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kundungen zum Deutschtum als „Central¬
verein bürgerlicher Staatsjuden deutschen
Glaubens“.

Auf keinen Falt verleumde ich die aus Öster¬
reich Entkommenen, wenn ich beschreibe, was
sich damals ereignete. Ich werfe ihnen nichts
vor, wenn ich erwähne, daß sie österreichische
Kulturzentren gründeten und sich in ländliche
Trachten kleideten. Wieso behauptest Du, ich
würde, wenn ich dies lediglich aufzähle, die
Gründung der Kulturzentren mit dem Tragen
von Trachten gleichsetzen? Denkst Du wirk¬
lich, ich wollte die Vertriebenen denunzieren?
Weshalb nennst Du meine Behauptung, die
Exilierten kleideten sich in ländliche Tracht,
„originell“? Dies ist keine Behauptung, son¬
dern eine historische Tatsache, die sich durch
einen kurzen Blick in die Akten und auf Photos
nachweisen läßt. Ich lege Dir einige Kopien
solcher Abbildungen bei. Zu sehen sind öster¬
reichische Antifaschisten, nicht selten aus jü¬
dischen Familien, in Lederhosen und DirndIn,
die Volkstänze aufführten und Volkslieder san¬
gen. Auf einem Bild ist zu lesen: „Austrian
dancing at the festivities 150th anniversary of
the great French Revolution. Austrian group“.
Eine Alpenfeier, ein Schuhplattler, zu Ehren
der Französischen Revolution gibt es hierzu¬
lande leider nicht. In England wurde so ein
Fest veranstaltet. Warum vermeinst Du, dieses
geschichtliche Faktum Könnte dem Ansehen
der Vertriebenen schaden? Im Gegenteil; ihre
Anstrengungen mögen uns heute ihrer
Vergeblichkeit wegen rühren, aber ihr Glaube
an ein Neues Österreich war eine hehre
Hoffnung, eine kämpferische Parole. Heute
aber wissen wir, wie ihre Hoffnungen hierzu¬
lande verraten und mißbraucht wurden.

Du meinst, daß ein großer Teil die nationalso¬
zialistischen Verbrechen mit Begeisterung bil¬
ligte, aber Du bestreitest, Österreich sei ein Teil
der Volksgemeinschaft gewesen, in deren
Namen und zu deren Kollektivnutzen geraubt
und gemordet wurde. „Volksgemeinschaft“
wäre, so erklärst Du, bloß eine Ideologie, aber
keine begrifflich faßbare soziale oder gesell¬
schaftliche Realität. Kann eine Ideologie nicht
realitätsmächtig werden? Waren die Nürn¬
berger Rassegesetze nicht auch eine blutige
Wirklichkeit? Es ist problematisch von den
Österreichern oder den Juden zu reden, aber
wer zur „Volksgemeinschaft‘“ gehörte und wer
nicht, war damals eine Frage auf Leben und
Tod. Du behauptest, die „Volksgemeinschaft“
hätte aus den Verbrechen keinen Kollektiv¬
nutzen gezogen; dieser Nutzen wäre denen, die
an sie glaubten, bloß vorgespiegelt worden.
Zum Teil ist das wahr, aber gab es etwa keinen
Profit für die Volksgemeinschaft durch
Arisierungen, durch Wohnungsraub und durch
die Liquidierung der jüdischen Konkurrenz¬
geschäfte? Du schreibst, die „Volksgemein¬
schaft“ habe nicht aus Staaten, somit eben
auch nicht aus „Österreich“ bestanden. Ist
„Österreich“ denn nichts als eine durch
Staatsinstitutionen definierter Begriff? Die
Krone wirbt für sich mit dem Satz: „Ganz
Österreich liest die Krone.“ (Immerhin ließe

sich nun sagen, ganz Österreich liest, wer hät¬
te das gedacht.) Glaubt nun irgendwer, mit die¬
sem „Österreich“ seien Instanzen der Republik
oder geographische Erscheinungen wie der
Großglockner gemeint? Wenn der Nachrich¬
tensprecher verkündet: „Österreich hat ge¬
wählt“, ist dann mit einem Beschwerdeanruf
von Konstantin Kaiser beim ORF zu rechnen,
„Österreich an sich“ könne gar nicht wählen,
allenfalls die Österreicher, und zwar bloß die
Wahlberechtigten, und von denen seien wie¬
derum nicht sämtliche zu den Urnen geschrit¬
ten.

Du erklärst, im großdeutschen Reich durfte der
Ausdruck „Österreich“ nur mehr in histori¬
schen Zusammenhängen verwendet werden.
Gewiß, aber sollen wir uns diesen Weisungen
der nazistischen Propaganda bedingungslos
unterwerfen? Die Nationalsozialisten be¬
schlossen, als es ihnen opportun schien, auf
den Ausdruck „Antisemitismus“ zu verzichten,
weil sie den Mufti von Jerusalem nicht ver¬
grämen wollten. Heißt das, wir dürfen nicht
mehr feststellen, daß die Propaganda ab die¬
sem Zeitpunkt antisemitisch war?

Vor 1938 sahen die meisten, wenn auch nicht
alle dieses Landes in Österreich einen eigen¬
ständigen Staat deutscher Nation. Nach 1918
hatten die meisten Fraktionen einen Anschluß
an Deutschland angestrebt, bloß das Verbot der
Siegermächte war dem im Wege gestanden.
Schuschnigg, verabschiedete sich im März
1938 vom österreichischen Volke mit dem viel
zitierten „deutschen Wort“. Er wolle kein
„deutsches Blut“ vergießen, erklärte er ange¬
sichts der Drohungen Hitlers. Der Ständestaat
war ein „christlich deutscher Bundesstaat“.
Die Nationalsozialisten Österreichs wiederum
scheuten vor 1938 den Begriff „Österreich“
noch nicht und erklärten, daß sie als Österrei¬
cher, als „Deutschösterreicher“, zum deut¬
schen Volk gehörten. Jene Nazis, die nach
deren Verbot 1933, in das Deutsche Reich flo¬
hen, traten der „Österreichischen Legion“ bei,
einer eigenständigen Einheit der SS. Die ideo¬
logische Differenz will ich mit diesen Überle¬
gungen nicht schmälern. Die österreichischen
Nationalsozialisten strebten mit ihrem
Deutschnationalismus nach einem „völki¬
schen“, mithin nach einem rassistischen, tota¬
litären und expansionistischen Deutschland,
doch einst war noch in Schwebe, was ex post
sich schicksalhaft zur Geschichte fügt. Seit
1945 erst gibt es als offizielle Doktrin eine
österreichische Nation, die nicht Teil einer
größeren deutschen ist, und diese Sichtweise
einte damals die staatsgründenden Parteien,
einte Sozialdemokratie, Volkspartei und
Kommunisten.

Österreich hat nicht weniger Grund als
Deutschland, sich mit dem Erbe des
Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Von
einer Kollektivschuld, die alle umfaßt, spreche
ich gewiß nicht. Die These von der pauschalen
Schuld des gesamten deutschen oder öster¬
reichischen Kollektivs wird von keinem seriö¬
sen Autor aufgestellt. Wenn Du gegen die
Theorie einer Kollektivschuld zu Felde ziehst,

bestreitest Du somit, was niemand behauptet.
Doch in seinem Werk „Jenseits von Schuld
und Siihne“ bestand Jean Amery auf der
Existenz einer anderen Art von Kollektiv¬
schuld. Den Gedanken, die Gemeinschaft der
Deutschen wäre durch gemeinsames Handeln
schuldhaft geworden, bezeichnete er als blan¬
ken Unsinn. Kollektivschuld als rassistische
Unterstellung lehnte er eindeutig ab. Kollektiv¬
schuld war für ihn vielmehr die Summe indi¬
viduellen Schuldverhaltens, und so wurde aus
der Schuld jeweils einzelner Deutscher —
Tatschuld, Unterlassungsschuld, Redeschuld,
Schweigeschuld — die Gesamtschuld eines
Volkes. Amery wollte den Begriff als vage sta¬
tistische Aussage benützen, denn ohne ge¬
meinschaftliche Anstrengung wäre die
Ermordung des europäischen Judentums nicht
möglich gewesen. Die Untat war ein kollekti¬
ves Verbrechen, das niemanden aus seiner
Verantwortung entläßt, aber dennoch nicht alle
gleichermaßen betrifft. Die individuelle
Schuld hat Name und Adresse, ist aber gleich¬
zeitig Teil einer gesamtgesellschaftlichen.
Anders ist nicht zu verstehen, worin der
Charakter des totalitären Verbrechens besteht.
Wenn ich schrieb, daß allzu Wenige im Unter¬
grund kämpften, so ging es mir zu keinem
Moment darum, den Widerstand zu diskredi¬
tieren. Daß sie wenige waren, ist nicht Schuld
dieser Menschen. Im Gegenteil; da es so we¬
nige waren, muß der Kampf jeder einzelnen
Person umso heroischer erscheinen. Von „all¬
zu Wenigen“ rede ich, weil der Widerstand in
Österreich und in Deutschland, das Regime
nicht stürzen und die Verbrechen nicht verhin¬
dern konnte.

Ich wehre mich dagegen, sobald der öster¬
reichische Widerstand mißbraucht wird. Wenn
heute etwa bei Protesten gegen die freiheitliche
Regierungsbeteiligung die Parole „Wider¬
stand‘ ertönt, dann klingt etwas von einer Übe¬
ridentifikation mit den einstigen Antinazi mit,
die eine Anmaßung ist und die Teil jenes
Problems darstellt, als dessen Lösung sie sich
ausgibt. Doch niemand sollte vergessen, daß
die Freiheitlichen seit Jahren die ehemaligen
Täter ehren, daß sie den Widerstand verhöhnen
und daß sich der Landeshauptmann von
Kärnten weigert, alte Partisanen auszuzeich¬
nen. Letztlich erinnern so die Gegner der
Freiheitlichen an das Vermächtnis der öster¬
reichischen Widerstandsbewegung, um gegen
die freiheitlichen Geschichtslügen zu prote¬
stieren. Es ist vermessen, heute von einer
„österreichischen Widerstandsbewegung“ zu
reden, aber zu widersprechen ist auch jenen,
die meinen, die schiere Verwendung der Parole
„Widerstand“ bedeute bereits eine „Sekundär¬
ausbeutung der Opfer“ und das Wort „Wider¬
stand“ wäre für alle Zukunft zu verbieten.
Solch eine reaktionäre Sprachpolizei verfällt
just jener „ahistorischen Fixierung“, die sie
den Antirassisten vorwirft. Es gibt auf der
ganzen Welt gewerkschaftlichen, zivilen oder
parlamentarischen und außerparlamentari¬
schen Widerstand. Warum nicht auch in Öster¬
reich?

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