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tausend Finsternisse todbringender Rede, würde hindurchgehen und wieder zu Tage treten, angereichert von all dem. Vom gleichen Gedanken motiviert, ging Rose Ausländer einen anderen Weg der Spracherneuerung, der mit ihrem Lebensweg eng verknüpft war. Rose Ausländers dichterische Entwicklung illustriert diese eigenwillige Wechselwirkung zwischen Innovation und Tradition. Ihre persönlichen Erfahrungen am Beginn ihrer Laufbahn werfen zudem ein Licht auf die inneren wie äußeren Widerstände, die jüdische Autorinnen in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts zu überwinden hatten, um sich selbst zu verwirklichen und anerkannt zu werden. Da die junge Rose Ausländer wenig Selbstvertrauen besaß, hatte sie ihre Gedichte unter einem Pseudonym an Karl Kraus gesandt, aber die Hoffnung auf eine Publikation in der Fackel wurde bald enttäuscht. Nachdem vereinzelte Gedichte im siebenbürgischen Blatt Klingsor und im Czernowitzer Tagblatt und Morgenblatt erschienen waren, brachte sie 1939 dank der Unterstützung Alfred Margul-Sperbers ihren ersten Gedichtband Der Regenbogen im Czernowitzer Verlag Literaria heraus. Aber der Verleger nützte ihre Unerfahrenheit aus. Wie aus Ausländers Korrespondenz hervorgeht, druckte er vierhundert statt der vereinbarten fünfhundert Exemplare, für die er den entsprechenden Druckkostenzuschuß kassiert hatte. In einem Brief an Margul-Sperber erklärte der Verleger zudem, er halte Rose Ausländer für inkompetent. Sie sei unfähig die Fahnen ihrer eigenen Gedichte zu überprüfen. Er bat daher MargulSperber, diese Aufgabe zu übernehmen. Auch der Doyen der Bukowiner Dichtung, der Rose Ausländer immer wieder ermutigt hatte, nahm ihr gegenüber gelegentlich eine herablassende, schulmeisterliche Haltung ein, erteilte ihr Lektionen über das Verfassen „guter Gedichte“ und behauptete, sie hätte gar kein Verständnis für Rhythmus, Stil und die Vereinbarkeit von Metaphern. Rose Ausländer beschwerte sich über die bitteren Pillen seiner Kritik, aber sie schluckte sie. Margul-Sperbers Kritik war indes nicht nur ungerecht, sondern auch Vorurteilen verhaftet. So vertrat er die aus der Literatur der Jahrhundertwende bekannte Theorie, die Gedichte Rose Ausländers seien Ausdruck der für die weibliche Natur charakteristischen ungehemmten Sexualität. Sie seien also nicht das Ergebnis eines bewußten, kreativen Reflektionsprozesses, der stilistische Kenntnisse voraussetzt. Ausländers Gedichte, selbst die Liebesgedichte, weisen indes die gleichen Merkmale wie die Texte anderer Bukowiner Autoren auf: die Verwurzelung im Expressionismus, in der Neo-Romantik und in Constantin Brunners Philosophie. Zudem hat Rose Ausländer nicht nur Liebesgedichte verfaßt, sondern auch die Erfahrung der Verfolgung in der Nazizeit thematisiert. Trotz der Rückschläge und vieler Schwierigkeiten ging Rose Ausländer ihren Weg unbeirrt weiter. In den USA, ihrer Wahlheimat in den zwanziger Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg, hatte sie sich vom neo-romantischen Stil ihres Frühwerks gelöst und avantgardistische Gedichte verfaßt. Doch erst im Alter von über sechzig Jahren, nachdem sie sich in Düsseldorf niedergelassen hatte, gelang ihr der entscheidende Durchbruch. Wie ihr Landsmann Paul Celan hatte auch Rose Ausländer erkannt, daß die Nazibarbarei der Sprache unaustilgbare Spuren eingebrannt hatte. Die „Blumenworte“ ihrer frühen Lyrik waren verwelkt. Anders als Celan zerstörte Ausländer indes nicht die vertrauten grammatischen und syntaktischen Strukturen, um die Schöpferkraft der Sprache neu zu entfachen, sondern ließ die „Sterne“ ihrer Czernowitzer Dichtung in immer neuen Konstellationen aufleuchten. Obwohl sie wie Heinrich Heine in einer Matratzengruft lebte und gegen eine schwere Erkrankung ankämpfte, gab sie die Dichtung, das Schreiben nicht preis. Die deutsche Sprache war und blieb nicht nur ihr Mutterland, sondern ihr Lebensinhalt. Gerade deshalb versuchte auch sie, mit ganz anderen dichterischen Mitteln als Celan, über die Erfahrung des Krieges, über die Shoah zu schreiben. Transnistrien 1941 Eislaken auf Transnistriens Feldern wo der weiße Mäher Menschen mähte Kein Rauch kein Hauch atmete kein Feuer wärmte die Leichen Im Schneefeld schlief das Getreide schlief die Zeit auf Schläfen Die Zunge der Himmelswaage ein funkelnder Eiszapfen bei 30 Grad Celsius unter Null? Auslanders Gedicht hebt die Grenzen zwischen Prosa und Lyrik auf. Es unterminiert vertraute Vorstellungen von Musikalität, die Verlaine einst als wichtigstes Kennzeichen der Lyrik betrachtete. Das Gedicht setzt drei unterschiedliche Konfigurationen von Metaphern der Zerstörung gegen einander ab: das Bild „des weißen Mähers“, das einem symbolistischen Stil entspricht; die Eislaken über Transnistriens Feldern, die Leichen, die Kälte, minus dreißig Grad Celsius, die für den faktischen Stil stehen; und Metaphern, wie die eingefrorene Himmelswaage, die existentiellen Probleme, die völlige Abwesenheit der Gerechtigkeit und den Tod evozieren. In den Schlußversen des Gedichtes konvergieren der traditionelle, metaphernreiche und der faktische Stil. „Die Zunge der Himmelswaage/ ein funkelnder Eiszapfen/ bei 30 Grad Celsius unter Null.“ Die Fusion von Fakten, die Brutalität evozieren, und Metaphern des Todes verwirklichen Celans Forderung nach einer graueren Sprache, deren Musikalität nichts mehr mit jener Euphonie gemeinsam hat, die neben dem schlimmsten Grauen dahertönte. Am Schnittpunkt verschiedensprachiger Völker und Kulturen erblüht, bildete die jüdische Frauendichtung der Bukowina die äußerste Randzone einer deutsch-jüdischen Literatur, die zunächst marginalisiert, später deterritorialisiert und schließlich an die Grenzen des Verstummens getrieben wurde. Denn diese Dichtung, in einem multikulturellen Biotop an der östlichsten Grenze der Habsburgermonarchie erblüht, erreichte ihren Höhepunkt, als die Bukowina bereits zum Königreich Rumänien gehörte und ging in den Wirren des Zweiten Weltkrieges unter. Nach dem Krieg trat sie „angereichert von all dem“, wieder zu Tage, blieb indes eine Literatur des Exils, der Diaspora. Das Andere, Fremde, das neben Multikulturalität und Marginalisierung im Mittelpunkt der Werke deutsch-jüdischer Autorinnen aus der Bukowina steht, nimmt in ihren Texten unterschiedliche Formen an. Für Ariadne Löwendal sind es die un61