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Peter Gstettner

Die „Schreckensbilder
der Erinnerung“ von
Karl Stojka

Rede zur Eröffnung der ersten Ausstellung
Karl Stojkas in Kärnten, Universität
Klagenfurt, 7. Mai 2001

Zunächst ist es mir ein Bedürfnis, meinen Dank
an die Stadt Villach für die gewährte Unter¬
stützung durch den Ankauf eines Bildes und an
den Rektor bzw. an die Universität zu richten,
die dieses Vorhaben von Anfang an unterstützt
haben. Problematisierende Fragen wurden eher
von außen an mich heran getragen: Ob ich
wirklich glaube, daß die Universität der richti¬
ge Ort für so eine Ausstellung sei.

Darauf gibt es eine zweifache Antwort: Einmal
ist die Universität der richtige Ort, weil auch
auf akademischem Boden die Nazi-Barbarei
gediehen ist, weil akademische Ausbildung in
der NS-Zeit kein Schutzfaktor war, und weil
Doktoren, Dozenten und Professoren schuldig
wurden als Hitlers willige Helfer, als karrie¬
resüchtige Vorbereiter und Vollstrecker des
Vernichtungsprogramms, als akademisch aus¬
gebildete Handlanger und Schreibtischmörder,
schuldig als Richter und Staatsanwälte, die un¬
rechtmäßige und lediglich dem System dienli¬
che Todesurteile fällten, als Ärzte und Pfleger,
die Kranke und Behinderte ermordeten, als
Anthropologen, speziell als „Ziganologen“,
die rassistische Untersuchungen und Experi¬
mente an sogenannten „Untermenschen“
durchführten, als Pädagogen und Psychologen,
die sich in den Dienst der Nazi-Propaganda
und -Gehirnwäsche stellten, als Historiker und
Geographen, die die NS-Eroberungspolitik
rechtfertigten, als Ingenieure und Techniker,
die die Mordmaschine bedienten und in Gang
hielten, als Sprachwissenschafter und Germa¬
nisten, als Dichter und Bildende Künstler, die
die germanisch-nordische Rasse verherrlichten
usw. usf. Die österreichischen (und deut¬
schen) Universitäten haben also allen Grund,
sich dieser „Erinnerungsschuld“ zu stellen.
Alle Disziplinen haben ihre eigenen Anteile an
der NS-Geschichte aufzuarbeiten. Akademiker
und Wissenschafter standen damals wie heute
nicht über den politischen Dingen und Ideo¬
logien, sondern in deren Mitte. An diese ver¬
hängnisvolle Involviertheit ist zu erinnern,
gerade weil fast alle Dozenten und Professoren
nach 1945 ungehindert ihre Laufbahn an den
Universitäten, Kliniken und Instituten fortset¬
zen konnten, weil die akademisch ausgebilde¬
ten Tötungsärzte und -richter an gesellschaft¬
lichem Ansehen nichts eingebüßt hatten.

An der relativ jungen Universität von Klagen¬
furt sind auch andere Initiativen zur Aufarbei¬
tung der NS-Zeit angesiedelt sind oder nahmen
von hier ihren Ausgang, so die Forschungs¬
arbeiten zur Geschichte der Villacher Sinti im

Rahmen des Vereins „Erinnern“, den For¬
schungsschwerpunkt „Jüdische Literatur in
Mitteleuropa“ am Institut für Germanistik, die
Initiative „Gedenkstätte Loibl KZ Nord‘ des
Vereins „Mauthausen Aktiv Kärnten/ Ko¬
rorcka“, der neu gegründete Verein „Memorial
Kärnten/Korortcka“, der sich insbesondere um
die Denkmäler des Widerstandes kümmert.
Aber auch außerhalb der Universität sind
Projekte zur Zeitgeschichte und Erinnerung in
Gang gekommen, z. B. am „Ingeborg Bach¬
mann Gymnasium“ in Klagenfurt, am ,,Perau
Gymnasium“ in Villach, am Bundesober¬
stufenrealgymnasium in Spittal an der Drau, an
der Höheren Technischen Bundes-Lehr- und
Versuchsanstalt in Villach und an der Han¬
delsakademie 2 in Klagenfurt, wo nächste
Woche eine öffentliche Präsentation eines
Sinti-Roma-Projekts stattfindet.

Der zweite Grund, weshalb diese Ausstellung
an unsere Universität gehört, ist die Tradition
dieser Universität, eine offene Stätte der
Ausbildung für mehrere Generationen zu sein
und ein Ort des Diskurses mit den jungen
Menschen. Wichtig erscheint mir die Begeg¬
nung unserer Studierenden mit den Werken
Karl Stojkas und die Zugänglichkeit der Aus¬
stellung für die interessierte Kärntner Öffent¬
lichkeit, für die unsere Universität stets Ort
der Reibung, der Nachdenklichkeit, der
Konfrontation und der Infragestellung ist und
sein soll. Ich weiß, daß Prof. Karl Stojka dar¬
in mit mir übereinstimmt.

Karl Rigo, alias Stojka, blickt uns an, hier auf
diesen Fotos, aufgenommen 1940 in einer
Gestapo-Zentrale in Wien in der Paletzgasse
unter der laufenden Nummer 698/40. Rigo war
der Familienname seiner Mutter. Karl war da¬
mals neun Jahre alt. Heute würden wir sagen:
Was für ein lieber Bub, was für ein reizender
Junge. Gemacht wurde das Foto für die Ver¬
brecher- und Rassenkartei der Gestapo, nach
der später die Deportationszüge in die
Vernichtungslager zusammengestellt wurden.
Als Geburtsdatum steht bei Karl eingetragen:
April 1931, und der Tag der Geburt ist mit ei¬
nem Fragezeichen versehen; sollte das heißen:
die Geburt eines „Zigeuners‘ läßt sich ohnehin

nie auf den Tag genau bestimmen? Nein, der
Geburtstag war genau bekannt; er wurde auch
bei der Gestapo-Einvernahme genannt: der 20.
April 1931 — kein Tag wie jeder andere. Denn
der 20. April war auch der Geburtstag des
„Führers“; ein „fremdrassiger Untermensch“
durfte nicht am gleichen Tag geboren sein. So
wurde der erste Schritt gesetzt, dem damals
eben nicht geschätzten und nicht ehrenwerten
Erdenbürger Karl Stojka seine Identität zu rau¬
ben. Später sollte es noch viel schlimmer kom¬
men: Mit all den anderen persönlichen Gütern
verschwand auch sein Name. Karl Stojka wur¬
de die Nummer Z: 5742, eingeritzt in die Haut
seines linken Unterarmes. Am 3. März 1943
wurde dieser Junge von der Schule weg als
„Kind von Vollzigeunern“ von der Wiener
Gestapo verhaftet und zwei Wochen darauf mit
seiner Familie und vielen anderen Roma¬
Familien (vor allem aus Wien und aus dem
Burgenland) nach Auschwitz-Birkenau ver¬
schleppt.

Was haben die Augen dieses Elfjährigen da¬
mals ausgedrückt: Überraschung, Unverständ¬
nis, Zurückhaltung, Skepsis, erste Zweifel und
ernste Fragen; vor allem die Frage: Wo ist
mein Vater, was ist mit ihm geschehen, was
habt ihr mit ihm gemacht? Karl konnte damals
nicht glauben, daß sein Vater bereits tot, ermor¬
det war, im KZ Mauthausen; er konnte nicht
begreifen, was der Inhalt jenes Paketes war,
das die Mutter aus Mauthausen zugeschickt
bekam. Darin lagen der Anzug seines Vaters,
ein Häufchen Asche und ein paar Knochen —
das sollte Vater sein? Das konnte doch nicht
wahr sein — obwohl der Begleitbrief aus
Mauthausen aussagte, Vater sei an einem
„Herzversagen“ gestorben. Also suchte Karl
nach seinem Vater und sah in die Gesichter al¬
ler Männer, um ihn zu suchen, ihn wiederzu¬
erkennen und zu finden — auch in die Gesichter
der Gestapo- und SS-Männer, in die Gesichter
der Leidensgenossen am Transport und in die
Gesichter der Menschen in den Lagern, in
Auschwitz-Birkenau, im KZ Flossenbürg, im
KZ Buchenwald und am Todesmarsch. Karl
konnte ihn aber nirgends finden.

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