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Die jüdische Gemeinde in Baden bei Wien von den Anfängen bis zur größten Gemeinde Niederösterreichs Obwohl bereits unter Franz I., der Baden zu seiner Sommerresidenz wählte, privilegierte Wiener jüdische Familien (Arnstein, Eskeles, Todesco u.a.) aus Wien in Baden und Umgebung Landhäuser besaßen, konnten sich Juden erst nach dem Toleranzpatent und dem Judenedikt von Josef II. dauerhaft niederlassen. Zuwanderung, vor allem aus Westungarn, vergrößerte rasch die Anzahl der jüdischen Einwohner. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es bereits mehrere private Bethäuser in Baden, so auch in der Grabengasse 14. Die Israelitische Kultusgemeinde Baden erwarb diese Liegenschaft und errichtete eine große Synagoge. Das ursprüngliche Bethaus wurde für den religiösen Unterricht genutzt. Der jüdische Friedhof in der Halsriegelstraße 30 konnte vergrößert und 1904 eine Zeremonienhalle erbaut werden. Um die Jahrhundertwende war die jüdische Gemeinde in Baden mit fast tausend Mitgliedern die größte in Niederösterreich. In dieser Zeit der Blüte leisteten die jüdischen Bürger nicht nur ihren Beitrag zu der wirtschaftlichen Entwicklung von Baden. Berühmte Persönlichkeiten entstammten ihrer Mitte: stellvertretend seien hier nur Karl Landsteiner und Max Reinhardt genannt. Für Baden überaus bedeutsam waren die Komponisten, Dichter, Maler, Musiker und Schauspieler aus Wien, die teilweise selbst zur Kur kamen oder im Rahmen des lebhaften sommerlichen Kulturbetriebs tätig waren. Darunter waren viele jüdische Künstler wie Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Franz Werfel, der Musikkritiker Eduard Hanslick und der Operettenkomponist Edmund Eysler. Zerstörung und Vertreibung Trotz einer heftigen antisemitischen Welle in den Anfangsjahren der Ersten Republik und des bedrohlichen Anwachsens dieser Strömung nach der Weltwirtschaftskrise traf die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 die Badener jüdische Gemeinde mit bis dahin unvorstellbarer Grausamkeit: Entrechtung, Raub, Vertreibung, schließlich Deportation und Ermordung derjenigen, die sich nicht mehr retten konnten. Die Zeremonienhalle am Friedhof wurde vollständig zerstört, die Synagoge geplündert und als Lagerhaus mißbraucht. Dem letzten Rabbiner von Baden, Dr. Herwig Naftali Carlebach, gelang die Flucht in die USA. Sein Sohn Shlomo Carlebach wurde weltweit bekannt als der „singende Rabbi“. Die Synagoge, heutiger Zustand Neubeginn im Schatten der Vergangenheit Die kleine Gemeinde, die sich nach dem Krieg Anfang der 50er Jahre in Baden neu ansiedelte, gründete den Jüdischen Synagogenverein Baden und adaptierte 1964 provisorisch das alte Bethaus in der Grabengasse. In ungebrochener Treue zum Glauben und den Traditionen legten diese tapferen Menschen einen Grundstein für neues jüdisches Leben in Niederösterreich. Der Wunsch, das schwer beschädigte, mittlerweile vom Verfall bedrohte Gebäude der großen Synagoge zu retten, wird immer dringender, doch fehlen die finanziellen Mittel. Zur Zeit laufen Diskussionen mit der Israelischen Kultusgemeinde Wien, um eine realistische Lösung zu finden. Ohne die längst überfällige Unterstützung seitens Öffentlicher Stellen wird das Vorhaben nicht durchführbar sein. Aufbau für die Zukunft Der Jüdische Synagogenverein Baden unternimmt große Anstrengungen, das religiöse und gemeinschaftliche Leben weiter zu entfalten. Der jetzige Vorstand spiegelt einen teilweisen Generationenwechsel wider, dennoch wären die neuen, positiven Entwicklungen ohne den Elan und die Tatkraft von ehemaligen Emigranten nicht möglich. Das alte Bethaus wurde mit Unterstützung der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde vor kurzem völlig renoviert, mit einer Heizung ausgestattet und kann daher erstmals wieder ganzjährig Versammlungsstätte sein. Für die Leitung der Gebetsstunden wurde ein ausgebildeter Kantor engagiert: Yigal Altschuler aus Toronto (er studiert an der Musikuniversität Wien das Opernfach) hat die Aufgabe des Vorbetens übernommen. Sein Iyrischer Tenor, verbunden mit Temperament und Wärme, verbreitet eine freudige Stimmung, die alle Anwesenden erfaßt, und 41