sonst, die waren in so einer Höhe meistens, die Flugzeuge.
Und dann hat man wirklich auch gesehen, wenn die Bomben
rauskamen, das sah man glitzern, also das war eine fantasti¬
sche Höhe, die Flugzeuge waren wirklich ganz klein. Und
dann hat’s geknallt, und das waren schlimme Zeiten, da ha¬
ben wir richtig Angst gehabt.
Und bei diesem einem ganz großen Angriff, wo es auch sehr
viele in Hongkew tödlich getroffen hat, das hab ich auch nie ver¬
gessen. Als die Entwarnung kam und wir Kinder wieder unbe¬
sorgt auf die Straßen gehen konnten, waren sehr viel Verletzte
und auch Tote, also nicht nur Deutsche oder Emigranten, sondern
auch chinesische Bürger. Und wir sind zu einem Gebiet gekom¬
men, wo einige auf der Straße gelegen haben, und wir haben das
erst nicht verstanden. Es waren zwei Chinesen, Leichenfledderer,
die den Toten das Letzte abnehmen wollten. Da kamen japani¬
sche Soldaten an, die bei uns gewohnt oder patrouilliert haben.
Die haben die Säbel gezückt und denen kurz, einfach Kopf ab,
zweimal hab ich das gesehen, bei zwei Chinesen. War schlimm.
Das Bild, wo sowieso überall die Verletzten und das Geschrei und
das Hin- und Herrennen nach dem Angriff, wenn alles so wild
durcheinander, und dann die Soldaten, die dazwischengeschrien
haben und dann Säbel gezückt und Kopf ab.
Da hab ich noch in Erinnerung, wie irgendjemand einmal ge¬
sagt hat, „Jetzt sind die amerikanischen Flugzeuge in
Shanghai gelandet, jetzt ist alles vorbei“. Für mich als Kind
war wichtig, es gibt keine Luftangriffe mehr, und du brauchst
jetzt keine Angst mehr zu haben. Dann war der Krieg zu Ende.
Wir sind von den Amerikanern versorgt worden, mit den „ten¬
in-one rations“, die wir abgeholt haben, das war ein großes
Erlebnis immer wieder, diese großen Kartons. Mit der Zeit
kam die regelmäßige Verpflegung, wenn es auch nur diese
Konserven waren, keine frische Ernährung. Das waren un¬
vorstellbare Mengen plötzlich im Vergleich zu dem, was vor¬
her war. Wir hatten Vorrat, man konnte wirklich zu jeder Zeit,
wenn man das Bedürfnis hatte, was zu sich nehmen, Essen,
Trinken, Naschen.
Ich hab auch wieder, das ist vielleicht kindgemäß, normal
und natürlich, eine Flucht gesucht aus diesem beschissenen,
harten Leben. Und als der Krieg zu Ende war und wir den
„American way of life“ kennengelernt hatten, als Kinder hat
uns das sehr beeindruckt, die amerikanischen Matrosen und
Soldaten. Die brachten auch Comics mit, Superman beispiels¬
weise, und dann hab ich in diesem Zimmer, in dem wir gehaust
haben, das war ja kein Leben, wo mein Vater und ich offiziell
waren, hab ich mich aufs Bett gestellt oder auf eine Kiste, die
dort stand, und so runtergeguckt wie Supermann, und so hab
ich mir meine Welt vorgestellt, wenn ich zur Strafe eingesperrt
worden war. So hab ich diese Fluchtmöglichkeit gesucht, habe
Comics selbst erlebt oder nacherlebt.
Dann kamen die lustigen Soldaten, die Literatur, Musik, die
amerikanische Filme, die plötzlich da waren, das war das
Schöne. Wenn wir Zeit hatten, nach der Schule ist man ins
Kino gegangen und konnte sich zwei, drei Vorstellungen hin¬
tereinander angucken. Wenn ich manchmal alte Filme jetzt im
Programm sehe, denk ich, „Den hast du in Shanghai gesehen“.
Da kenn ich die Schauspieler noch, Van Johnson, Claudette
Colbert und solche Legenden, das waren schöne Sachen, oder
jede MengeTarzan-Filme, Tarzan and the Nazis, und da gab’s
einen Film, und wir haben gejubelt. An die Zeit erinnert man
sich schon ein bißl mehr, ich war auch schon größer geworden.
Ach so, und Bekleidung gab’s, das hab ich noch gar nicht ge¬
sagt, das war eine schlimme Sache mit der Bekleidung. Was
uns gehört hat, weiß ich nicht mehr, also es war unvorstellbar
nach heutigen Maßstäben. Aber plötzlich hatte ich Bekleidung
und konnte anfangen zu wählen, ob ich diese Farbe nehme
oder jene Hose. Ich meine, es war nicht zu viel und nicht zu üp¬
pig, aber es war plötzlich was Neues. Es waren alles getragene,
alte Sachen, aber man konnte sie anziehen, und ich hab diese
Kleidung mitgenommen, als wir nach Deutschland zurückge¬
kehrt sind. Ich hab mich sehr schwer getrennt von diesen
Kleidungsstücke.
Und zwischendurch Schule, Talmudschule. Hat mir auch
Spaß gemacht da, und weil ich das mit Freude gemacht habe
und mit Hingabe. Das hat auch dazu geführt, daß ich zu den¬
jenigen gehörte, ich glaube, wir waren drei, die angesprochen
worden waren, 1946 vielleicht, „Wollt Ihr nicht auf eine
Rabbinerschule gehen? Wir ermöglichen Euch diese Aus¬
bildung in einer entsprechenden Einrichtung in den Staaten“,
ich glaube, New York. Und das war nicht nur eine Frage, son¬
dern schon ein Angebot. Das Angebot hat mir natürlich ge¬
schmeichelt, gut getan für die Seele, „Bist doch was wert“. Ich
hatte verinnerlicht, „Du wirst Rabbiner“.
Und das hängt wieder mit einer anderen Geschichte zusam¬
men, nach Amerika zu gehen, das war wie eine Art
Verheißung, das gehörte auch zu dem schöneren Leben, weg
aus dieser schlimmen Gegenwart, die Flucht immer wieder.
Als die Amerikaner in Shanghai waren und sich so schlagartig
vieles verändert hatte, da waren die USA für mich ein Land,
ich will nicht sagen, in dem Honig fließt, aber schon was sehr
Begehrenswertes. Und da hab ich zuerst „Ja“ gesagt, also ich
wollte da hin. Mein Vater, der in seiner Not, sag ich mal jetzt,
erstmal nicht wußte, wie es mit mir weitergehen wird, und der
sicherlich Schwierigkeiten mit mir hatte, sicherlich viel
Widersprüchliches, was da im Vaterherz vorgeht. Er hat gesagt,
„Du bist jetzt groß, erwachsen, Du mußt wissen, was Du tust.
In jedem Fall wird das bedeuten, daß wir uns dann für lange
Zeit nicht mehr sehen können, wenn überhaupt“. Und wir ha¬
ben auch das eine oder andere vorbereitet im Sinne von
Zustimmungserklärung und Fragebogen, Bilder auch schon.
Das ging über Monate, das Gefühl, „Du gehst in die Staaten,
du gehst dann dort auf eine richtige Schule“. War ein schönes
Gefühl. Parallel dazu hab ich mitbekommen, wie mein Vater
immer intensiver in dieser Association daran gearbeitet hat,
daß die Rückkehr nach Deutschland, in die Heimat, möglich
sein wird, und daß das immer konkreter geworden ist. In der
Zwischenzeit fuhren dann immer mehr woanders hin, nach den
Staaten, nach Israel. Und wir saßen da, und es wurden immer
weniger, es waren noch genügend Emigranten da, aber man
hatte das Gefühl, es passiert so vieles und dann bekam ich mit,
mein Vater wird fahren, das ist alles schon ziemlich klar. Da
bin ich immer wankelmütiger und zögerlicher geworden, was
meine Entscheidung für die jüdische Schule in den USA betraf,
bis ich eines Tages gesagt hab, „Schluß, ich bleib bei meinem
Vater“.
Entscheidend war für meinen Vater, daß er wußte, daß die
politische Herrschaft seiner Peiniger, seiner Verfolger beendet
war und daß jetzt andere Kräfte, die auch ihm früher nahe ge¬
standen haben, jetzt in Deutschland das Sagen haben werden,
ich sag das mal so. Er muß also Kontakt aufgenommen haben
zu seinen ehemaligen Freunden und Genossen, und das hat ja
auch funktioniert, ich habe ein Dokument aus Leuna von dem