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Und wenn sie durch die Dörfer ziehn

Waren alle Weiber da.

Die Bäume verneigten sich. Vollmond schien.
Und alles schrie hurra!

Mit Tschingdrara und Wiedersehn

Und Weib und Hund und Pfaff

Und mitten drin der tote Soldat

Wie ein besoffner Aff.

Und wenn sie durch die Dörfer ziehn
Kommt'’s, daß ihn keiner sah

So viele waren herum um ihn

Mit Tschingdrara und Hurra.

So viele tanzten und johlten um ihn

Daß ihn keiner sah

Man konnte ihn einzig von oben noch sehn
Und da sind nur Sterne da.

Bertolt Brecht, Legende vom toten Soldaten!

Man habe „auf Heidegger warten“ müssen, „um eine deutsche
Philosophie zu finden, die nicht antisemitisch“ sei — meinte
André Glucksmann 1977 in seinem für die sogenannte Post¬
moderne wegweisenden Buch über die „Meisterdenker“.
Dabei hatte sich Heidegger selbst gegenüber Hannah Arendt
als „‚Antisemit‘ bekannt. Wie verhält es sich also mit dem Anti¬
semitismus dieses Denkers von Todtnauberg, der wie kein an¬
derer nicht nur die Kontinuität deutscher Philosophie vor 1933
und nach 1945, sondern auch ihren internationalen Einfluß —
vermittelt durch Hannah Arendt ebenso wie durch Sartre oder
Derrida — verkörpert.

Der Meisterdenker der Krise

„Nur das Freisein für den Tod gibt dem Dasein das Ziel

heißt es bereits in Sein und Zeit von 1927. Die solchermaßen
ergriffene Endlichkeit der Existenz „reißt aus der endlosen
Mannigfaltigkeit der sich anbietenden nächsten Möglichkeiten
des Behagens, Leichtnehmens, Sichdrückens zurück und
bringt das Dasein in die Einfachheit seines Schicksals.‘ Das
Schicksal des einzelnen aber ist schon in Sein und Zeit das
Geschick des Volks: Das Geschehen des schicksalhaften
Daseins wird als „Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes‘*
gedacht. Gerade weil es Heidegger — anders als Nietzsche und
dessen Epigonen (wie z.B. Jaspers) — darum ging, aus der Not
des einzelnen den Volkskörper zu formen, aus der Krise der
Gesellschaft die nationale Identität zu „entbergen“, entthronte
er Begriffe wie „Leben“ oder „Kampf“, die von Lebensphilo¬
sophen und Sozialdarwinisten eingesetzt worden waren, den
Konkurrenzkampf zu ontologisieren, aber den Zusammenhang
von Individuum und Volk, Subjekt und Nation, im Unklaren
ließen. An die oberste Stelle seiner Philosophie setzte er statt¬
dessen das Begriffspaar von Dasein und Sein’: mit ihm konn¬
te Heidegger das Verhältnis des einzelnen zum „Volk“ als

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Identität ohne Nichtidentisches suggerieren. „Die Nichtiden¬
tität in der absoluten Identität vertuscht er wie eine Familien¬
schande.‘®

Es macht die besondere Anziehungskraft von Heideggers
Philosophie aus, daß sie stets von der existentiellen Situation
des einzelnen ausgeht — und nicht wie die ordinäre Ideologie
des Nationalsozialismus den Volkskörper schon voraussetzt.
Sie führt vielmehr vor, wie der einzelne im Angesicht der Not
sich selbst zum Volkskörper zu machen hat: indem er sich
nämlich dem Tod verschreibt. „Im Vorlaufen zum unbestimmt
gewissen Tode öffnet sich das Dasein für eine aus seinem Da
selbst entspringende, ständige Bedrohung (...) Damit taucht
aber dann die Möglichkeit eines eigentlichen Ganzseinkönnens
des Daseins auf (...).‘” Geschichtlichkeit begründet der deut¬
sche Philosoph nicht mehr im Fortschreiten des Weltgeists
(Hegel), auch nicht im ziellosen Wirken eines Willens (Scho¬
penhauer); selbst die Wiederkehr des Gleichen (Nietzsche) bie¬
tet hier keine unbedingte Voraussetzung, Geschichte zu
begreifen bzw. zu zerstören, sondern: „Das eigentliche Sein
zum Tode, das heißt die Endlichkeit der Zeitlichkeit, ist der
verborgene Grund der Geschichtlichkeit des Daseins.‘

Tatsächlich greift Heidegger unmittelbar auf Fichtes „Seyn“
zurück (wobei er den mit der Rede vom „Ich“ verbundenen
subjektiven Akzent bei Fichte schließlich ganz zum
Verschwinden zu bringen trachtet)’. Es wird jedoch nicht nur
vom y (im Seyn) befreit, sondern von allem damit verbunde¬
nen nationalen Gepräge des deutschen Idealismus — so er¬
scheint es geradezu als ein ärmliches Konstrukt. Heidegger
legt klar, daß es sich bei diesem „allgemeinsten und leersten
Begriff‘ um die Abstraktion schlechthin handelt. Während
aber für Hegel das Sein damit am Beginn des
Erkenntnisprozesses steht und der Unmittelbarkeit entspricht,
von der die totale Vermittlung des Geistes sich abzuheben hat,
so daß sogar „die Erscheinung ein Höheres ist als das bloße
Sein (...) eine reichere Bestimmung als dieses‘, und der Geist
nur mit dem „Werden“ über die Unterschiedslosigkeit von Sein
und Nichts hinwegkommt, erhöht Heidegger dieses bloße Sein
zum schlechthin Eigentlichen (,,ontologischer/ontischer
Vorrang der Seinsfrage“), setzt es von allem Seienden ab, als
„das Immergleiche“, als „die ständige Anwesenheit‘, und
adelt die triviale Identität von Sein und Nichts als Sein zum
Tode. „Sein ist das Grundgeschehnis, auf dessen Grunde über¬
haupt erst geschichtliches Dasein inmitten des eröffneten
Seienden im Ganzen gewährt ist.‘“® Und schon entpuppt sich
der „leerste Begriff‘ voller Inhalt: „Die Rede von der
Unbestimmtheit und Leere des Seins ist irrig. (...) Die
Bestimmtheit des Seins ist keine Sache der Umgrenzung einer
bloßen Wortbedeutung. Sie ist die Macht, die heute noch alle
unsere Bezüge zum Seienden im Ganzen, zum Werden, zum
Schein, zum Denken und Sollen trägt und beherrscht.‘“*

Das Heideggersche Sein zum Tod bedeutet wirklich nichts
als „reale Abstraktion“ von allem Lebenden und kommt darin
auf paradoxe Weise dem nahe, was Marx als Wertbegriff for¬