten. Als er Oktober 1941 das Lager verließ,
setzte Francois Ellenberger seine Tätigkeit fort. Er baute mit Kollegen und
Schülern ein Laboratorium für Petrochemie, Mikroskope und photographi¬
sche Aufnahmegeräte wurden gebastelt, unter improvisierten Bedingungen
wurden Steinschliffe vorgenommen. Man lehrte und forschte unter anderem
in den Fächern Lithologie, Stratigraphie, Paläontologie der Wirbellosen,
Evolution der Kopffüßer vom Kambrium bis zur Kreidezeit.

In dem von Friedrich Polleroß herausgegebenen Buch „1938, davor und
danach“ schreibt der Vortragende der Evolution der Kopffüßer, Marc Fi¬
scher: „Der Vorlesungsbetrieb wurde bis zur Evakuierung des Lagers im
April 1945 aufrechterhalten. Der Arbeitskreis Geologie kam noch drei Tage
vor der Heimreise zu einer Sitzung zusammen, und auf dem Programm wa¬
ren zu diesem Zeitpunkt noch Vorträge für die nächsten drei Monate.“

Und Francois Ellenberger berichtet: „Wir möchten noch hinzufügen, daß
die Hilfe, die uns zuteil wurde, immer von der Sorbonne, der Ecole Normale
Superieure oder von Freunden und Verwandten oder von internationalen
Organisationen in Genf kam, sodaß wir niemals auf das Entgegenkommen
unserer Feinde angewiesen waren.“

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