OCR
die fein gebundenen „Buchenblätter. Jahrbuch für deutsche Literaturbestrebungen in der Bukowina‘.!° Selbst in jenem Milieu, aus dem später die Speerspitzen der nationalen Differenzierung zwischen Deutschen und Juden hervorgingen, dem akademischen, herrschte nach Gründung der Czernowitzer Unversität im Jahre 1875 Eintracht. Um die aus allen Schichten stammenden Universitätsangehörigen verschiedener Muttersprache ‚mit deutschem Geist, deutschem Wissen und deutscher Sprache“ vertraut zu machen, damit so die „widersprechenden Elemente zum Wohle des Einzelnen zusammengekittet werden“, wurde auf Initiative des Rektors Ende 1875 die „Akademische Lesehalle“ gegründet, die ihren Mitgliedern eine Bibliothek, Zeitungen und einen Vortragsraum zur Benützung bot.'! Die Devise „Für Kaiser und Vaterland, Wahrheit und Wissen“ verlor im Laufe der Zeit freilich für immer mehr Menschen an Bindungskraft. Sehr bald verließ die deutschnationale Verbindung „Arminia“ die „Lesehalle‘“. In den Neunzigerjahren entstanden auch jüdische akademische Verbindungen mit zionistischer Orientierung, denen aber keineswegs alle jüdischen Studenten angehörten. So wirkte der übernationale Gedanke auch im Universitätsbereich über Jahrzehnte weiter, bis in die Zwanzigerjahre unseres Jahrhunderts. Nationale Lagerbildung bedeutete nicht, daß traditionelle Beziehungen abgebrochen wurden. Man war ja weiterhin aufeinander angewiesen. So fanden etwa im „Deutschen Haus“!? regelmäßig von Zionisten veranstaltete „Vorträge über die Probleme des jüdischen Lebens“ statt.'” Unter dem selben Dach ereigneten sich die geselligen Zusammenkünfte der Schlaraffia, im Laufe derer, bei Verbot von Gesprächen über Politik, Nationalität und Religion, „deklamatorische und musikalische Vorträge ernsten und humoristischen Charakters in deutscher Sprache gehalten und Schöpfungen der Malerei, Bildhauerkunst und anderer verwandter Künste zur Besichtigung aufgestellt“ wurden. Das nationale Bekenntnis oder die Religion waren für die Aufnahme bedeutungslos, wichtig hingegen die gesicherte Stellung und Unbescholtenheit.'* Der „Verein der christlichen Deutschen“, dem auch Schlaraffen angehörten, wurde im Jahre 1897 unter dem Einfluß deutschnationaler, aus dem Gebiet des heutigen Österreich stammender Professoren gegründet, und bildete neben den akademischen Verbindungen den zweiten Kern deutschnationalen Bewußtseins. Seine Träger zogen es vor, besonders in politischen und wirtschaftlichen Belangen, von den Juden getrennte Wege zu gehen. Auch auf jüdischer Seite gab es um die Jahrhundertwende Stimmen gegen die seit Beginn des konstitutionellen Lebens geübte deutsch-jüdische Zusammenarbeit, die besonders deutlich in der Wahl gemeinsamer Kandidaten für Gemeinderat, Landtag und Reichsrat zum Ausdruck kam.'? Die jüdisch-liberale „Bukowiner-Rundschau“ versuchte dem entgegenzusteuern: „Unser Platz ist an der Seite der Deutschen.“'6® Und als sich vor den Reichsratswahlen 1907 abzeichnete, daß ein Teil der Deutschen, Dr. Wender, den jüdischen Kandidaten im Wahlkreis Czernowitz-West, nicht unterstützen würde, schrieb die „Bukowiner Deutsche Zeitung“: „Deutsche und Juden gehören politisch zusammen. Es ist ein großer politischer Fehler, dieses Bündnis sprengen zu wollen. Die Tnden werden sich mit Polen, Rumänen und Ruthenen verbünden.“ Mit der neuen Landeswahlordnung von 1910 erhielten Rumänen, Ruthenen und Polen eigene Landtagskurien. Deutsche und Juden bildeten zwar formell eine Einheit, waren de facto aber seit damals getrennt.'” Deutsche und jüdische Or ganisationen, die sich im umfassenden Sinne als Schutzvereine verstanden, wirkten auch im wirtschaftlichen Bereich, gründeten Kreditgenossenschaften, Sparkassen und Warenhäuser. Sie reagierten damit auf bestehende Schwierigkeiten, förderten so aber auch distanzfördernde Gruppenidentitäten. Veränderte die Eingliederung der Bukowina in den rumänischen Nationalstaat die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden? Der neue Staat war als politische Organisation des rumänischen Volkes konzipiert, dem die wirtschaftlichen und kulturellen Interessen anderer Nationen untergeordnet waren. Deshalb fand der Unterricht an staatlichen Schulen nur mehr in Rumänisch statt. An der Lehrerbildungsanstalt in Czernowitz wurde Deutsch abgeschafft.'® Besonders Juden waren in ihrer beruflichen und sozialen Stellung immer mehr gefährdet, etwa durch Entlassungen aus dem Staatsdienst oder Erschwernisse bei der Anerkennung der rumänischen Staatsbürgerschaft.'? Deshalb sind sich die Menschen aber nicht näher gekommen. Mittelfristig distanzierten sie sich noch mehr. Einerseits durch die Verfestigung der Idee der deutschen Volksgemeinschaft, andererseits durch die Stärkung des Zionismus.”° Die Liebe zum Theater, zur Musik, zum Film, kulturelle Traditionen wie Tanzveranstaltungen, an denen Angehörige verschiedener Nationalität teilnahmen, Konzerte im Musikvereinssaal oder im Volksgarten verbanden jedoch weiterhin. Dies erklärt den gemeinsamen Kampf für die Erhaltung des deutschen Theaters, das vor allem rumänischen Studenten ein Dorn im Auge war. Nach der Rumänisierung sorgte der Theaterverein unter bescheideneren Verhältnissen für Aufführungen im Musikverein 41