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1998 wurde die Einrichtung eines „Hauses der Toleranz“ in Wien vorgeschlagen, einer Mahn- und Gedenkstätte, die die Besucherinnen und Besucher durch die Vergegenwärtigung der schrecklichen Folgen von Intoleranz dazu anhalten sollte, in Hinkunft Toleranz zu üben und sich vor Fanatismus und Unduldsamkeit zu hüten. Gleich meldeten sich andere Interessierte zu Wort; ein Erforscher der Schicksale österreichischer Kriegsgefangener in der Sowjetunion und ein Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums plädierten für ein „Haus der Geschichte“, in dem es nicht nur um die Geschichte der Verfolgung von ‚Minderheiten‘ gehen sollte, sondern ebenso um die Leiden und Taten des ‚Mehrheitsvolkes‘. Dann wurde das in Aussicht genommene Gebäude von der Parlamentsdirektion in Beschlag genommen; die Debatte verlor dadurch schnell an Aktualität. Denn es ist ein Charakteristikum Wiens, daß man sich Öffentlichkeit im Grunde nur in Form von öffentlichen Plätzen und Bauten, von Ringstraßenpalais und repräsentativer Lage vorstellen kann, so daß also eine neue Idee nicht etwa von der Sache, um die es zu tun ist, ausgeht, sondern von der ins Auge gefaßten Baulichkeit. Die weitere Schwierigkeit liegt nicht allein darin, daß „Haus der Toleranz“ französisch ,,maison de tolérance“ (Freudenhaus) hieße, sie liegt historisch im Begriff der Toleranz selbst: Das „Toleranzedikt‘, mit dem der absolutistische Herrscher Josef II. die Staatsgewalt anhielt, die öffentliche Ausübung anderer Religionen als der katholischen hinfüro zu dulden, bezieht sich auf das Verhältnis der Obrigkeit zu ihren Untertanen. Toleranz ist kein Verhältnis zwischen gleichberechtigten Bürgern. „Toleranz“, schrieb J. W. Goethe, „sollte nur eine vorüberhehende Gesinnug sein; sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ (Wir verdanken das Zitat einem Aufsatz des in München lebenden iranischen Exil-Autors SAID, erschienen in der Zeitschrift „Literatur und Kritik“.) Die Übertragung des Toleranzgebotes aus der politischen Sphäre auf die gesellschaftlichen Beziehungen der Personen war der Grundfehler jener politischen Aufklärung, die in Österreich in den letzten Jahren praktiziert wurde. Die Menschen wurden aufgefordert, in sich selbst einen kleinen aufgeklärten Absolutismus auszubilden, den Fremden, das Andersartige, die Minderheit zu tolerieren — den zugewanderten Nachbarn beim Beschneiden der Gartenhecke nicht mit der Gartenschere zu stechen, um es in einem für ein Volk von Häuselbauern naheliegenden Bild auszudrücken. Aber „bloßes Dulden heißt beleidigen“, schafft keine Vereinigung zwischen dem Duldenden und dem Geduldeten, läßt sie je mit sich allein, nagt auch am Herzen des Beleidigers fort. Die nun offensichtlich gescheiterte politische Aufklärung jener Jahre, die über dem Aufstieg eines Jörg Haider und seiner Bewegung vergingen, forderte von dem Menschen nur eine abstrakte Haltung, eine staatsmännische Abwendung vom Grauen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und von allem, was möglicherweise wieder dazu führen könnte. Sie verlangte keine geistige Anstrengung, nicht wirkliche Kenntnisnahme des Geschehenen, nicht tätigen Zusammenschluß mit Gleichgesinnten, nicht Aneignung und Anerkennung des zunächst Fremden. Diese politische Aufklärung blieb unvermittelt mit Traditionen des Widerstands, nährte sich sogar zum Teil aus der Skepsis über Möglichkeit und Wirksamkeit des Widerstandes in der nationalsozialistischen Periode. Da schreibt ein Kind österreichischer Widerstandskämpfer, Jacqueline Lillie, im New Yorker „Aufbau“ vom 11.2. 2000: „Von Anfang an weigerte sich die Republik Österreich, sich ihrer Geschichte zu stellen. Allzu leichtfertig griff man die Mär auf, daß Österreich Hitlers erstes Opfer war. Eine Verweigerung der Geschichte, die sich schnellstens zu einer Verharmlosung der Gefahr entwickelt, wenn diese sich nochmals bemerkbar macht.“ An dem Zitat ist so ziemlich alles falsch, was überhaupt falsch sein kann, doch es zeigt, wie es selbst in den besten Köpfen bei uns zugeht. Nur kurz dazu. Der Staat Österreich war sehr wohl ein Opfer der nationalsozialistischen Weltherrschaftspläne, wenngleich nicht das erste. Die „Wiedervereinigung des Landes Österreich mit dem Deutschen Reich“ zielte auf die Auslöschung Österreichs als geschichtliches und nationales Gebilde und wirkt bis heute als tiefe Kluft zwischen NS-Befürwortern und NS-Gegnern in der österreichischen Gesellschaft nach. Dies als eine „Mär“ zu deklarieren, blendet den Widerstand, der sich wesentlich gegen die Annexion durch Hitlerdeutschland richtete und sich darin mit dem Widerstand in anderen Ländern verband, aus. Nicht der Widerstand (ob im Lande selbst oder im Exil) mit seinen Irrtümern und Errungenschaften ist nun die Achse, um den sich das weitere Nachdenken dreht; das Land Österreich wird zu einer Instanz, an deren Erkenntnisfähigkeit appelliert, deren Unfähigkeit zur Selbsterkenntnis beklagt wird. Unwillkürlich ist an den Ort eigenen Erkennens und eigener Tätigkeit der Stellvertreter Staat gerückt. Aus dem Gesagten läßt sich vielleicht verstehen, warum Parolen wie ,,Zivilgesellschaft“ und „Widerstand“ großes Ansehen in der Protestbewegung gegen die ,Heimatblock ‘-Regierung von ÖVP und FPÖ genießen. Man will mit der auf ein bloßes Bekenntnis zur Toleranz und eine Abwendung vom Grauen der Shoah verengten und vereinseitigten politischen Aufklärung brechen, den Widerstand als gelebte Humanität fassen und nicht nur als das Bestreben, die Staatsorgane zur Wahrung der Menschenrechte zu veranlassen. Das Beispiel Harry Spiegels, dem Erich Hackl in diesem Heft der MdZ einen nachdenklichen Nachruf widmet, könnte wie vieles andere, das in den letzten Jahren in MdZ veröffentlicht wurde, im Zusammenhang einer Neuorientierung helfen. Manchmal jedoch hat man den Eindruck, Opponenten der ‚Heimatblock‘-Regierung erträumten sich unter dem Begriff „Zivilgesellschaft“ eher eine Art Wiedergeburt der Honoratiorenrepublik, wie sie in städtischen Selbstverwaltungen des 19. Jahrhunderts bestand, wo sich Seine Ehren der Schuldirektor mit Seine Ehren dem Herrn Apotheker und Seine Ehren dem Fabrikanten zum scheinbar gewaltfreien Interessensausgleich und zur patriarchalen Herrenrunde zusammenräsonierten. So erklären denn in teuer bezahlten Inseraten sogenannte Opinionleader heute, daß sie mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ nicht einverstanden seien, und namhafte Künstler werden zusammen mit anderen Prominenten gebeten, ihrer Empörung durch eine Unterschrift Ausdruck zu verleihen. „Der Geruch, der einen Raum ausfüllt, wird von seinen ständigen Benützern nicht mehr wahrgenommen. Wir nehmen die Veränderungen wahr, aber das Immergleiche entzieht sich unserer Wahrnehmung.“ Die großen Demonstrationen der letzten Tage haben eines bewirkt: Daß man den Geruch, der Österreich erfüllt, langsam wieder wahrnimmt. Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser 3