führt im afrikanischen Dschungel einen blu¬
tigen und aussichtslosen Krieg gegen die
Freiheitskämpfer aus Angola, Mogambique
und Guiné-Bissau. Das amerikanische Schei¬
tern in Vietnam vor Augen, glauben in den
Siebzigerjahren nur noch traumverwirrte Na¬
tionalisten an einen eventuellen Endsieg.
Den rekonvaleszenten Salazar klärt bis zu
seinem Tod niemand über die neuen Macht¬
verhältnisse auf. Täglich ruft der Alte auf sei¬
nem Landsitz das Kabinett zusammen, erteilt
Anweisungen, entläßt und befördert. Im letz¬
ten Interview (1970) kommt die Rede auf sei¬
nen Nachfolger. Salazar erklärt, Marcelo
Caetano sei „durchaus ein fähiger Mann. Nur
schade, daß er abgelehnt hat, in der Regie¬
rung mitzuarbeiten.“
Knappe drei Jahrzehnte danach besitzen 30%
der Einwohner ihr privates Handy, 40% fah¬
ren ein eigenes Auto. Aber jeder einzelne
Ämterweg kann - trotz des „Dia Nacional da
Desburocratizagäo“ — für den gelernten Por¬
tugiesen zur Qual werden: die versumpfteste
Bürokratie Europas hält sich noch immer
selbst am Laufen - ein riesiger Moloch mit
unnötigen Quittungen, schwer erlangbaren
Autorisationen und lächerlich komplizierten
Behördenwegen. Aus den Augen jedes klei¬
nen Schreibtischbüttels grüßt das Erbe des
großen Salazar, der bei vielen zwar als hoff¬
nungslos veraltetes Relikt, aber immerhin
auch als persönlich unbestechliche Vaterfi¬
gur gilt. Unterm Salazar hätt’s das nicht ge¬
geben, kann man noch immer in den Wein¬
stuben hören.
Denn 25 Jahre sind keine lange Zeit:
Beim Verlassen des Museums wende ich
mich doch noch einmal der dicklichen Aufse¬
herin zu: „Gibt es wirklich sonst keine Mate¬
rialien?“ Sie starrt mich mit Riesenaugen an
und schiittelt den Kopf wie eine Aufziehpup¬
pe: ,,Sie sind ja Journalist! Sie sind ja Journa¬
list!““, schreit sie, als wäre sie einem irren Fol¬
terknecht in die Hände gefallen, „glauben
Sie, ich bin so wahnsinnig und gebe Ihnen
noch irgendwelche Informationen? Sie sind
ein Journalist ohne Autorisation! Sie können
mich fragen, was Sie wollen, ICH SAGE
KEIN EINZIGES WORT MEHR!“
Martin Amanshauser, geboren 1968 in Salz¬
burg, einjähriger Aufenthalt in Lissabon
1988/89. 1989-1995 Studium von Geschich¬
te bzw. Portugiesisch/Spanisch/Afrikanistik
in Wien; Studienabschluß mit Diplomarbeit
„Al-Garb und Galicien, Die ,Reconquista‘ in
Portugal (711-1147)“. Seit 1996 Arbeit an
der Dissertation „Die mittelalterliche Stadt
im Westen der Iberischen Halbinsel“. Diver¬
se Übersetzungen aus dem Portugiesischen.
Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften
(„Wespennest“, „Literatur und Kritik“,
„Salz“ etc.), Zeitungen („Profil“, „Die
Presse“, „Falter“, „Standard“) und Antho¬
logien. Preise: Georg-Trakl-Förderungs¬
preis für Lyrik 1992; Fritz-Preis für Prosa
1995; Jahresstipendium fiir Literatur des
Landes Salzburg 1996; Staatsstipendium fiir
Literatur 1996/97; Rom-Stipendium fiir Lite¬
raten 1998; Max-von-der-Grün-Förderungs¬
preis/2. Preis 1998. Buchpublikationen: Im
Magen einer kranken Hyäne (Wiener Stadt¬
krimi, Wien-München 1997); Erdnussbutter
(Roman, Wien-München 1998).
1 A. H. de Oliveira Marques, Histöria de
Portugal, vol. III, 3. Auflage, Lisboa 1986.
Analphabeten-Statistik: 1878: 80%, 1911:
70%, 1930: 62%, 1950: 40%, 1960: 33%.
2 1 (1937), 13 (1938), 2277 (1939), 1994
(1940), 3677 (1941), 2906 (1942), 20 (1943),
3296 (1944), 411 (1945), 5529 (1946). Diese
Angaben sind sehr zu bezweifeln, da es ver¬
mutlich zu einem großen Schwund (siehe
1943) gekommen sein wird. Unklar auch,
wie man für diesen Zeitraum eine (jedoch
plausible) Gesamtzahl von 64.914 registrier¬
ten Gästen errechnet. Als Einzeldokumente
sind die Allongen viel aufschlußreicher, weil
man das Ankunfts- und Abreisedatum einzel¬
ner Hotelbewohner festlegen kann.
3 Diärio de Noticias, „Estoril lembra exilados
da II Guerra Mundial“, Lisboa, 19.2. 1999.
Weitere Literatur:
Manfred Scharinger: Die „Revolution der
Nelken“ Portugal 1974-1976. In: Revolutio¬
nen nach 1945. Wien 1998, 266-327.
Mario Soares: Portugal — Rechtsdiktatur zwi¬
schen Europa und Kolonialismus. Reinbek
bei Hamburg 1973.
Gisbert Jacoby on an interesting new Chess
Base CD, Robert Hiibner, World Champion
Alekhine, http://207.158.205.122/magazine/
cbm61/aljechin.htm
Wir trauern um Hochschulprofessor Dr. h.c.
Kurt Blaukopf, der seit deren Griindung Mit¬
glied der Theodor Kramer Gesellschaft war.
Theodor Kramer hat Blaukopf, der Kramer in
den 1930er Jahren durch Vermittlung seiner
Eltern freundschaftlich verbunden war, 1946
den großen Gedichtzyklus „Wien 1938“ ge¬
widmet. Die Briefe Kramers an Blaukopf be¬
finden sich heute im Österreichischen Litera¬
turarchiv der Nationalbibliothek, Wien.
Im Exil in Palästina hat Blaukopf zusammen
mit seinem Freund Willy Verkauf wesentlich
dazu beigetragen, daß die aus Österreich Exi¬
lierten aus der Diskussion über Vergangen¬
heit und Zukunft Österreichs neue Erkennt¬
nisse gewinnen konnten.
Einer breiteren Öffentlichkeit ist Blaukopf
jedoch als Verfasser bedeutender Schriften
zur Geschichte der österreichischen Musik
und als Begründer der Musiksoziologie in
Österreich bekannt. Sein zuletzt erschienenes
Buch „Unterwegs zur Musiksoziologie“
schlägt jedoch den Bogen von den Anfängen
zur Gegenwart. Denn Blaukopf hat bis zu¬
letzt an neuen Veröffentlichungen gearbeitet.
Kurt Blaukopf starb am 14. Juni 1999 86jäh¬
rig in Wien.
Eine Ausstellung und ein
Buch Leo Glückseligs
Leo Glückselig ist ein wunderbarer Erzähler.
Charismatisch, charmant, ironisch, selbstkri¬
tisch und ohne Bitterkeit. Letzteres ist kei¬
nesfalls selbstverständlich: Seelische und
physische Mißhandlung, Enteignung, Ver¬
treibung und ein erzwungenes (Über-)Leben
im Exil bilden — stellvertretend für soviele
Hitler-Flüchtlinge — die Etappen der Ge¬
schichte eines typischen und doch singulären
Wiener Juden des assimilierten, kulturtra¬
genden Bürgertum.
In seiner kleinen Wohnung in New Yorks
Stadtteil Washington Heights (einst zentraler
Zufluchtsort der Flüchtlinge, der unter dem
Titel „Viertes Reich“ lief, heute spanisch¬
sprachige Enklave mit puertoricanischem
Flair) erzählt der 85-jährige Glückselig die
Geschichte(n) seines Lebens auf mehrerlei
Arten:
einmal auf unzähligen Tonbändern, die sei¬
ner „amerikanisierten“ Tochter Nina und ih¬
ren kleinen Söhnen die „alte“ Welt ihres
(Groß-)Vaters näherbringen soll;
einmal für die Schar der in den letzten Jahren
immer zahlreicher werdenden jungen euro¬
päischen Besucher, die spät, aber doch, die
Faszination eines lebendigen Stücks Zeitge¬
schichte suchen;
und einmal in seinen Zeichnungen, die über
die Jahre hinweg als Dokumente der persön¬
lichen Aufarbeitung des Erlebten dienen; von
einem Wien, das die NS-Fahne über dem Ste¬
phansdom schweben läßt, bis hin zur eigenen
Identitätssuche in Amerika.
Diese Zeichnungen, leise, aber sehr eindring¬
liche Blätter, die einzelne emotionelle Erleb¬
nisse als pars pro toto in den Vordergrund
stellen, stehen nun erstmals im Zentrum einer
Ausstellung in Wien, für die Glückselig die
beschwerliche Reise nach Europa auf sich
genommen hat. Denn diese Würdigung in
Wien, organisiert von zwei jungen Deut¬
schen, ist die Erfüllung eines Lebenstraumes,
wie Glückselig kurz nach seiner Ankunft in
einem Interview erzählt:
„Hätte ich genug Geld gehabt, wäre ich
Künstler geworden“, meint der Kunstgewer¬
beschüler, der seine Architektur-Ausbildung
„aus rassischen Gründen“ im Hitler-Wien
nicht mehr beenden konnte und in der Emi¬
gration als Grafiker für Time-Life tätig war.
Ein Schicksal, das viele seiner Freunde aus
der Studienzeit, die ebenfalls in die USA
fliehen mußten, teilen und das im Rückblick
auf die verlorene Künstlerkarriere bitter
schmeckt. Einer der großen zerstörten Träu¬
me, die bewußt und unterbewußt das Leben
im Exil mitgeprägt haben.
Die Geschichten zu Leo Glückseligs Grafi¬
ken und viele der Zeichnungen selbst finden
sich in einem brandneuen Buch, das ein wei¬
teres Highlight der Wiener Veranstaltungen
rund um Glückselig bildet. „Gottlob kein
Held und Heiliger! Ein Wiener ‚Jew-boy‘ in
New York“ betitelten die Salzburger Histori¬