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genstände in den Vitrinen: Fotos, Originalku¬
gelschreiber aus vornehmen Hotels, Zei¬
tungsausschnitte. Und dann gibt es da auch
schöne Dokumente für die Auswüchse der le¬
gendär-absurden portugiesischen Bürokratie,
die mit einem „Dia Nacional da Desburo¬
cratizagäo“ bekämpft wird, aber auch 25 Jah¬
re nach dem Ende der Diktatur noch lange
nicht überwunden ist: Autorisationen, Auto¬
risationen, Autorisationen. :
Als neutraler Staat wurde Portugal in den
dreißiger Jahren zum Sprungbrett für Gene¬
rationen von Emigranten — Emigranten aller
Seiten. Schon 1934 landete als Vorbote der
erste Prominente in Portugal: der spanische
General Sanjurjo, ein Weggenosse Francos.
Als er am 20. Juli 1936 in ein Flugzeug nach
Frankreich stieg, flogen er und seine Frau nur
wenige hundert Meter weit. Nahe Cascais
stürzte die Maschine ab. Die Absturzstelle
wurde zu einem Pilgerort für Falangisten, so¬
gar ein Monument wurde errichtet.

Ab 1937 trafen die ersten Hitlerflüchtlinge in
Estoril und Cascais ein. Aber erst die deut¬
sche Invasion in Frankreich führte zum gro¬
ßen Exodus aus Mitteleuropa. Die Hotels
füllten sich mit Ausländern, die verzweifelt
auf ihre Amerikavisa warteten, um einen der
begehrten Plätze auf einem der Ozeankreuzer
einzunehmen. Besonders intensiv wird die
Stimmung in den frühen Vierzigerjahren un¬
ter dem Emigranten in Erich Maria Remar¬
ques „Nacht über Lissabon“ beschrieben.
Das Regime Salazar zeichnete sich vor allem
nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs
als ein extrem repressives aus. Der farblose,
asketische, zurückgezogen agierende Dikta¬
tor stützte sich weder auf eine Massenbewe¬
gung noch auf eine faschistische Partei, son¬
dern auf viel stärkere Säulen: die katholische
Kirche, die Armee, die Polizei und die Zen¬
sur, der er persönlich vorstand.

Vor mir liegt eine Original-Autorizagäo aus
den Vierzigerjahren in der Vitrine: ein fran¬
zösischer Fotograf erhielt die Erlaubnis, alle
gekrönten Häupter zu fotografieren, die ihm
über den Weg laufen. Und das waren nicht
wenige: im Juli 1940 kam Ex-König Ed¬
ward VIII., der zuvor „aus Liebe“ vom briti¬
schen Thron zurückgetreten war, gemeinsam
mit seiner amerikanischen Frau Wallis War¬
field Simpson. Der 44jährige Herzog von
Windsor zog einen Rattenschwanz von Spio¬
nen hinter sich her: Deutsche wollte ihn nach
Spanien entführen, englische Agenten verei¬
telten das Projekt. Das Paar lebte vier Wo¬
chen in der Villa des Bankiers Espirito Santo
Silva hermetisch abgeschlossen, bevor sie in
Richtung Bahamas abreisten, wo der verhin¬
derte König immerhin Gouverneur wurde.
Ein anderer Exilant war Otto von Habsburg
(Ankunft am 3.3. 1940), er und sein Troß
wohnten zwischenzeitlich in der „Quinta da
Serra“ in Carcavelos, einem kleinen Örtchen
ein paar Kilometer in Richtung Lissabon. Im
gleichen Jahr kam auch die dänische Königs¬
familie durch Portugal.

Nach dem Krieg reisten dann die Könige und
Thronfolger ohne Thron ein: 1945 Don Juan,

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Graf von Barcelona und spanischer Thron¬
prätendent, 1946 Kurzzeitkönig Umberto II.
von Italien, durch ein Referendum des Amtes
enthoben, 1947 Ex-König Carol II. von Ru¬
mänien (schon zum zweiten Mal, sechs Jahre
zuvor war er durchgereist), der 1953 in Esto¬
ril starb. Und 1948 erschien noch ein letzter
trauriger Staatschef auf der Bühne: der Ungar
Miklös Horthy, der ebenfalls bis zu seinem
Tod (1957) in Estoril Exil fand.

Ebenso wie hier aufgezählt, stehen im Exil¬
museum von Estoril die gekrönten und ge¬
stürzten Häupter nebeneinander: tragische
Macht, egal, ob nun Opfer des Nationalsozia¬
lismus oder „Opfer“ der Demokratie. Der po¬
litische Hintergrund bleibt (sieht man von ei¬
ner Zeittafel der Ereignisse des Zweiten Welt¬
kriegs in Europa und Portugal ab), weitgehend
ausgeklammert, die zwiespältige Rolle Portu¬
gals wird überhaupt nicht thematisiert.
Estoril und Cascais galten nach dem Ersten
Weltkrieg als schicke Modeorte für die Rei¬
chen — sagenumwobene Casinos, luxuriöse
Hotels, exklusives Strände. Der Sud-Express
fuhr damals von Paris über Lissabon Santa
Apolönia bis zur Endstation Estoril. Die
Stadt Lissabon galt bei den hohen Gästen
hingegen als etwas unfeiner Moloch, in dem
die Armut der Bevölkerung doch gar zu offen
an den Tag trat.

Die Cämara Municipal von Cascais zählte in
den Jahren 1937-1946 die Gäste, die die Ho¬
tel-Allonge in allen Hotels und Pensionen
ausfüllten.? Unter ihnen so bekannte wie Ste¬
fan Zweig (1938 in Monte Estoril), Orson
Welles (auf der Durchreise im Hotel Palä¬
cio), Jean Gabin (Durchreise nach Südameri¬
ka, 1941), Ignacy Paderewsky (Komponist,

blik und Präsident des polnischen Exilparla¬
ments in Frankreich, 1940), der Literaturno¬
belpreisträger Maurice Maeterlinck (in Esto¬
ril, September 1939), Regisseur Max Ophüls
(in der Pensäo Mar e Sol, Juli 1941), Antoine
de Saint-Exupery (Hotel Paläcio, November
1940), John Keynes (Ökonom, Mai 1941,
Hotel Paläcio), die junge Indira Nehru (spä¬
tere indische Premierministerin, Hotel Palä¬
cio, November 1940), Autanas Swetone (li¬
tauischer Präsident, Pension Zenith in Monte
Estoril 1941), Emily Nolte (gründete 1939
die Deutsche Schule in der Vivenda Pilar in
Estoril, die dann Schauplatz diverser deut¬
scher Spionagetätigkeiten war), Thomas
Muggeridge (englischer Schriftsteller und
Spion, Pensäo Royal, Mai 1942), Nubar
Sachs Gulbenkian (Iranerin, englische Spio¬
nin, 1940) und die beiden jugoslawischen
Starspione Dusan Popov und Bocko Chri¬
stich.

Überhaupt traten sich die Spione an der Kü¬
ste von Estoril auf die Füße, tauschten richti¬
ge oder gefälschte Informationen aus. Diese
rege Tätigkeit brachte den Engländer Ian
Lancaster Fleming (auch er Spion und
Schriftseller, 1941 im Hotel Paläcio unterge¬
bracht) auf die Idee, das Buch „Casino
Royal“ (1953) zu schreiben und den Spezial¬
agenten 007 zu erfinden.

Nicht alle prominenten Emigranten verließen
Portugal lebend: Schachweltmeister Alexan¬
der Aljechin (geboren 1892 in Moskau, fran¬
zösischer Staatsbürger) — der gerne im Casi¬
no seine Simultanpartien spielte — stirbt am
25.3. ’46 unter ungeklärten Umständen in
seinem Hotelzimmer im Hotel Paläcio. Dort
wird auch das berühmte Todesfoto des Man¬
nes geschossen, der zwischen 1927 und 1946
die Schachwelt beherrschte: der Weltmeister
sitzt zusammengesunken vor seinem gedeck¬
ten Tisch, im Vordergrund ein unberührtes
Schachbrett.

Wenn Museumskurator José Luis Judas von
der Camara Municipal de Cascais in seiner
Eröffnungsrede betont hat, das Museum sei
„der anonymen Masse an Durchreisenden“
gewidmet?, so ist davon neben der etwas win¬
digen Statistik wenig zu sehen: die Masse hat
einfach unspektakuläre Spuren hinterlassen —
und um so weniger hinterläßt das menschli¬
che Leid eine Spur in einem Hochglanzmu¬
seum. „Das hier war ein Land, das gerne
Flüchtlinge aufgenommen hat, und wird es
auch bleiben“, bekräftigte Judas bei der Er¬
öffnung dieses, wie er betonte, für die Iberi¬
sche Halbinsel einzigartigen Ortes.

Das Exilmuseum reflektiert ungebrochen das
kollektive Bewußtsein Portugals, was den
Zweiten Weltkrieg betrifft: bei der Darstel¬
lung auf den Schautafeln wird keine Zäsur
gemacht zwischen der Emigration der
Flüchtlinge des Hitlerregimes und der Emi¬
gration gekrönter Häupter vor und nach dem
Weltkrieg — ein Bild zeigt etwa Bruno Mus¬
solini, den Sohn Benitos, auf einem Portugal¬
besuch 1939 beim Anschneiden einer Torte
auf einem großen Bankett im Hotel Paläcio.
Salazars Rolle als Kriegsgewinnler wird
ebensowenig behandelt wie die allumfassen¬
de Zensur und die Unterdrückung regimekri¬
tischer Meinungen. Auf diese Art verkommt
die Exilstation Estoril zu einer obszön-no¬
stalgischen Party der europäischen Ober¬
schicht, die durch die tragischen Umstände
des Weltkrieges erst möglich wurde.

Die portugiesische Opposition hatte ge¬
glaubt, mit der Ni&derlage Deutschlands wer¬
de es auch zu einem Ende des Faschismus auf
der Iberischen Halbinsel kommen. Das war
ein Fehler: gerade.nach 1945 herrschte das
anachronistische System unter Vorspiege¬
lung einer Scheindemokratie weitere 30 Jah¬
re. Der Niedergang des portugiesischen Stän¬
destaates sollte erst rund 25 Jahre nach der
Emigrationswelle, die über Estoril hınweg¬
ging, beginnen. . i
1968 stiirzt Salazar in einer symboltrachtigen
Szene während einer Fernsehübertragung
vom Sessel - und synchron mit der Gebrech¬
lichkeit des längstdienenden -Diktator Euro¬
pas sollte auch sein Lebenswerk auseinan¬
derbrechen, der hermetische ,,Estado Novo“.
Sein Nachfolger, der Jusprofessor Marcelo
Caetano, steht für gemäßigte Liberalisierung.
Aber auch er findet keinen Ausweg aus der
Salazarschen Abschottungspolitik. Vor ai¬
lem kann er die fatale Marschroute in den.
Staatsbankrott nicht mehr bremsen: Lissabon