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Es ist für mich eine ganz außerordentliche Ehre, hier Herrn Professor Burg bei seiner Lesung einleiten zu dürfen. Ich habe das Glück gehabt, vor etwas mehr als einem Jahr Professor Burg in Wien und später in Kiew zu sehen und sprechen zu dürfen; abgesehen von der Tatsache, daß wir uns rasch bezüglich der wissenschaftlichen Kooperation einigen konnten, hatte ich das Vergnügen, Josef Burg auch als Lesenden zu erleben, der seine Texte so vortrug, daß dem Geschriebenen die Spontaneität des Gesprochenen, jene unvergleichliche Mündlichkeit zuwuchs, wie andererseits, wenn er frei sprach, seiner Rede die Präzision der Schriftlichkeit nie zuwuchs und diese ihre Ursprünglichkeit doch bewahrte. Es ist vor allem die Gabe des Erzählens, eines Erzählens in einem sehr ursprünglichen Sinne, das jeder einzelnen Episode eine neue Dignität verleiht, das sie in die Aura auch des Paradigmatischen versenkt. Die bewußte Entscheidung Burgs, Jiddisch, wenngleich nicht nur, zu schreiben, war für seine Zeitgenossen von großer Tragweite, im Sinne der Erhaltung einer Sprache, einer Literatur. Und sie ist, wie Burg in einer seiner Erzählungen ausführt, doch auch wichtig gewesen, zumal dies Jiddisch für ihn zu einer Art Koine werden konnte, da - eine Episode aus Wilnius — ein alter Mann vor dem Erzähler durch die Jiddische Rede gleichsam zu sich selbst findet, und zugleich ein junges Mädchen ein Lied mit jüdischen Motiven singt, eine Sprache und ein Denken über die Zeiten hinweg. Mittlerweile hat sich in Österreich und teilweise auch in Deutschland so etwas wie eine Mitteleuropa-Nostalgie etabliert; manchmal gilt es auch als schick, sich als Beschützer und Bewahrer der Literatur und der Kultur aus der Bukowina zu gerieren. In der Tat ist es in einem Europa, dessen Stärke immer die Vielfalt und die Möglichkeit der Fremderfahrung in der Nähe war, das sich nun aber mehr und mehr dem Pidginenglisch ausliefert und sich auch ein Euro-Einheitsdenken zulegen möchte, in so einem Europa ist, gerade die Bewahrung kleiner sprachlicher und kultureller Einheiten von unerhörter Wichtigkeit. Aber dies sollte nicht nur unter einem naturschützerischen Impuls erfolgen, sondern aus dem Bewußtsein, hier mit einem Gebilde zu tun zu haben, dessen Vitalität sich stets aufs neue zu bewähren vermag. Burg selbst verweist auf Odessa als Beispiel, wo diese jüdisch-jiddische Tradition so gut wie ganz verschüttet war, aber dann doch wieder neu erstanden ist. Daß etwas im Bereich der Kultur untergegangen oder außer Kraft gesetzt ist, weil auBer Mode oder durch widrige historische Umstände verdrängt, ist eine höchst alberne These, die sich immer wieder zur Widerlegung geradezu aufdrängt. Der neue Band mit den jiddischen Geschichten Josef Burgs, erschienen im Peter-Kirchheim-Verlag, ist eben ein deutlicher Beweis des Gegenteils; er ist ein Beweis dafür, daß diese Literatur lebt, daß sie nicht zuletzt durch ihre genuine Sprache lebt, und daß unlängst an prominenter Stelle Josef Burg als der bedeutendste Schriftsteller in jiddischer Sprache nach Isaac Bashevis Singer genannt wurde, findet darin seine Bestätigung. Überdies nicht nur im Jiddischen; wer dem Deutsch Josef Burgs lauscht, wird darin eine Sprache aufbewahrt finden, die 68 wir schon verloren haben, eine klare und in der Lautung deutliche, in der Syntax gewählte doch nie manierierte, in unsere Gegenwart spricht so auch ein gutes Stück österreichischer Iiterarischer Tradition mit einer Stimme aus der Ferne. „Weit von wo?“ - diesen Titel hat Claudio Magris seinem Buch über die Literatur aus dem Osten, aus Galizien und der Bukowina gegeben, der Literatur der verschollenen Annalen. Dieses Wo schien versunken, man wußte nur, daß man weit von ihm war; es konnte sich zu keinem Dort verwandeln. Es blieb nur unser westliches Hier. Mit der Person Josef Burgs wird dieses Wo auch für uns wieder erkennbar und durch einen Menschen und durch einen Schriftsteller manifest. Gesprochen aus Anlaß der Präsentation von Josef Burgs Buch „Ein verspätetes Echo“ am 4.6. 1999 in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Josef Burg, geb. am 30.5. 1912 Wishnitz (Wiznitz, Wyinycia) in der Bukowina. Vater: Flößer. - Schule und Lehrerseminar des „Jüdischen Schul-Vereins“ in Czernowitz. Schreibt in jiddischer Sprache. 1934 erste Erzählung in der jiddischen Zeitschrift „tschernowizer bleter“. 1935-38 Studium der Germanistik in Wien. 1940, nach der Annexion der Nordbukowina durch die Sowjetunion, Flucht in die Sowjetunion. 1958 Rückkehr ins mittlerweile ukrainische Czernowitz. Vorerst Lehrer, dann freier Schriftsteller; seine Erzählungen werden in der seit 1961 in Moskau erscheinenden jiddischen Zeitschrift „ssowetisch hejmland“, aber auch in den USA, in Israel und Polen veröffentlicht. Seit 1990 gibt er in Czernowitz eine jiddische Monatszeitschrift in etwa 1000 Stiick Auflage mit dem Namen der 1938 zwangseingestellten, damals von Abbas Soifer redigierten ,,tschernowizer bleter“ heraus. Zu seinem 80. Geburtstag wurde in Czernowitz eine Festschrift zu seinen Ehren veröffentlicht. 1992 erhielt er den israelischen Segal-Preis für Literatur, 1993 wurde ihm der Ehrentitel „Verdienter Kulturschaffender der Ukraine“ verliehen. Werke: afn tschermosch (Auf dem Czeremosz, Bukarest 1939); ssam (Gift, Czernowitz 1940); doss lebn gejt wajter (Das Leben geht weiter, Moskau 1980); iberruf fun zajtn ( Uber die Zeiten hinweg, Moskau 1983); a farschpetikter echo (Ein verspätetes Echo, Moskau 1990); Ein Gesang über allen Gesängen (Erzählungen und Skizzen, Leipzig 1988); Ein verspätetes Echo/A farschpetikter echo (München 1999). € Czernowitz - Theaterplatz > Czernowitz, Theaterplatz. Postkarte, Sammlung H. Kusdat