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und im „Deutschen Haus“. Von 1928 bis 1931 trat das Ensemble der „Czernowitzer Kammerspiele“ — Sigmund Pullmann, Stefan Rubasch, Georg Drozdowski und andere — mit meist heiteren Stücken auf; auch bei Wohltätigkeitsveranstaltungen zu Gunsten des „Vereines zur Bekämpfung der Tuberkulose unter der jüdischen Bevölkerung in der Bukowina“.?? Die musikalische Institution schlechthin war der „Verein zur Förderung der Tonkunst in der Bucovina“. Dank seiner Mitglieder konnte er eine Musikschule erhalten, Konzerte veranstalten und sogar Kompositionen fördern.” Georg Drozdowski erinnerte sich: „Ohne die jüdischen Ärzte, Advokaten, Kaufleute und Industrielle wäre ein deutscher Theater- und Kulturbetrieb kaum möglich gewesen. Für Gastspiele und Konzerte hätte die finanzielle Basis gefehlt. Die Zeitungen, sieht man von der nationalen Tagespost ab, hatten jüdische Autoren, ob sie nun Allgemeine, Morgenblatt oder Vorwärts hießen, und was an Büchern, älteren und Neuerscheinungen, ins Land kam, war im wesentlichen von Juden betreut.“* Und ein Kompliment für Jiddisch: „Gebildete und vornehme Familien, denen es für Witze gerade noch genug erschien, distanzierten sich von dieser Sprache. Und doch waren damit hohe geistige Leistungen zu vollbringen. Gedichte, Lieder, Prosa und vor allem Theater. Wer dafür Interesse bekundete, konnte in Czernowitz hochwertiger Aussage begegnen, und zu den Gastspielen der ‚Wilnaer‘ (jiddisches Schauspielensemble aus Wilna, Anm. GG) fanden sich reichlich Besucher, die keine Juden waren. Pikanterweise wurden diese Gastspiele im „Deutschen Haus“ absolviert, dessen Bühne mit Fresken umrahmt war, die germanische Gestalten wiesen.“ Bis Anfang der Dreißigerjahre gab es noch eine Menge weiterer, kleinerer Vereine, die auch so etwas wie „nationenübergreifende Klammern“ waren. Der „Internationale Arbeiter Sportklub“ maß sich mit nationalen Vereinen wie „Makkabi“ und „Jahn“ in Fußball, Leichtathletik, Eishockey und anderen Disziplinen. Und es gab die „Schlaraffia“ oder das „Colegium Muzicum‘“ des Dr. Rammler.”° Doch schon in den Zwanzigerjahren legte sich der Schatten des Kommenden tiber die Bukowina und Czernowitz. Ein bis dahin nur sporadischer Antisemitismus — größere Ausschreitungen wie in anderen Teilen Rumäniens gab es nicht - hielt nun auch in traditionsreichen Czernowitzer Milieus Eingang. Mathias Zwilling: „Mein Vater war bis 1928 Mitglied in einem deutschen schlagenden Studentenverein. Während des Studiums war er international und deutsch gesinnt. Dann begann eine Antisemitismuswelle. Er trat aus und wurde zum überzeugten Zionisten.“?” Für politische Bündnisse zwischen jüdischen und deutschen Politikern fehlten die Voraussetzungen. Die Wählerschaften waren gespalten. Im Jahre 1928 liefen Versuche zur Gründung eines sog. Minderheitenblockes, der für gleiche Rechte aller Staatsbürger hätte kämpfen sollen. Sie scheiterten.?® Allmählich wurde jedoch aus dem politisch-institutionellen Nebeneinander ein Gegeneinander, und dies war eng mit dem politischen Aufstieg und der Machtergreifung Hitlers verbunden. Von den deutschen und jüdischen Organisationen und ihnen nahestehenden Medien wurde der Aufstieg der NS-Bewegung einerseits interessiert-wohlwollend, andererseits aber kritisch-ablehnend aufgenommen. Eine kritische und warnende Stimme war die „Czernowitzer Allgemeine Zeitung“, die im „Deutschen Kalender für die Bukowina“ des Jahres 1927 neben „Tagespost“ und „Heimat“ noch als deutsche Zeitung angeführt wird. Für große Gesten deutsch-jüdischer 42 kultureller Symbiose war deshalb am Anfang der Dreißigerjahre kein Platz mehr. Es gab 1932 aber noch einmal „Buchenblätter“, traditionellerweise mit deutschen und jüdischen Autoren.”” Die Kluft zwischen hochfliegenden Erwartungen in das „neue“ Deutschland®” und andererseits der berechtigten Furcht davor wirkte sich auch auf die persönlichen Beziehungen aus. Rosa Zuckermann: „Ab 1933 haben deutsche Freundinnen, mit denen wir von der Kindheit an bis zur Universität zusammen waren, angefangen, sich ein bißchen von uns fernzuhalten, vielleicht aus Angst, daß sie darunter zu leiden haben werden, wenn sie mit Juden Freundschaft pflegen.‘?! Die Wirtschaftskrise und die Gewinne der antisemitischen, rechtsextremen Parteien in Rumänien förderten die Polarisierung und Isolation. 1936 wurde das Stadttheater wegen Geldmangel geschlossen. Auch das deutschsprachige Theater und der Musikbetrieb stellten ihre Tätigkeit ein. 1937/38 wurden die Zeitungen von der neuen Regierung der Zensur unterstellt. Auch Deutsche trugen den Boykott gegen jüdische Geschäfte mit. Angst und Mißtrauen förderten den Rückzug in halbprivate Zirkel wie die „Schlaraffia“, und es ist anzunehmen, daß man dort eher unter sich blieb. So war es jedenfalls mit dem „Buchenländer deutschen Dichterbuch“,’”” welches Alfred Klug 1939 in Stuttgart herausbrachte. Kurz bevor der Krieg kam, beendete eine Vereinbarung zwischen der deutschen und der sowjetischen Regierung über die Umsiedlung der Bukowina-Deutschen die über viele Jahrzehnte in vielfältiger Weise fruchtbare deutsch-jüdische Wechselseitigkeit in Czernowitz. Georg Drozdowski schrieb in seiner neuen Kärntner Heimat, was heute im Czernowitzer Drozdowski-Saal zu lesen ist: [...] Bukowina, liebliches Land, Schrein vieler Sprachen und mancherlei Art! So verschieden die Menschen — sie haben einander geliebt, ehe sie irrten. Sie könnten einander wieder lieben in guter Gemeinschaft, doch der Geschichte eherne Tafel läßt nicht mehr löschen, was eingegraben ...” Anmerkungen 1 Georg Drozdowski: Damals in Czernowitz und rundum. Erinnerungen eines Altösterreichers. Klagenfurt: Verlag der Kleinen Zeitung 1985, 105. 2 Herausgeber des „Deutschen Kalenders für die Bukowina“ war der „Deutsche Kulturverein für die Bukowina“. Ihm gehörte Drozdowski in den Dreißigerjahren zeitweise als funktionsloses Vorstandsmitglied an. 3 Damals in Czernowitz, 104. 4 Ebenda, 106. 5 Gründungsansuchen und Statuten des Vereines „Schlaraffia Czernovicia“, Staatsarchiv Czernowitz. 6 Sprachenstatistik 1880: von 44. 600 Einwohnern der Stadt Czernowitz 22.720 Deutschsprechende, davon 11.449 Juden. Sprachenstatistk 1900: von 65.867 Einwohnern 34.441 Deutschsprechende, davon 21.587 Juden. In: Raimund Friedrich Kaindl: Geschichte der Stadt Czernowitz von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Czernowitz 1908.