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densten Instrumenten. Im großen Speisesaal durften wir spielen. Die Frauen waren durch einen Zaun von uns getrennt, durch einen hohen Stacheldrahtzaun. Aber trotzdem hat dort jeder Bursch ein Mädel gefunden. Dort waren auch viele Ukrainerinnen und Russinnen untergebracht. Viele von ihnen bekamen Pakete von zu Hause. Sie haben oft geteilt mit uns und die Sachen über den Zaun geworfen. Man hat sie zwar dafür geschimpft, aber die Wache hat es nicht wirklich verboten. Wir waren auch im Lager von Lahotka, wo sich eine Waffenfabrik befand. Und das bedeutete, daß wir Geheimnisträger waren. Alle politischen Häftlinge waren in Lahotka inhaftiert. Da waren wir eine Woche. Dann hat man uns auf ein Schiff gebracht. Da war oben die Wache untergebracht, im Mitteldeck die Strafgefangenen und im Rumpf die politischen Häftlinge. Jetzt war es z.B. bei den Gangstern üblich, beim Kartenspiel oder Pokern auf jemanden zu setzen. Meist war es jemand, den sie nicht mochten, oder der sich mit ihnen angelegt hatte. Eines Tages kommt mein Freund Salomon zu mir und sagt: „Ich bin verloren. Jemand hat gehört, wie einer der Verbrecher gesagt hat, daß er mich verspielt hat. Das heißt soviel wie: Ein anderer darf mich umbringen.“ Plötzlich rief einer von oben herunter: „Salomon, komm her.“ Ich habe mich vor ihn gestellt und hinauf gerufen: „Was willst Du von Salomon?“ „Ich will seinen Pullover, ich habe ihn gewonnen. Aber ich werde wieder spielen und wenn ich gewinne, bekommt er ihn wieder zuriick“, kam die Antwort von oben. Sie können sich vorstellen, wie glücklich Salomon war, daß er nur seinen Pullover opfern mußte. Das waren so Spielereien. Das sind oberflächliche Anekdoten, die ich Ihnen hier erzähle. Ein Wunderrabbi taufte mich um Also, ich habe dann meine Frau in Moskau getroffen. Es hat dann noch drei Jahre gedauert, bis ich nach Wien konnte. Ich muß schon sagen, ich habe oft Glück gehabt. Ich erzähle Ihnen noch eine Sache: Meine Mutter hat vor mir auch einen Buben gehabt, der allerdings mit zwei Monaten gestorben ist. Und dann bin ich gekommen. Meine Mutter war sehr bigott. Sie ist zu einem Wunderrabbi gegangen und hat ihn um Hilfe gebeten, da ich krank war und die Ärzte meinten, daß ich wahrscheinlich nicht überleben würde. Der Rabbi sagte: „Und wie heißt er?“ Meine Mutter sagte: „Josef.“ Darauf meinte der Rabbi: „Nein, er heißt nicht Josef, ab heute heißt er“ — und er schlug die Thora auf — „Pinio!“ Das heißt Pinkas. Und seit damals heiße ich Pinio. Ich habe heute noch Kontakte nach Czernowitz zu einer Frau Zuckermann. Sie hat auch überlebt. Wir sind beide noch geborene Österreicher. Dann wurden wir Rumänen, dann wurde ich Russe und jetzt bin ich wieder Österreicher. Rumänischer Staatsbürger war man nicht automatisch. Man mußte um die rumänische Staatsbürgerschaft ansuchen. Als die Russen kamen, wurden wir automatisch Russen. Nicht nur die Bukowina, sondern auch Bessarabien. Bis zum Fluß Sereth ist es russisch geworden. Als Czernowitzer wäre ich jetzt Ukrainer. Ich hatte einen Onkel in Wien, er hatte eingeheiratet in die Familie Weiß in Kaisermühlen. Im Ersten Weltkrieg sind wir in die Nähe von Prag geflüchtet. Und wie er gehört hatte, daß wir dort sind, hat er uns geholt. Er hatte zur Hochzeit als Mitgift ein Haus bekommen und hat uns eine Wohnung in diesem Haus zur Verfügung gestellt. Erinnerungen an Czernowitz Wir hatten damals eine Magd, die sehr häßlich war und einen Buckel gehabt hat. Sie hat immer alle Frauen, die einen Mann hatten, als Huren beschimpft. Wir besaßen damals eine Landwirtschaft. Wir wohnten außerhalb der Stadt. Mein Vater hatte außerdem ein Wirtshaus, das noch heute steht. Im Jahre 1961 war ich noch einmal dort. Diese häßliche Magd hatte dann ein wunderschönes Töchterchen bekommen. Das Kind ist bei uns aufgewachsen wie unser eigenes Kind. Und als 1942 die Deutschen und dann die Rumänen wieder gekommen sind, haben sie die Einwohner in Reih und Glied antreten lassen. Jeder zehnte mußte heraustreten und wurde erschossen. Als die Bucklige herausgetreten war, ist auch die Tochter herausgetreten und hat gesagt: Erschießen Sie mich statt meiner Mutter. Die Deutschen haben beide erschossen. Das Mädchen hieß Rahel. Meine Rehabilitation Ich war 1961 rehabilitiert worden. Als ich in Czernowitz in meinem ersten Urlaub war, hat jemand anderer meine Arbeit übernommen. Ich bin also nach Czernowitz, da ich wieder meine Stadt sehen wollte. Dort lebte die Schwägerin meiner Frau, und ich habe sie getroffen. Und von dort bin ich in einen Kurort gefahren. Da habe ich ein Telegramm aus Wien bekommen von meiner Frau. Ich bin dann zum ersten Mal wieder nach Wien gefahren. Dann wieder zurück nach Czernowitz. Bei meiner ersten Ausreise durfte ich keine Dokumente und kein Geld mitnehmen. Bin ich zur Post gegangen und habe alles meiner Schwester geschickt. Mein Freund Salomon hatte in Czernowitz eine Russin kennengelernt und geheiratet, eine Kommunistin aus Kiew, und ist mit ihr nach Kiew gezogen. Ich habe ihn einmal besucht. Er wohnte in einer schönen Datscha. Nachdem ich drei Tage dort war, bekomme ich ein Telegramm aus Ust-Omtschuk, daß der Mann, der für mich meine Arbeit übernommen hat, dauernd besoffen sei und ich sofort wieder zurückkommen sollte. Ich beschloß also, mit dem Zug nach Swerdlowsk zu fahren, und die Anwältin, die mich damals beim Prozeß verteidigt hatte, aufzusuchen. Ich habe sie ersucht, meinen Akt herauszusuchen und um meine Rehabilitierung anzusuchen. Fünf oder sechs mal hatte ich bereits um Rehabilitierung angesucht und immer eine Absage bekommen. Ein Freund, ein alter Kommunist, hatte mich oftmals gefragt, was ich eigentlich verbrochen hätte. Ich habe ihm eben erzählt, was war. Da hat er gesagt, er habe einen Schulfreund, der im Gremium der Richter in Moskau sitze. Er werde ihm von mir schreiben. Und wirklich, eines Tages bekomme ich die Rehabilitation mit der Begründung, ich wäre eben aus dem Ausland gekommen und hätte daher die Gesetze in Rußland nicht gekannt. Als Entschädigung für zehn Jahre Haft und fünf Jahre Arbeit habe ich drei Monatsgehälter bekommen. Darauf bin ich wieder nach Czernowitz und in den Kurort Drohobytsch bei Stanislaw gefahren. Ein herrlicher Kurort. Dort sind Ölquellen und das Wasser ist fett und es gehen alle Runzeln weg. 67