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der Preisträgerin rund um die „Wehrmachtsausstellung“, sondern betonte auch die Bedeutung von Embachers Arbeit als Wissenschaftlerin. Insbesondere mit ihren Forschungen zur jüdischen Zeitgeschichte sowie Forschungsarbeiten zu Emigration und Exil habe sie wichtige Akzente gesetzt und damit die Öffentlichkeit und das offizielle Österreich „zu Schritten zumindest symbolischer Wiedergutmachung herausgefordert“. Ihrem Engagement und dem des Historikers Albert Lichtblau sei es zu danken, daß es 1993 zu einer offiziellen Einladung des Landes Salzburg an aus Salzburg stammende jüdische Emigranten gekommen war. Anfang der 1990er Jahre habe sie in persönlicher Initiative einen österreichisch-jüdischen Dialog gestartet, Einladungen und Gesprächskontakte organisiert, wobei sie sich im besonderen Maße um die Einbindung der sogenannten „Second Generation“, der Kinder von ShoahÜberlebenden, bemühte. Von Embachers Arbeiten hob Bauer insbesondere das 1995 erschienene Buch Neubeginn ohne Illusionen. Juden in Österreich nach 1945 hervor. Jüdische KZ-Überlebende und Flüchtlinge aus Osteuropa hatten auch in Nachkriegsösterreich unter Antisemitismus und Diskriminierungen zu leiden. Bauer bezeichnete Embachers Buch als „die längst überfällige, erste umfassende Geschichte der Juden und der jüdischen Gemeinde in Österreich nach der Shoah.“ Nach Ingrid Bauers Laudatio plädierte die Preisträgerin in einer kurzen Dankesrede für eine vorsichtigere Verwendung von Begriffen. Zivilcourage in einer Demokratie oder Proteste gegen die schwarz-blaue Regierung könnten nicht mit dem Widerstand gegen das NS-Regime verglichen werden, der mit Lebensgefahr verbunden gewesen sei und dem einzelnen großen persönlichen Mut abverlangt habe. Ihren eigenen gesellschaftspolitischen Auftrag sehe sie in der heutigen Zeit vor allem in der Fortsetzung ihrer wissenschaftlichen Arbeit als Historikerin. Im Anschluß an die Reden wurde der Preisträgerin eine Nike-Statuette aus Metall überreicht, eine abstrahiernde Darstellung der Siegesgöttin von dem aus Ungarn stammenden Künstlers Szoltan Papp: Kopf und Flügel sind nur angedeutet, die kantigen, sogar stachelig wirkenden Konturen versinnbildlichen Widerspenstigkeit, den Mut und den Willen, tätig zu werden. Mit dem Nike-Preis ist kein Preisgeld verbunden; er ist eigentlich eine Ehrung, kein Preis. Salzburg ist ein relativ konservatives Land, in mancher Hinsicht eine traditionelle Hochburg der Rechten. So ist es zu begrüßen, daß die SPÖ hier mit dem Nike-Preis ein Zeichen setzt. Gerade die SPÖ-Salzburg (insbesondere Walter Thaler, der Initiator des Nike-Preises) hat sich auch sehr für die Ermöglichung der „Wehrmachtsausstellung“ eingesetzt. Daß die Erörterung solcher Themen wie die Verbrechen der Wehrmacht oder die österreichisch-jüdische Geschichte manchen „entrü72, steten“ .Mitbürgern unangenahm ist, zeigte sich, als Radio Salzburg am 7. Juni anläßlich der Preisverleihung ein Interview mit Helga Embacher sendete. Prompt gingen beim ORF zahlreiche, teils anonyme Briefe und Kommentare einschlägigen Inhalts ein. Ein Nachbar, der bei Embachers Schwester in Bischofshofen (der Geburtsstadt Helga Embachers) anrief, um der Preisträgerin zu gratulieren, fühlte sich bemüßigt, außerdem noch mitzuteilen, daß er „die Juden“ eigentlich nicht möge. Und den „Salzburger Nachrichten“, der größten Zeitung des Landes, war die Verleihung des Nike-Preises nur eine winzige Glosse wert. Helga Embacher, 1959 in Bischofshofen geboren, ist Historikerin am Institut für Geschichte der Universtität Salzburg. Zur Zeit ist sie Mitarbeiterin der Historikerkommission der Republik Österreich und forscht über Restitution jüdischen Vermögens nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel der Israelitischen Kultusgemeinde und österreichisch-jüdischer Exilorganisationen. Sie lebt in Salzburg. Helga Embacher gehört dem Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft an. Werke: (Hg. und Bearbeitung) Lola Blonder, Anna Rattner: Zuflucht Palästina (Salzburg, Wien: Geyer 1990); Neubeginn ohne Illusionen. Juden in Österreich nach 1945 (Wien: Picus 1995); (Zusammen mit Margit Reiter) Gratwanderungen — die Beziehungen zwischen Österreich und Israel im Schatten der NS-Vergangenheit (Wien: Picus 1998); (Hg., zusammen mit Daniela Ellmauer, Albert Lichtblau) Geduldet — verschmäht und vertrieben. Salzburger Juden erzählen (Salzburg: Otto Müller 1998); (Hg., zusammen mit A. Lichtblau, Günther Sandner) Umkämpfte Erinnerung. Die Wehrmachtsausstellung in Salzburg (Salzburg: Residenz-Verlag 1999); (Hg., zusammen mit Josef Mautner, Ernst Fiirlinger) Salzburg: Blicke (Salzburg: Residenz 1999); (Hg., zusammen mit Hanns Haas, Charlotte Natmessnig) Vom Zerfall der Großreiche zur Europäischen Union. Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (Wien: Mitteilungen des Osterreichischen Staatsarchivs 2000/Bd.5). Für den 12. März hatte die NPD eine Demonstration unter dem Motto „Nationale Solidarität mit Österreich“ angemeldet und natürlich — quasi als Untertitel — „Wir sind ein Volk“ angefügt. Der Zug sollte durch das Brandenburger Tor führen. Nach dem Verbot der Veranstaltung durch den Polizeipräsidenten zogen die Neonazis vor das Verwaltungsgericht und bekamen in beiden Instanzen Recht. Mittlerweile aber hatte sich bereits ein breites Bündnis (neben den Grünen, dem Gewerkschaftsbund, den beiden jüdischen Gemeinden, auch Vertreter der SPD, der PDS, selbst der CDU und auch der „Antifaschistischen Aktion“, obwohl diese zu einer eigenen Gegen-Demonstration aufrief) gebildet. Diese „Berliner Initiative: Europa gegen Rassismus“ rief zu einer Kundgebung auf. Ort des Geschehens: Pariser Platz am Brandenburger Tor. Zeit des Geschehens: Sonntag der 12. März um 14 Uhr. Wer sich von so hübschen Sätzen wie „Vielfalt statt Einfalt“ oder „Bunt statt braun“ angesprochen fühlte, war herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Der Aufruf stieß auf ein so breites Echo, dass selbst die Aufrufenden überrascht waren, was sich auch darin ausdrückte, dass die Lautsprecher-Anlage unzureichend war. Das tat dem Gelingen des „friedlichen Fests“, wie Moderatorin Lea Rosh es nannte, keinen Abbruch, denn an einem bestand nicht der geringste Zweifel: am Brandenburger Tor war für Neonazis kein Durchkommen! Es war wirklich ein friedliches Fest. Und das war nicht zuletzt den Musikern (u. a. ein türkisch-deutscher Rap-Sänger und ein Klezmer-Duo) zu verdanken, dem Schauspieler Hilmar Tate, der Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ mit einer Verve vortrug, dass es einen schauderte und doch kurz vergessen ließ, weshalb man sich hier versammelt hatte. Aber nur kurz, denn es war bestürzend, auf der anderen Seite des Brandenburger Tors Glatzköpfe zu wissen. Das drückten auch viele der Redner (u.a. Bundestagspräsident Thierse und Andreas Nachama, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde) aus. Bestürzend, dass Neonazis diese Provokation überhaupt wagen. Und, was mehr ins Gewicht fällt, wagen können. Madeleine Petrovic machte in ihrer Ansprache klar, dass eine Regierungs-Koalition wie die derzeitige Österreichische solchen Umtrieben Auftrieb gibt, betonte aber, dass diese „Berliner Initiative“ und dieser Sonntag der Solidarität mit dem anderen Österreich und dem anderen, nämlich anti-rassistischen Europa für die Hunderttausenden von Anti-Haider-Demonstranten Unterstützung bedeuten. Von viel Zwischenapplaus unterbrochen und mit langanhaltendem Beifall am Schluss ihrer Rede, einem Gruß an diejenigen in Österreich, die auf Solidarität seitens der NPD dankend verzichten, wurde ihr Fest-Beitrag aufgenommen. Noch mehr Jubel kam auf, als Wolfgang Thierse, der sich „hinüber“ gewagt hatte, die Nachricht mitbrachte, die NPD-ler brächten gerade mal 200 Mann auf. „Stellt Euch vor“, kommentierte Lea Rosh, „wir sind fünfzigmal mehr!“ Damit war endgültig klar: am Brandenburger Tor ist heute für die Neonazis kein Durchkommen. Eine kleine Genugtuung, die die grundsätzlich notwendige Wachsamkeit nicht mindern sollte. Denn am Brandenburger Tor darf für Neo- und andere Nazis nie wieder ein Durchkommen sein. Susanne Alge