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lingshilfe veranschaulichte Barbara Vormeiers
Vortrag. Vom Völkerbund, den Deutschland
1933 verlassen hatte und der sich dennoch
nicht bereit erklärte, deutsche Flüchtlinge au¬
tomatisch anzuerkennen, über die 1936 durch
eine Asylrechtskonferenz formulierten Vor¬
schläge und ein erst 1938 erarbeitetes definiti¬
ves Flüchtlingsstatut, zog die Forscherin einen
Bogen zum 1951 neu definierten Flücht¬
lingsstatut, der letztendlich wieder die
Problematik der 1930er Jahre aufwies.
Ebenso belegte Ute Lemke wie das
„Völkerbundinstitut für geistige Zusammen¬
arbeit“ deutschen Intellektuellen mit Aus¬
nahme einer einzigen am Institut tätigen
Juristin keine Hilfe leisten konnte. Die
Querelen um den unter der Parole „Geistes¬
freiheit‘ geschaffenen „Bund Freie Presse und
Literatur in Paris“, der gegen die braune, aber
auch gegen eine sogenannte „rote Reichs¬
schrifttumskammer“ (den Schutzverband deut¬
scher Schriftsteller im Exil) auftrat, erläuterte
Dieter Schiller (Berlin).

Drei Referate — Anne-Marie Corbin (Le
Mans), Caroline Stodolsky (Miinchen) und
Marie Canteloube (Paris) — schilderten mit
den Themen „Pariser Kaffeehäuser in der
Wirklichkeit und in der Phantasie der deutsch¬
sprachigen Emigranten“ den Emigrations¬
alltag von Walter Benjamin, Arthur Koestler
und Lisa Fittko, das „gewöhnlich-gefährliche“
Leben Anna Seghers’ im Exil. Lutz Winckler
(Poitiers) dokumentierte den Paris-Mythos an¬
hand „Pariser Tageblatt/Pariser Tageszeitung“,
die Wissenschaftlerinnen Waltraud Strick¬
hausen (Marburg) und Helene Roussel (Paris)
anhand von Romanen der frühen 1930er Jahre
und der Exilzeit.

Der besonderen Dimension literarischer Über¬
tragungen der Exilerfahrung wurde mit Hans
Sahl (Andrea Reiter, Southampton), dem
Exilroman von Ernst Lothar „Die Zeugin —
Pariser Tagebuch einer Wienerin“ (Jörg
Thunecke, Köln), sowie den Versuchen, durch
Schreiben Distanz zu gewinnen (Silvia Schlen¬
stedt, Berlin), nachgegangen.

Die internen politischen Debatten und Diskurse
unter den Exilanten beleuchteten Hartmut
Mehringer (München) mit Ausführungen über
die „KPD im Pariser Exil“, Boris Schilmar
(Düsseldorf) „Zwischen München und Mos¬
kau“ und Karl Holl (Bremen) „Deutsche
Pazifisten“. Zu diesen Themen gab es eine gut
gewählte Ergänzung mit den Referaten von
Alexander Stephan (Columbus) ,,Observierung
deutscher Exilanten durch die Botschaft des
Dritten Reiches in Paris“, Michaela Enderle¬
Ristori (Tours) „Die deutsch-österreichische
Emigration unter der Lupe der französischen
Sicherheitsbehörden“ und Valerie Robert
(Paris) über die Benn-Affäre in Paris.

Die Zwischenschaltung eines kulturellen
Abendprogramms wurde von den Teilnehmern
besonders begrüßt. Bil Spiras Zeichnungen
(Claude Winkler-Bessonne, Paris; leider blieb
bei dieser Gelegenheit einmal mehr seine von
Konstantin Kaiser herausgegebene Autobio¬
graphie außer Betracht), Kinoausschnitte zum

Thema Filmemigranten (Helmut Asper,
Bielefeld), die Fotoausstellung „Der Blick des
Besatzers. Propagandaphotographie der
Wehrmacht aus Marseille 1942-1944“
(Ahlrich Meyer, Oldenburg) und — besonders
beeindruckend — der Vortrag und die
Vertonung von Exilgedichten durch Caroline
Tudyka.

Die lebensbedrohenden Erfahrungen im Pariser
Exil kamen in der abschließenden Zeit¬
zeugenrunde drastisch zum Ausdruck. Die heu¬
te 95jährige Tänzerin Julia Marcus erzählte mit
ungebrochenem berlinerischen Temperament
von ihrem Überlebenskampf. Sie durchstand
die Kriegsjahre getarnt als Sekretärin in einem
deutschen Betrieb in Paris. Lenka Reinerovä
umriß in bewegender Schilderung noch einmal
die aus ihren Werken bekannte Odyssee Prag¬
Marokko-Mexiko-Prag. Anna Seghers’ Sohn,
der französische Physiker Pierre Radvanyi,
analysierte die Einschulungsschwierigkeiten
seiner Kindheit, die Flucht zusammen mit
Mutter und Schwester vor den vorrückenden
Hitler-Armeen. Die übergeordnete Bedeutung,
die Anna Seghers dem geregelten Schulbesuch
ihrer Kinder beimaß, zwang diese auf dem
Fluchtweg ständig zur Gewöhnung an neue
Mitschüler, Lehrer und Orte.

Als einzige österreichische Zeitzeugin legte
Melanie Volle den Weg eines sehr früh politi¬
sierten Mädchens dar, das mit 16 Jahren ohne
Sprachkenntnisse, ohne Verbindungen die
Flucht aus Wien über Aachen, Antwerpen,
Lille, Paris, Clermont-Ferrand und Montauban
antrat, dort als Trotzkistin wegen Résistance¬
aktivität von französischer Polizei verhaftet, zu
15 Jahren verurteilt und von Mitgliedern ihrer
Gruppe, den „Revolutionären Kommunisten“,
aus dem Marseiller Gefängnis befreit wurde.
Sie steht seit vielen Jahren an Schulen und an¬
derwärts aktiv im Kampf gegen das Vergessen:
„Wir gehen immer davon aus, was die Jungen
heute interessiert und kommen dann darauf zu
sprechen, was wir damals getan haben. Einfach
ab einem Moment zu sagen: Wir sind dagegen,
wir müssen etwas tun. Das gilt heute genauso.“
Die Historikerin und Ethnologin Hanna Papa¬
nek (USA) warf an diesem Runden Tisch eine
kontroversielle Frage auf als sie forderte, den
sogenannten Zeitzeugen die Möglichkeit zu
geben, ihre Einzelschicksale selbst wissen¬
schaftlich oder künstlerisch zu verarbeiten und
dies nicht Nachfolgern oder Forschern zu
überlassen, die wie Ethnologen, und sei es
auch noch so taktvoll, Menschen ausfragen,
um darauf ihre eigene Karriere zu bauen. Aus
Respekt müsse man den Zeitzeugen die
Freiheit lassen, die verschiedenen Grade von
subjektiven Interpretationen mit in die
Geschichte dieses Exils hineinzuarbeiten
(Stichwort: participatory history). Denn die
Forderung nach Verallgemeinerungen in der
Exilforschung erzeuge — manchmal — Unsinn.
Widerspruch und Nuancierung dieser These
wurde insbesondere von der Historikerin
Claudie Weill formuliert, die ihre Zunft vertei¬
digte: „... Nicht jeder Historiker schreibt über
Gegenstände, die ihn nicht persönlich betref¬

fen, um Karriere zu machen. Man kann auch
aus Leidenschaft gewisse Themen angehen. Es
gibt auch andere Leute, die sich dafür interes¬
sieren und ihnen soll erlaubt werden, sich rein¬
zuknien und weiter zu forschen.“
In Fortführung dieser Thematik ergab sich
durch die Beteiligung mehrerer Zuhörerinnen
der „zweiten Generation“ (bereits im Exilland
geboren oder in jungen Jahren dorthin ge¬
bracht) einer der interessantesten Momente der
Tagung. Nach Berichten Alfred Grossers,
Pierre Radvanyis, Rita Thalmanns und Hanna
Papaneks ergriff im Saal Annette Antignac,
Tochter der SAP-Mitglieder Walter und Ruth
Fabian, das Wort mit einer Bitte: ,,... Ich méch¬
te nur darauf hinweisen, daß es eine ganze
Anzahl von solchen Kindern gibt, die entweder
aus den Erzählungen ihrer Eltern oder aus ei¬
gener Erinnerung und in ihren Koffern Mate¬
rialien haben, die sie selber nicht verarbeiten
können. Bitte richtet Euch, Ihr Wissenschaftler,
an diese zweite Generation und vergeßt nicht,
auch die zu fragen, weil ... auch das Nachleben
der Emigration vielleicht für die Geschichts¬
schreibung von Wichtigkeit sein könnte.“ Dem
konnten die anwesenden Forscher und
Mitarbeiter großer Archive nur zustimmen:
„Ich glaube, es ist sehr wichtig für die zweite
Generation, die Dokumente im Koffer hat, die¬
se nicht im Koffer zu behalten.‘ (H. Papanek)
Krista Scheuer-Weyl

Erstes Symposion über
Exilforschung in
Österreich

Von 17.-19. Mai 2001 fand in der Österreichi¬
schen Nationalbibliothek in Wien das interna¬
tionale Symposion „Die Rezeption des Exils in
Österreich. Perspektiven der österreichischen
Exilforschung statt. Veranstalter waren die
Aktion gegen den Antisemitismus in Öster¬
reich, der Österreichische PE.N.-Club, die
Theodor Kramer Gesellschaft und der Verein
zur Förderung und Erforschung der antifa¬
schistischen Literatur. Das Symposion wurde
vom Bundesministerium für Bildung, Wis¬
senschaft und Kultur und vom Referat
Wissenschafts- und Forschungsförderung der
Stadt Wien finanziell gefördert.

Die Koordinatoren, Evelyn Adunka und Peter
Roessler, werden die Ergebnisse dieses ersten
Symposions, bei dem überhaupt über Pro¬
bleme, Ergebnisse und Perspektiven der Exil¬
forschung in Österreich gesprochen wurde,
voraussichtlich Anfang 2002 in Buchform pu¬
blizieren. Mit dem Symposion wurde die
Gründung einer Österreichischen Gesellschaft
für Exilforschung in Angriff genommen.
Konstantin Kaiser, Wolfgang Neugebauer und
Erika Weinzierl legten einen Gründungsaufruf
vor, der von den Anwesenden nach Diskussion
akzeptiert wurde.

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