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harmonisch erlebte, bekam (auch) in London mit der Zeit heftige Risse. So kommt der aus Brünn stammende, 1939 nach London geflüchtete Fritz Beer, seit 1988 Präsident des PEN-Zentrums deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland, in seinem Erinnerungsbuch „Hast Du auf Deutsche geschossen, Grandpa?“ (Berlin/ Weimar: Aufbau-Verlag, 1992) zu dem Schluß: „Es gab bedrückende tägliche Auseinandersetzungen, Rivalitäten und Intrigen zwischen den Emigrantengruppen.“ (Ebd., S. 399) Einen wachsenden inneren Abstand zu der, die Exilszene dominierenden Linie mag jedoch in Jokls Hinweis auf Meinungsverschiedenheiten mit dem linientreuen kommunistischen Funktionär Polly (Paul) Reimann ebenso angedeutet sein, wie in dem Umstand, daß sie sich nach dem Krieg nicht bemühte, in die CSR zu gehen. (Es gibt Beispiele für andere Österreicher im englischen Exil — wie Fritz Brügel -, die schließlich die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erlangten.) In diesem Zusammenhang macht Jokl die Sondersituation der tschechoslowakischen Emigranten deutlich, die sich entweder für das Verbleiben im Exil entschieden oder aber schließlich, nach der Rückkehr in die frühere Heimat, überwiegend wieder mit Verfolgung — diesmal durch die Stalinisten — konfrontiert wurden: „Nach Beendigung des Krieges hatte eine Zeit großer Einsamkeit begonnen, da die meisten meiner Freunde aus der tschechoslowakischen Emigration, von der ich ein Teil geworden war, zurückkehrten — der größte Teil von ihnen nach wenigen Jahren von Verfemung, Gefängnis bitter oder innerlich tot.“ (S. 36) Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang auch ihre eigenen unmittelbaren Eindrücke vom politischen Klima in Prag bei einem späteren kurzen Aufenthalt in den Weihnachtstagen 1948: „Prag machte einen schlimmen Eindruck [...] Man spürte, daß gefährliche Entwicklungen im Gange waren, weit abweichend von dem, was das Volk sich von einer hauptsächlich kommunistisch ausgerichteten Regierung erwartete hätte.“ (S. 62) Die Hinweise auf die Repressionen verweisen dabei vor allem auf die Verfolgungswelle, die Ende 1951 einsetzte und einen Höhepunkt im Slansky-Prozeß 1952 fand. Zu den Hauptangeklagten und zum Tode Verurteilten gehörte so u.a. der aus Reichenberg/Böhmen stammende frühere Londoner Exil- Funktionär und Wirtschaftsexperte Ludwig Freund (Ludvik Frejka; 1904-1952), der auch dem Austrian Centre angehörte. Zwar ist Freund bei Jokl nicht namentlich erwähnt; ein an anderer Stelle überliefertes Gruppenphoto zeigt sie aber anläßlich einer Veranstaltung neben dessen Frau, der Schauspielerin Elsbeth Freund (Frejkova, geb. Warnholtz). Nach dem Krieg geriet Anna Maria Jokl selbst in unterschiedliichem Maße in die Mühlen der Ideologien, zunächst des Kalten Krieges. Eine Arbeit als Zensorin für die US-Militärverwaltung in Deutschland wurde ihr mit dem Hinweis auf belastendes Material des britischen Geheimdienstes verweigert — ein Ergebnis einer Denunziation infolge des Verhörs bei Scotland Yard, wo man ihr einst gedroht hatte: „We can be nasty, very nasty, indeed.“ (S. 70ff) Unter anderen Vorzeichen wiederholte sich die Erfahrung. 1950 nach Ost-Berlin gekommen, vermied sie es, sich vereinnahmen zu lassen, obwohl man ihr Ehrungen in Aussicht stellte. Das schien suspekt. Der Österreicherin Jokl wurde daraufhin nach zwei Monaten die Aufenthaltsgenehmigung entzogen — spektakuläre Ausweisung trotz prominenter Fürsprecher — darunter Arnold Zweig, der bei Ministerpräsident Otto Grotewohl intervenierte — und vielen Sympathiebekundungen bei flüchtigen Begegnungen. Erst mit Blick auf die folgenden Jahre wurde Jokl deutlich, daß sie als eine der ersten Prominenten in einer Reihe von jüdischen Intellektuellen stand, die in Osteuropa mit noch härterer Konsequenz zur Zielscheibe eines Antisemitismus stalinistischer Prägung wurden. Zur Zeit ihrer Ausweisung avancierte ihr Roman „Die Perlmutterfarbe‘“ zu einem (ost-) deutschen Bestseller und „statistisch festgestellt, zum meistausgeliehensten Buch in Bibliotheken der Jahre 1947 bis 1950“. Die Vorgeschichte dieses Buches, das zu den spannendsten deutschen Schulromanen gehört und als politische Parabel auf das Konfliktpotential der Zeit verweist, ist dramatisch. 1937 hatte sie in Prag den Roman geschrieben, „um die Folgen zu schildern, die überhebliches Machtstreben mit Hilfe von Lügen und Tricks ergeben können.“ (Vorwort zur Neuauflage, Frankfurt: Jüdischer Verlag, 1992) Bei ihrer überstürzten Flucht aus dem gerade durch deutsche Truppen besetzten Prag Ende März 1939 hatte sie es zurücklassen müssen: ihr einziger wirklicher Verlust, wie sie gegenüber einem Fluchthelfer erwähnte, der sie schließlich über die Grenze nach Polen schmuggelte. Der machte sie später im Flüchtlings-Durchgangslager des britischen Konsulats in Katowice ausfindig und überreichte ihr ein Bündel — das Manuskript, das er in Prag aufgespürt und ebenfalls über die Grenze gerettet hatte. Was aus Zivilcourage und Idealismus gerettet worden war, geriet 1950 in der DDR in Bedrohung. Eigentlich zur Verfilmung vorgesehen, wurde das Buch der plötzlichen persona non grata Jokl ebenso unerwünscht, „die im Druck befindliche Auflage sowie alle Auslandsverträge dafür gestoppt“ (aus dem Vorwort zur Neuauflage). Das Buch überlebte dennoch. Und die Erinnerung an „Josef den edlen Schmuggler“ überdauerte als Widmung des Romans und als Episode in „Die Reise nach London“. Weniger edel und weniger hilfreich für Jokl und für ihr Buch war ein Mann, in dessen Macht es vielleicht gestanden haben dürfte, sie zu protegieren und vor Sanktionen in der DDR zu bewahren: ihr einstiger idealistischer Freund und Geliebter Johannes R. Becher, der inzwischen im „neuen Deutschland“ Karriere gemacht hatte. Die Wiederbegegnung 1948 war dem Minister eher unangenehm. Die Begegnung mit Becher verweist auf die Vorkriegszeit, die in Jokls Erinnerungen weniger Raum einnimmt. Ihre Lebensstationen waren zunächst Wien, zwischendurch Breslau, dann Berlin, Paris und Prag. Aufgewachsen in Wien, ging sie 1928 nach Berlin. Auf ihre dortigen Aktivitäten — Ausbildung an der Piscator-Schule, Filmautorin, Experimente mit dem neuen Medium Rundfunk, Arbeit für die „Vossische Zeitung“ — geht der vorliegende Band kaum ein. Die Ausreise aus Berlin, 1933, wurde gleichzeitig zum Abschied von der Mutter und dem Stiefvater, die sie nie wieder sah, weil sie als Juden umgebracht wurden. Jokl wandte sich nach Prag, verließ es vorübergehend in Richtung Paris. Angewidert von der Gleichgiiltigkeit der Franzosen um die CSR im September 1938 fiihlte sie sich zur Treue zur Wahlheimat gedrängt und kehrte zurück. Ein weithin unbekanntes Kapitel aus der Prager Zeit dürfte die ungeheure Resonanz auf ihren „antitechnischen, prowissenschaftlichen Roman Die wirklichen Wunder des Basilius Knox für Kinder von zehn bis siebzig Jahren“ sein, die im vorliegenden Buch Erwähnung findet. 1938 erschienen, kürte es „selbst der Erzbischof von Prag, Beran“ zum „Buch der Liebe in unserer Zeit des Hasses“. Das Buch, das versucht, Physik anschaulich zu machen, wurde von den Nazis als Provokation empfunden: „Wie ich während des Krieges im BBC hörte, wurde es von Himmler verboten, da man es auch an tschechischen Schulen neben dem Unterricht verwendete.“ (S. 67£.) In der Nachkriegszeit spielt nun in Jokls Reise nach London ihre neue berufliche Perspektive, die Ausbildung zur Psychoanalytikerin, eine gewichtige Rolle. Glücklichen Umständen verdankte sie, die angehende Psychoanalytikerin bei Toni Sussmann (u. a. Verfasserin von „Theodor Däubler. Ein Requiem“, GB 1943) in London, eine ihrer unglücklicheren Erfahrungen: die Aufnahme in das Zürcher „Institut für Komplexe Tiefenpsycholgie“ von C. G. Jung, den sie zwar als Wissenschaftler verehrte, aber menschlich als erbärmlich erlebte. Ihr erfolgreicher Abschluß sollte in einem durchsichtigen Ränkespiel hintertrieben werden. Eine Frau — und Jüdin — entsprach nicht den Vorstellungen von einem ersten Absolventen der neugegründeten Schule. Folgt man Jokls Darstellung, so erscheint die Rolle von C. G. Jung und der Dozentin Toni Wolf als fragwürdig, ja skandalös. In jedem Fall ist ihr Buch auch unter diesem Aspekt als Ergänzung des Bildes von C. G. Jung, aber auch anderer Dozenten, so des mit viel Sympathie geschilderten Mythologen Karl Kereny, wahrzunehmen. Verschlüsselt angedeutet scheinen die Erfahrungen aus Zürich bereits im unbedingt lesenswerten Band „Essenzen“, als dessen Fortsetzung oder Ergänzung „Die Reise nach London“ gesehen werden kann. Nach der Ausweisung der Autorin aus OstBerlin wurde ab 1951 West-Berlin ihr festes 77