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Vladimir Vertlib Am Abend des 6. Juni 2000 wurde in der Aula der Salzburger Universitätsbibliothek zum ersten Mal der sogenannte „Nike-Preis“ überreicht. Der von der SPÖ-Salzburg initiierte und nach der griechischen Siegesgöttin benannte Preis trägt den Untertitel „Sieg der Zivilcourage über Intoleranz“ und soll alljährlich an Salzburgerinnen oder Salzburger verliehen werden, die sich durch besondere Zivilcourage und ihren Einsatz für Werte wie Toleranz und Humanismus ausgezeichnet haben. Den Namen der ersten Preisträgerin, die übrigens von den Leserinnen und Lesern der Salzburger Nachrichten, der Salzburger Stadtzeitung Fenster und der SPÖ-internen Informationszeitschrift Standpunkt durch Briefwahl nominiert wurde, erfuhr man (offiziell) erst im Zuge der Preisverleihung. Die Jury (Ingrid Bauer, Historikerin; Hans Holzinger, Bibliothek für Zukunftsfragen; Herbert Kron, Salzburger Kunstverein: Romana Rotschopf, Büro für Frauenfragen; Günther Sandner Wissenschaftsagentur; Siegbert Stronegger, ORF; Barbara Wicha, Politikwissenschaftlerin) hatte die Nennungen aus der Bevölkerung (insgesamt 23 genannte Personen und Institutionen) zur Ausgangsbasis für ihre Entscheidung genommen, wobei die Häufigkeit der Nennungen für jeweils eine Person oder Institution keine primäre Rolle gespielt haben soll. (Allerdings zählte die Preisträgerin zu den am häufigsten Genannten.) Zum Festakt waren neben SPÖ-Funktionären auch einige bekannte Salzburger Persönlichkeiten (so zum Beispiel der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Marko M. Feingold) sowie Journalisten der lokalen Presse erschienen. Der Vorsitzende des SPÖ-Landtagsclubs Walter Thaler, der den Festakt eröffnete, betonte die Wichtigkeit von Zivilcourage „gerade in Zeiten wie diesen“. Wer die Preisträgerin sei, gab er noch nicht bekannt, nur soviel, daß es sich um eine Frau handelte. Insofern freue es ihn ganz besonders, daß gerade zwei weibliche Landtagsabgeordnete (eine von der SPÖ, eine von der ÖVP) zum Festakt erschienen seien. Auch die Salzburger Politikwissenschaftlerin Barbara Wicha — ehemals ÖVP-Mitglied, sie ist aus Protest gegen die Koalition mit der FPÖ ausgetreten — gab den Namen der Preisträgerin noch nicht preis. In ihrer Rede ging sie auf die fundamentale Bedeutung von Zivilcourage, Widerstand und Protest in einer modernen Demokratie ein. Es bedürfe des Mutes, NEIN zu sagen, so Wicha, und des Mutes, Konflikte zu akzeptieren. Der Nike-Preis solle demnach Menschen würdigen, die die politische Auseinandersetzung nicht scheuen und deren „ganz bestimmter Lebensstil“ jungen Menschen als Beispiel dienen könne. Der Preis sei „Signal einer Wertorientierung, die sich jenseits von Pragmatismus und Rücksicht auf Karriere und Akzeptanz äußert.“ Ziviles Engagement sei die Grundlage für eine Demokratisierung der Gesellschaft. Wichtig dabei sei es jedoch, den Konflikten auf den Grund zu gehen, „anstatt sie beispielsweise vorschnell Lagern zuzuordnen“. Zuletzt plädierte Wicha für ein neues Bürgerethos und lieferte ein Idealbild des demokratischen Bürgers (dem, ihrer Ansicht nach, die Preisträgerin sehr nahe kommt) gleich mit: Er solle seinen Mitmenschen eher offen als abweisend begegnen, für neue Erfahrungen, Ideen und Impulse zugänglich und wachsam gegenüber jeglicher Autorität sein, diese aber auch nicht feindselig zurückweisen, tolerant gegenüber dem Anderen und „eher fähig, seine Gefühle zu erkennen, zu kontrollieren und zu steuern als unreif eigene Feindseligkeit oder ähnliche Impulse auf andere zu projizieren.“ Dieser Katalog der Bürgertugenden (nach dem US-amerikanischen Sozialpsychologen Alex Inkeles) ging der Rednerin vielleicht ein wenig zu glatt von der Zunge. Denn ideale Menschenbilder laufen doch immer Gefahr, in eine Karikatur ihrer selbst umzuschlagen. Ingrid Bauer hielt die Laudatio: Der Nike-Preis 2000 wurde der an der Universität Salzburg tätigen Historikerin Helga Embacher zuerkannt. Als stellvertretende Obfrau des Vereins Erinnern hat Embacher in besonderem Maße dazu beigetragen, daß die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 (meist salopp „Wehrmachtsausstellung“ genannt) im Frühjahr 1998 in Salzburg gezeigt werden konnte. Dabei hatte der Verein den Widerstand des ÖVP-Landeshauptmanns, des ÖVP-Bürgermeisters, der Salzburger FPÖ, des Kameradschaftsbundes, der Boulvardpresse sowie zahlreiche administrative und finanzielle Hürden zu überwinden. Mehr als andere hatte sich Helga Embacher der Öffentlichkeit gestellt, war mit Drohanrufen, persönlichen Untergriffen, politischen Einschüchterungsversuchen und Angriffen der lokalen Presse konfrontiert gewesen. (Vgl. MdZ Nr. %/ 1998, 37-39). Die Akzente von Helga Embachers Zivilcourage „liegen an einer zentralen Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart“, betonte Ingrid Bauer. Wer sich zum Ziel gesetzt habe, „abwesende, abgespaltene, ausgegrenzte Vergangenheit ins kollektive österreichische Gedächtnis zurückzuholen“, müsse die in diesem Land geltenden Tabus brechen und gegen ein geglättetes Geschichtsbild ankämpfen. Dies erfordere besondere Zivilcourage, denn „mit ihrer Bereitschaft, die Ergebnisse ihrer differenzierten Forschung auch im öffentlichen Raum zu kommunizieren, fordert Helga Embacher zwangsläufig geschichtspolitische PressureGroups heraus, die unverrückbar festgelegt haben wollen, was erinnert werden darf und was nicht.“ Helga Embacher hatte es gewagt, gegen die erwähnten Pressure-Groups — das gesellschaftliche und politische Establishment einer österreichischen Provinzstadt — anzutreten, obwohl ihr, so Bauer, „dafür weder das symbolische Kapital einer universitären Professur noch die damit verbundenen Sicherheiten als Rückendeckung zur Verfügung standen. Sie war ... auf ihre ganz persönliche Standfestigkeit als Wissenschaftlerin verwiesen.“ Helga Embacher und dem Verein Erinnern sei es zu verdanken, daß durch die „Wehrmachtsausstellung“ auch Salzburg zum „Ort eines kollektiven Nachdenkens“ wurde. In ihrer Laudatio beschränkte sich Ingrid Bauer aber nicht nur auf die wichtige Rolle 71