das Shanghai Volunteer Corps, dessen „Streitkräfte“ im we¬
sentlichen in Nationalkompanien aufgeteilt waren. Unter an¬
derem gab es eine (rein) jüdische Kompanie, und in den letzten
Jahren des Internationalen Settlements auch eine tschechoslo¬
wakische Kompanie. Außerdem bestand eine Gruppe bezahl¬
ter Berufssoldaten aus Weißrussen. Alle britischen Truppen
wurden Mitte 1940 von Shanghai zurückgezogen, die US¬
amerikanischen Soldaten verließen Shanghai Ende November/
Anfang Dezember 1941. In der „French Concession“ waren
Truppen aus dem (damals) französischen Indochina, bekannt
als „Annamesen“ , stationiert.
Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor in Hawaii
besetzen die Japaner am Morgen des 8. Dezember 1941 die
restliche Internationale Niederlassung. Die Franzosen, die sich
mit Vichy verbunden fühlten, wurden von den Japanern im
wesentlichen verschont. Allerdings ging das Leben in der
Internationalen Niederlassung im allgemeinen normal weiter.
Die Stadträte feindlicher Nationen wurden von den Japanern
abgesetzt und durch Japaner und Italiener ersetzt. Mehrere
Beamte, die zu den feindlichen Ausländern gehörten, blieben
aber längere Zeit weiter im Amt.
Wie groß waren diese Gebiete? Im Zwanzigsten Jahr¬
hundert umfaßte die Internationale Niederlassung 22,4 km?.
Sie war bis zu 12 km lang und bis zu drei km breit. Die klei¬
nere ,,French Concession“ umfaßte 10,2 km? und war bis zu
6,5 km lang und zwischen 200 Metern und 2,5 km breit. Der
sogenannte „Western District“, wo italienische und britische
Truppen ihre Kaserne hatten. war etwa 9 km? groß, etwas über
3 km lang und knapp 3 km breit. Dort standen die Straßen un¬
ter „Extraterritorial law“, aber das Gelände selbst unter chine¬
sischem Recht. Die chinesische Altstadt war von ovaler Form,
mit einem Durchmesser von etwa 1,5 km. Aber ringsherum, in
dieser seit 1850 schnell anwachsenden Großstadt, gab es schon
zu Anfang des 20. Jahrhunderts ausgedehnte chinesische Be¬
zirke, Chapai im Norden, Nantao im Süden, etwas weiter
draußen Hungjao im Westen, Kiangwan im Nord-Osten,
Ziccawei im Südwesten und Lungwha in Süden. Auf der ge¬
genüberliegenden Seite des Whangpoo- (jetzt Hunagpu-)
Flusses, liegt Pootung (jetzt Pudong). Bis zum Ende des Zwei¬
ten Weltkrieges waren diese Vororte nur dünn besiedelt, dort
gab es viele Obst- und Gemüsegärten. Heute stehen dort vie¬
le moderne Hochhäuser.
Um auf das ehemalige „Cafe Louis“ zurückzukommen:
Dieses Haus steht nicht mehr. Wegen seiner sehr zentralen La¬
ge wurde es vor einigen Jahren zusammen mit mehreren Neben¬
häusern und dem alten, gut bekannten „Burlington Hotel“
abgerissen, um für eines der neuesten und besten Hotels, das
„Mandarin“, Platz zu machen. Im sogenannten Ghetto existier¬
te dann ein zweites „Cafe Louis“. Das Haus steht noch, aber das
Lokal ist in mehrere kleine Wohnzimmer unterteilt worden.
Wieso ich das alles weiß? Ich habe seit 1939 nicht nur viele
fotografische Aufnahmen gemacht, selbst einige Notizen ge¬
schrieben, sondern auch massenhaft Zeitungsausschnitte sowie
Dokumente und Straßenkarten gesammelt. Unter den letzteren
befindet sich eine amerikanische Armeelandkarte von Shanghai
und Umgebung, im Maßstab von 1:15.840. Auf ihr sind unter
anderem alle wichtigen Gebäude namentlich angeführt.
Vor genau einem Jahr (Ende März 2000) war ich wieder in
Shanghai, wo ich viele meiner Jugenderinnerungen bestätigen
konnte.
Zum Schluß noch eine Erklärung, wodurch die oft zitierte
Forderung von USD 400 für das Betreten des angeblichen
„britischen“ und französischen Sektors entstanden ist. Nach¬
dem Mitte 1939 bis zu 1.500 Flüchtlinge an einem Tag in
Shanghai eingetroffen waren, fühlte sich die verhältnismäßig
kleine Gemeinde der alteingesessenen Juden nicht mehr in der
Lage, alle diese Leute zu unterstützen. Sie beantragten bei den
diversen örtlichen Behörden, daß nur solche Leute die Erlaub¬
nis zur Landung erhalten sollten, die entweder einen Anstel¬
lungsvertrag mit garantierter Unterkunft oder einen Betrag von
z.B. USD so und so viel bei sich hatten. Rein theoretisch wur¬
de diese Idee zur offiziellen Regelung, in der Praxis aber nie¬
mals durchgeführt. Wie ausgedehnte Nachforschungen durch
die Hebräische Universität in Jerusalem gezeigt haben, waren
Japaner, Briten, Italiener und andere Behörden aus verschie¬
denen Gründen strikt gegen die Anwendung dieser Vorschrif¬
ten.
Unter dem falschen Eindruck, daß diese Vorschriften aus¬
geführt würden, haben einige Schiffahrtslinien sich geweigert,
Juden nach Shanghai zu bringen, und viele haben so die
Gelegenheit verpaßt, nach Shanghai zu fahren. Jedenfalls wis¬
sen wir, daß gegen Ende 1941 etwa 1.000 polnische Juden, die
in Japan vorübergehend Zuflucht gefunden hatten, ohne jede
Schwierigkeiten in Shanghai an Land gehen konnten.