Wie aufmerksam die deutschen Behörden die Emigranten¬
gemeinde beobachteten, geht aus den zahlreichen Berichten
des Generalkonsulats in Shanghai an das Berliner Außen¬
ministerium hervor. Wirtschaftliche und soziale Entwick¬
lungen, Kulturleben und Presse, Selbstorganisation der
Emigranten und ihre Beziehungen zu anderen Bevölkerungs¬
gruppen in Shanghai wurden gründlich und detailliert be¬
schrieben und analysiert. Intensiv ausgewertet wurden eigene
Wahrnehmungen, die Schriften der lokalen Exilpresse und er¬
reichbare Statistiken, darüber hinaus standen auch Infor¬
mationen von einem „Vertrauensmann“, so die Bemerkung am
Ende des zweiten Berichtes, zur Verfügung. Vom Konsulat ge¬
sammelt und zur Ergänzung oder Illustration ebenfalls nach
Berlin übersandt wurden Materialien wie Zeitungsartikel,
Statistiken oder Fotos in großer Zahl — der Bericht vom 2. Fe¬
bruar 1941 etwa enthielt über 130 Anlagen.
So geben diese Rapporte ein anschauliches Bild des
Shanghaier Emigrantenlebens - freilich verzerrt durch die Per¬
spektive der nationalsozialistischen Konsulatsmitarbeiter.
Zahlreich sind die wie selbstverständlich eingestreuten antise¬
mitischen Stereotype — vom Hinweis, „daß in ihren Händen
viele Grundstücksunternehmungen sind, ist selbstverständ¬
lich“, über die Betätigung „in den ihnen besonders liegenden
Geschäften des An- und Verkaufs“ und der Bemerkung über
das „den Juden eigene (...) Reklametalent“ bis hin zum Urteil,
die Shanghaier Presse sei „wie überall in der Welt unter jüdi¬
schem Einfluß“.
Etliche weitere Formulierungen wie „Tausendjährige Erfah¬
rung befähigen die Juden, sich zunächst bei ihren Wirtsvölkern
einzunisten“ gehörten zum antisemitischen Repertoire, ebenso
Äußerungen wie die Bemerkung, die Meldungen zur britischen
Armee seien nur unter der Gewißheit der Nichtzulassung erfolgt.
Dazu zählt auch die Aussage über scheidungswillige „arische
Frauen, denen erst hier in der rein jüdischen Umgebung die
Augen über ihre Verwirrungen aufgehen“. Als vermutlich unbe¬
absichtigte Ironie ist der Satz aufzufassen, „ein Verband ehema¬
liger Insassen von Konzentrationslagern pflegt die Erinnerung an
die dort verlebte Zeit“.
Dem oder den Verfassern der Berichte war die Wider¬
sprüchlichkeit der Auffassungen anscheinend nicht bewußt. So kon¬
statierten sie zwar eine „parasitäre (...) Einstellung der Juden“,
mußten aber einräumen, daß in Shanghai von Emigranten ge¬
gründete Handwerksbetriebe „so große Erfolge erzielt haben“,
daß „bereits für den Export gearbeitet“ wurde. Auch bei der
Zeitschrift „Die Gelbe Post“ konnte ein Erfolg „nicht geleugnet
werden“. Daneben wurde einerseits ein „Beweis für den jüdischen
auf krassen Egoismus eingestellten Charakter“ geliefert, an einer
anderen Stelle unter Hinweis auf die entstandenen Hilfs¬
organisationen vom „bekannten Zusammengehörigkeitssinn der
Juden“ geschrieben. Dieser Widerspruch wurde mit den sich ver¬
schärfenden Existenzbedingungen in Shanghai erklärt.
Aufmerksam wurden die politischen Aspekte der Emigranten in
Shanghai, die nicht näher beschriebene „von ihnen drohende Ge¬
Jahr“, beobachtet: mit Empörung wurde „die Unverfrorenheit“
registriert, „heikle Probleme“, gemeint war das gegen die natio¬
nalsozialistische Rassenideologie gerichtete Theaterstück „Die
Masken fallen“, „unter dem Schutz des englischen Feindes auffüh¬
ren zu wollen“. Beklagt wurde die „Judenfreundlichkeit der
Japaner“, erwogen das Einschalten chinesischer Gerichte gegen
die Zeitungen der Emigranten.
Ohne irgendeine Anteilnahme schließlich wurde berichtet,
„der Hauptteil der Juden kümmert dahin“, wurde vom „immer
größer werdenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit“ geschrieben
bis hin zu der sachlich notierten Schlußfolgerung vom Februar
1941: „Wenn sich die Verhältnisse nicht ändern und nicht Hilfe
von außerhalb kommt, dann besteht für den Rest die Gefahr ei¬
nes langsamen Zu-Grunde-Gehens.“
Die Berichte des Shanghaier Deutschen Generalkonsulats
sind ein Dokument über die jüdische Emigration nach
Shanghai, sie sind auch ein vielsagendes Zeugnis über die na¬
tionalsozialistische Rassenideologie. MPH
Die starke und rasche Judeneinwanderung der letzten zwei Jahre hat
entgegen den Erwartungen und der Erfahrung in anderen Ländern
noch keinen in der Öffentlichkeit hervortretenden Antisemitismus
bei den hiesigen Wirtsnationen hervorgerufen. Das plötzliche Auf¬
hören weiteren Zustroms infolge Ausbruchs des europäischen
Krieges hat es den bereits eingewanderten Juden mit finanzieller
Hilfe ihrer hiesigen Rassenangehörigen ermöglicht, sich hier ein¬
zurichten. Die Befürchtung hiesiger Kreise, daß sie durch ihre
Lebensführung den allgemeinen Standard des Europäers auf den
des Chinesen herunterdrücken würden, hat sich nach außen hin bis
jetzt nicht verwirklicht. Da die hierher emigrierten Juden im
Augenblick noch keinen Einfluß haben, so wird die von ihnen dro¬
hende Gefahr noch nicht erkannt. Noch werden sie als ruchlos
Verfolgte bemitleidet und noch sieht man nur die wirtschaftlichen
Vorzüge ihrer Zuwanderung: Der Shanghaimarkt hat neue Kunden
bekommen, man stellt fest, daß in den jüdischen Läden die Waren
in gefälliger Form ausgestellt, daß neue Schneider-, Mode- und