war der „Führerstaat‘‘ Ausdruck des „Volks¬
willens“, Erfüllung der „Volksgemeinschaft“,
während der Ausdruck „Österreich“ nur mehr
in historischen Zusammenhängen verwendet
werden sollte.
In Deiner Argumentation scheint das Verhalten
der Österreicher in der NS-Zeit letztlich auf
eine durch den „Volksgeist‘ gebildete „Volks¬
gemeinschaft“ zurückgeführt, vermischt sich
Ideologie mit Realität. Die „Volksgemein¬
schaft“ riecht ein wenig nach Blockwart und
Luftschutzkeller, nach Tratsch auf den Gängen
und Lebensmittelkarten, nach Unterschicht
und Vorurteil der ungebildeten Masse, einge¬
legt in den Speck des alpenländischen
Diesseits. So tritt an die Stelle der Unversöhn¬
lichkeit gegenüber dem Nationalsozialismus
leicht eine diffuse Selbstbezichtigung der
Österreicher, wie sie mit Thomas Bernhard
schon seit etlicher Zeit zum geistigen Komfort,
aber keineswegs zum geistigen Rüstzeug der
Gebildeten in unserem Land gehört.
Originell ist Deine Behauptung, die aus Öster¬
reich Entkommenen, die Exilierten ,,kleideten
sich in ländliche Tracht, denn sie wollten
Stellung beziehen und sich vom Pangermanis¬
mus abgrenzen“. Derlei vernehme ich in dieser
Form zum ersten Mal und bitte um einen
Quellenhinweis. Denunziativ hingegen ist die
von Dir evozierte Gleichsetzung des Sich-in¬
ländliche-Tracht-Kleidens und der Gründung
österreichischer Kulturzentren im Exil. Ich
verstehe nicht, wozu Du vor einem der Sache
nicht besonders kundigen Publikum (Dein
Aufsatz erschien zuerst im Standard) die
Arbeit einer Elisabeth Freundlich, einer Mimi
Grossberg, eines Georg Knepler und vieler,
vieler anderer in einer Weise darstellst, die das
ohnehin vorhandene Desinteresse für das Exil
nur bestätigen kann.
Daß „allzu Wenige im Untergrund kämpften“,
wie Du schreibst, entspricht bis auf das „allzu“
den Tatsachen. Das „allzu“ beruht auf einem
Vergleich zwischen dem Ausmaß des Wider¬
stands und dem Umfang der in der NS-Zeit
von Österreichern begangenen Verbrechen. In
die eine Waagschale wirfst Du die Asche aus
den Krematorien, in die andere Waagschale die
Köpfe der im Wiener Landesgericht enthaup¬
teten Widerstandskämpfer. Und siehe, der
Widerstand kann die Verbrechen nicht aufwie¬
gen. Doch Widerstand wurde auch in Öster¬
reich nicht geleistet, um zum guten Gewissen
und zum ruhigen Schlaf der nachfolgenden
Generationen beizutragen. Natürlich waren die
bewußten Widerstandskämpfer schon damals
verzweifelt über die Geringfügigkeit ihrer
Möglichkeiten, über die langsame und vielfach
wieder zerstörte Entwicklung ihrer Organi¬
sationen im Vergleich zu dem Tempo, mit dem
die nationalsozialistische Justiz, die Wehr¬
macht, die Gestapo, die SS ihr Vernichtungs¬
werk verrichteten. Doch was den Widerstand,
in welchem Ausmaß immer er im Verein mit
den Widerstandsbewegungen in anderen
Ländern bei der Niederschlagung des „Führer¬
staates‘“ mithalf, auszeichnet, ist die Verteidi¬
gung einer Kontinuität menschlicher Würde
und Selbstachtung in einer Zeit, in der die
Machthaber der „humanistischen Illusion“, al¬
lem Zukunftsglauben an ein Leben in Frieden,
Freiheit und Gerechtigkeit ein Ende bereiten
wollten. Daß wir auch heute nicht „jenseits
von Genozid und Faschismus“ leben, ist nicht
die Schuld der Widerstandskämpfer.
Du hast in meinen Augen vollkommen recht,
vor „einer Überidentifikation mit den einstigen
Antifaschisten und den damaligen Opfern“ zu
warnen, einer „Überidentifikation“, die sich
mit den Gefahren und Entbehrungen, denen
andere ausgesetzt waren, kostümiert, ohne de¬
ren Geschichte, Probleme, Schicksale und
Motive wirklich zur Kenntnis nehmen zu wol¬
len. Und einverstanden bin ich auch damit, daß
das heutige Österreich kein Recht hat, sich
„auf den antifaschistischen Kampf“ zu „beru¬
fen“ und darauf zu „bestehen, eine Antithese
zum ‚Dritten Reich’ zu sein“. Daß Österrreich
aber dieses Recht dadurch erlangen kann, daß
es anerkennt, „Teil der Tätergesellschaft“ ge¬
wesen zu sein, leuchtet mir nicht ein. Nicht
durch das Bekenntnis einer Schuld, die in der
von Dir vorgeschlagenen Form weder bekannt
noch als Schuld erkannt werden kann, werden
das real existierende Österreich und das
„Andere Österreich“ wieder zusammenfinden.
(Die Inkongruenz verschiedener Österreich¬
Bilder ist übrigens ein durchaus wünschens¬
wertes Resultat der jüngeren Geschichte und
der Auseinandersetzung mit ihr.) Siglinde
Bolbecher und ich schrieben im Mai 1996 im
Editorial von ,,Zwischenwelt*:
,Osterreich an sich’ ist, auch wenn es einen
freut, Wien als ,,Welthauptstadt des Anti¬
semitismus“ zu bezeichnen, genauso wenig ei¬
ner Schuld oder Unschuld fähig wie ‚Deutsch¬
land an sich’. Was besteht, ist die kollektive
Verantwortung, für die verursachten Schäden
nach Möglichkeit Ersatz zu leisten. Die
Kollektivschuldthese jedoch, die alle, ob sie es
wollen oder nicht, in einen dunklen Zusam¬
menhang der Schuld verstrickt sieht, entlastet
die einzelnen, die in der Tat schuldig werden
können und schuldig geworden sind.
Lieber Doron, Du hast die meist sehr produk¬
tive Neigung, eine zunächst verzwickte und
unübersichtlich gewordene Frage einer klaren
Lösung zuzuführen. Und oft triffst Du den
Nagel auf den Kopf. Aber diesmal hast Du
möglicherweise nur die Finger getroffen, die
den Nagel für Dich bereithielten.
Konstantin Kaiser, Wien, 1. April 2001
Lieber Konstantin Kaiser,
in Deinem Brief an mich glaubst Du, ich hätte
durch einen „äquivoken Gebrauch von
Antisemitismus, Rassismus und Nationalis¬
mus historische Differenzierungen verwischt“.
Das stimmt nicht. Nie leugnete ich die
Unterschiede zwischen diesen drei Phäno¬
menen. Auch ging es mir keineswegs darum,
Nationalismus schlechthin als rassistisch zu
verdammen. Wie konntest Du überlesen, daß
ich darlegte, die österreichischen Antinazis
wollten mit ihrem Patriotismus „Stellung be¬
ziehen und sich vom Pangermanismus ab¬
grenzen“? Gewiß, ich schrieb, daß selbst unter
manchen Gegnern der Nazis die antisemiti¬
schen, rassistischen und nationalistischen
Prinzipien, die dem Greuel zugrunde lagen,
akzeptiert und verbreitet gewesen waren. Was
ist daran falsch? Ist denn zu leugnen, daß nicht
wenige Deutsche und Österreicher, die Hitler
ablehnten, dennoch nicht frei von rassistischen
Ressentiments waren und viele zudem dach¬
ten, sie dürften im Krieg nichts gegen das na¬
zistische Regime tun, sondern müßten erst
gegen die „Feinde“ zu Felde ziehen und sich
der Berliner Führung unterwerfen? War zudem
der Nationalismus des „Dritten Reiches‘ etwa
nicht völkisch und rassistisch?
Just mir zu unterstellen, ich würde den Unter¬
schied zwischen Nationalismus und Rassismus
verwischen, entbehrt nicht einer gewissen
Komik, denn innerhalb der Protestbewegung
gegen die schwarzblaue Regierung wird der
„Demokratischen Offensive“ im Gegenteil
vorgeworfen, auf nationale Anrufungen nicht
zu verzichten. In unserem ersten Aufruf im
Oktober 1999 war zu lesen: „Wir sind Öster¬
reich“. Dieser Satz, mit dem wir zu einer De¬
monstration gemeinsam mit der African
Community, mit der Israelitischen Kultusge¬
meinde, mit Echo, der Organisation der
Zweiten Generation der Zugewanderten
ankündigten, wird uns seit Monaten vorgehal¬
ten. Diese unsere Worte waren eine Replik ge¬
gen die Lüge vom vermeintlich „echten
Österreich“. Gewiß erinnerst Du Dich: Die
Freiheitlichen hatten ihre Spitzenkandidaten
als „echte Österreicher“ angepriesen. Die
Mehrheit, die sie nicht gewählt hatte und sich
gegen eine Koalition mit ihnen aussprach, galt
in den Medien sogleich als „anderes Öster¬
reich“, womit eingeräumt schien, daß die
Freiheitlichen das „eigentliche“ Österreich
vertraten. Die etablierten politischen Kontra¬
henten, unter ihnen der damalige Bundes¬
kanzler, fügten sich dieser Sicht und fühlten
sich bemüßigt, den „Ruf Österreichs“ vor der
Welt zu verteidigen, statt das Wahlverhalten ei¬
ner Minderheit anzuprangern. In der damali¬
gen Situation wollten wir Österreich nicht
Haider überlassen, beanspruchten und beharr¬
ten darauf, nicht das „andere“, sondern das
eigentliche Österreich der postnazistischen
Verfassung, jenseits der freiheitlichen Hetze zu
repräsentieren.
In meinem Text wies ich darauf hin: Im
Kontext bloß kann Patriotismus beurteilt wer¬
den. Sich 1938 zu Österreich zu bekennen, be¬
deutete, sich gegen Berlin zu wenden. Wenn
heute aber ein Glatzkopf ruft: „Ich bin stolz,
Deutscher zu sein“, so meint er nicht dasselbe
wie der „Centralverein deutscher Staatsbürger
jüdischen Glaubens“, der seine Mitglieder
1933 aufforderte, zum 1. Mai ihre Fenster mit
der deutschen Fahne zu schmücken. Dem Cen¬
tralverein nutzten diese nationalen Bekennt¬
nisse freilich wenig. Die Antisemiten ließen
sich durch solche Argumente nicht überzeu¬
gen, doch Kurt Tucholsky verspottete diese jü¬
dische Fraktion mit ihren bemühten Be¬