OCR
Die Shanghaier Erfahrung Man muß sich, um die Wirkungen dieser Zeit richtig einschätzen zu können, die einfache Tatsache vor Augen führen, daß 18.000 potentielle Opfer des Hitlerregimes in diesem abgelegensten aller Häfen dem Holocaust entkamen. In Shanghai erlebten die deutschen und österreichischen Juden zum ersten Mal eine nahezu ausschließlich jüdische Gemeinschaft, eine Erfahrung, die für viele zur Grundlage ihrer späteren Ansiedlung in Israel wurde. Shanghai ist eines jener prominenten Beispiele für jüdische Solidarität und gegenseitige Verantwortung, die durch den Holocaust an die Oberfläche traten. Die Flüchtlinge machten mit ihrer Kreativität und Initiative das Beste aus einer extrem schwierigen Situation. Die Erfahrung, die die Juden in Shanghai machten, findet eine metaphorische Entsprechung im Gleichnis von der Kikayon-Pflanze, wie sie im Buch Jonas erzählt wird: Die Pflanze spendete dem Propheten einen Tag lang Schatten, nur um am nächsten wieder zu verschwinden. So blühte auch die jüdische Gemeinschaft im Schutze Shanghais, um sich wenige Jahre später wieder aufzulösen. David Kranzler hat sich als erster Historiker überhaupt mit dem Exil in Shanghai befaßt. 1930 in Würzburg geboren, gelangte er 1938 in die USA, wurde zunächst Bibliothekar und promovierte 1971 in Jüdischer Geschichte an der Yeshiva University. Kranzler verfaßte mehrere Bücher zum Thema Überleben in der Shoa. Inzwischen ist er emeritierter Professer der City University of New York. 1976 erschien seine umfangreiche Studie „Japanese, Nazis and Jews: The Jewish Refugee Community of Shanghai, 1938-1945“, New York 1976, eine erweiterte Neuauflage ist in Vorbereitung. Vgl auch den Beitrag „A few words about writing ‚Japanese, Nazis and Jews’“ in der folgenden Ausgabe. Der vorliegende Aufsatz geht zurück auf Kranzlers Vortrag bei der vom Institut „Monumenta Serica“ ausgerichteten Tagung „Juden in China. Von Kaifeng ... bis Shanghai“, 22.-26.9. 1997, St. Augustin. Er erscheint hier, von Cathren Müller aus dem Amerikanischen übersetzt, erstmals in deutscher Sprache. SUSANNE WANTOCH kaufen. söhnen. Geschrieben In China 1946 34 Aus: Tagebuch (Wien), 15.3. 1952, S. 6