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terdrückten bessarabischen Bäuerinnen, für Clara Blum ist es das chinesische Volk, für Rose Ausländer sind es die von den Nazis verfolgten Juden. Wie die drei Dimensionen der Identität dieser Autorinnen - als Frauen, Jüdinnen und Dichterinnen — sind auch die drei Dimensionen ihres Werkes, die multikulturelle, jüdische und Gender-Thematik so eng miteinander verflochten, daß man sie nicht trennen kann. Es ist die Wechselwirkung dieser Stränge, die dieser Literatur einen innovativen Charakter verleiht. Friderike Maria Zweig hatte einst geschrieben, die Sprache sei das einzige Land, aus dem man nicht vertrieben werden kann. Dies traf auch für die jüdischen Autorinnen der Bukowina zu. Diesen deterritorialisierten deutsch-jüdischen Lyrikerinnen und Schriftstellerinnen gelang es, sich ein Zuhause in der Sprache selbst zu schaffen. Schreiben wurde zum sinnstiftenden Prozeß, durch den sie ihre Identität als Frauen, Jüdinnen und Vermittlerinnen zwischen den Kulturen konstituieren konnten. Anmerkungen 1 Die Bukowina war eine multikulturelle Grenzregion per excellence. Im Verlauf ihrer wechselvollen Geschichte hatte das Buchenland zunächst dem Kiewer Ruß (10.-11. Jahrhundert), dann dem Fürstentum Halitsch (12.-13. Jahrhundert) und später dem Fürstentum Moldau zugehört, das ein Vasallenstaat Polens und, von 1514 bis 1769, des Osmanischen Reiches war. Im Jahre 1774, während des russischtürkischen Krieges, im Zuge geschickter österreichischer Verhandlungen, hatte der Sultan Abdul Hamid I. die Bukowina Joseph II. geschenkt. 2 Zur Marginalisierung der Bukowiner Dichtung hatten auch Literaturkritik und Verlagswesen beigetragen. Mitte der dreiBiger Jahre hatte der Lyriker Alfred Margul-Sperber die erste Anthologie deutsch-jiidischer Dichtung aus der Bukowina herauszubringen versucht. Aber seine Bemühungen blieben vergeblich. Der Nationalsozialismus schlug hohe Wellen, und alle deutschen Verlage lehnten es damals ab, jüdische Autoren zu publizieren. Trotz schroffer Ablehnung ließ sich Margul-Sperber nicht von seinem Ziel abbringen. Er sandte die Anthologie dem jüdischen Schocken Verlag in Berlin, der diese Gedichte veröffentlichen wollte. Aber der Schocken Verlag mußte 1938 schließen. Auch nach 1945 trugen Literaturkritiker und -historiker zur Marginalisierung dieser Literatur bei. Zeitgeschmack, Voreingenommenheit und mangelndes Verständnis verleiteten sie häufig zu ungerecht abwertenden Urteilen über eine Dichtung, die dem Vergleich mit den sogenannten großen Literaturen angeblich nicht standhielt. Erst in jüngster Zeit hat die wachsende Wirkung Paul Celans und Rose Ausländers das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit für die deutschsprachige Lyrik der Bukowina geweckt. So wurden die Gedichte einiger anderer jüdischer Lyriker wie Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, Immanuel Weißglas, Alfred Gong und Selma Meerbaum-Eisinger neu entdeckt und aufgelegt. Seit 1987 erschienen in Österreich und Deutschland einige Sammelbände, Ausstellungskataloge und Anthologien wie z.B. die Versunkene Dichtung der Bukowina (hg. v. A. Colin und A. Kittner. München: Fink Verlag 1994), die der dichterischen Leistung von Autorinnen Rechnung tragen. 3 Kafka, Franz. Tagebücher 1910-23. Frankfurt/M.: S. Fischer 1990, 151-52. 4 Gilles Deleuze/Felix Guattari: Franz Kafka. Pour une littérature mineure. Paris: Editions Minuit 1975. 5 Ariadne Löwendal: Bessarabische Teppiche. In: Versunkene Dichtung der Bukowina, wie Anm. 1, 160. 6 Clara Blum: Grimmiger Lebensbericht. Ebenda, 216. 7 C. Blum: Erst Recht! Gedichte. Kiew: Staatsverlag der nationalen Minderheiten der UdSSR 1939, 65-66. 8 Vgl. C. Blum: Der Hirte und die Weberin. Rudolfstadt: Greifenverlag 1951.— Obwohl von Feuchtwanger lobend besprochen, ist das Buch, 1951 in der DDR erschienen, heute in Vergessenheit geraten. 62 9 Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Frankfurt/M.: S. Fischer 1984-90, Bd. 4, 94. Subventionskürzungen Die Theodor Kramer Gesellschaft erhielt bisher für ihre Jahrestätigkeit von der Sektion für Kunstangelegenheiten des österreichischen Bundeskanzleramtes eine Förderung von öS 100.000, (seit 1994). Wir berichteten in Nr. 4/1999, daß uns heuer zunächst nur 25.000,— bewilligt worden sind. Die endgültige Bemessung der Subvention ist nun erfolgt: Die Suvention wurde um 10 % auf 90.000,— gekiirzt. Die Subvention fiir die MdZ bzw. ZW wurde im gleichen Ausma8 auf 90.000,— gekiirzt. Auch der Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur, der bei der Herausgabe von Buchpublikationen und bei Veranstaltungen eng mit der Theodor Kramer Gesellschaft zusammenarbeitet, wurde von 100.000,- auf 90.000,— gekürzt. Daß eine solche Kürzung weitgehende Folgen hat, wird am Beispiel der Dokumentationsstelle für neuere Österreichische Literatur deutlich: Aufgrund einer Kürzung von 10 % müssen dort 25 % der Arbeitskräfte eingespart werden, weil Mieten und Betriebskosten ja fix sind oder sogar steigen. Die Dokumentationsstelle mußte daher MitarbeiterInnen entlassen und die bisher an 5.000 Abonnenten im In- und Ausland versandte Zeitschrift „Zirkular‘ einstellen. Die Zeitschrift, ein wichtiges Informationsmittel für Literaturwissenschaftler, soll nun in einer Minimalversion im Internet weitergeführt werden. Die Zeitschrift existierte seit 1979; 20 Jahre konnte man sie sich leisten, den Aufstieg Österreichs zu einem der reichsten Länder der Welt hat sie nicht überlebt. Konkurs des Döcker Verlages Konkurs angemeldet hat die Geschäftsführerin des Döcker Verlages, Wien, Dr. Ulrike Döcker. Im Verlag für Gesellschaftskritik, der von Frau Döcker übernommen wurde, sind bekanntlich früher die Jahrbücher der Theodor Kramer Gesellschaft und -die Buchreiche ,,Antifaschistische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“ erschienen (immerhin 16 Bände). Die Theodor Kramer Gesellschaft und der Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur als Herausgeber der Buchreihe haben 1999 die Zusammenarbeit mit dem Döcker Verlag auch formell beendet, da es bei den Abrechnungen und bei der Abwicklung von Buchprojekten zu Unregelmäßigkeiten und großen Schwierigkeiten gekommen ist. Seitens der Theodor Kramer Gesellschaft und etlicher Autorinnen und Autoren der Buchreihe bestehen immer noch erhebliche Forderungen an den Döcker Verlag. Die Theodor Kramer Gesellschaft und der genannte Verein bemühen sich nun darum, die im Döcker Verlag nicht mehr erschienenen Bücher von Herbert Exenberger, Alfred Frisch, Stefan Pollatschek in eigenem Verlag oder in Kooperation (so mit dem Mandelbaum Verlag) herauszubringen und die noch vorhandenen Bücher der Reihe aus der Konkursmasse zu erwerben. Wir haben uns immer bemüht, mit der Gewohnheit zu brechen, daß ausgerechnet ExilautorInnen in Österreich für ihre Publikationen nichts bezahlt bekamen oder gar selbst zuschießen mußten. Daß ein österreichischer Verlag jahrelang keine Abrechnungen legte (und damit nur sein Ansehen verspielte), ist fiir mich besonders traurig. — S.B.