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Gabriele Kohlbauer-Fritz
hat (zusammen mit der
Kunsthistorikerin Gretchen
Sylvia Simms) eine schöne,
von gelassener Heiterkeit
erfüllte Ausstellung Ernst
Eisenmayers im Jüdischen
Museum erarbeitet, die mit
einer großen Zahl von
Zeichnungen, Graphiken,
Ölbildern und Skulpturen
einen guten Überblick über
die Entwicklung des 1920
in Wien geborenen Künst¬
lers von seinen jugendli¬
chen Anfängen bis zu ei¬
nem eindringlichen Selbst¬
porträt 1997 gibt. Von die¬
sem Porträt schaut uns der
Künstler mit einem Blick
an, in dem Fragen und
Staunen zugleich liegen.

Eisenmayer, den Lese¬
rInnen von MdZ und ZW
durch manchen Beitrag be¬
kannt (besonders vermut¬
lich durch seinen vehemen¬
ten Protest gegen die Jury¬
Entscheidung für das „Ho¬
locaust-Mahnmal“ am Wie¬
ner Judenplatz), besticht durch ein mit großem handwerklichen
Können verbundenes grüblerisches Gefühl für die besonderen
Erfordernisse verschiedener Materialien. Dadurch wirken
selbst seine späten, der Abstraktion vom Gegenständlichen ver¬
pflichteten Skulpturen ‚konkret’, lebendig und durchpulst in ih¬
rer Materiatur. Er läßt in seinen Bildern und Gebilden nichts
kalt und unverbunden stehen.

Eisenmayer flüchtete 1939 nach England, gehörte der „Free
Austrian Youth“ an, war mit Hans Schmeier, Erich Fried, Franz
Pixner im Protest gegen eine offizielle Exilkultur vereinigt, die
jungen Künstlern keine Entwicklungschance zubilligte, wurde
u.a. von Oskar Kokoschka gefördert, blieb nach 1945 in
England und kehrte nach weiteren langen Jahren in Italien und
den Niederlanden 1996 nach Wien zurück. Als ein „Grund¬
problem“ hat er in einem Aphorismus ausgesprochen: „Die
Kulturkluft zwischen den Verfolgten und den Verfolgern zu
überwinden.“

Wie kaum zwei andere Werke beleuchten ‚Wien 1938“ und
„Der verlorene Sohn“ die Problematik. Während das eine Bild
schlüssig die Ursachen der Flucht aus Wien angibt, erläutert
das andere etwas rätselhafter die Gründe, nicht zurückzukeh¬
ren. Eine blonde, füllige Frau (der Typus ist aus Kokoschkas
politischen Exilbildern geläufig) okkupiert den erstarrten
Mann — „Heimkehr“ hieße also Stillstellung, Verzicht auf die
Ausarbeitung der einmal gewonnenen Sicht der Dinge. Heim¬
kehr ist Niederlage.

Recht eindeutig scheint hingegen der zum Straßenwaschen
hingekniete jüdische Patriarch: Er scheint das „Opfer“ zu sein,

und der ihn umringende Menschenhaufe repräsentiert die
» later“. In Wahrheit sind sich die Verfolger hier bloß noch
nicht bewußt, daß sie sich durch ihre Tat selbst zum Opfer brin¬
gen; sie werden sich auch späterhin diesem Bewußtsein zu¬
meist verweigern. (G.S. Simms beschreibt das Bild im
Katalog ganz im Sinne eines metaphysischen Gegensatzes von
Tätern und Opfern; man muß dem nicht folgen.) Die Figur des
Patriarchen hat eine evidente Parallele in Alfred Hrdlickas
Bronzeskulptur am Albertinaplatz. Für beide Gestaltungen gilt,
daß der aus dem Alten Testament aufs Pflaster geworfene Jude
im Leiden eine innere Kraft auszustrahlen scheint. Er reicht
weiter in die geschichtliche Zeit zurück als die ihn Umrin¬
genden, hat Würde.

„In Eisenmayers Kunst“, zitiert G. Kohlbauer-Fritz einen
seiner Freunde, „geht es um die Würde des Menschen.“ Würde
erscheint in den Selbstporträts als Selbst-Anerkennung; über¬
haupt zielen Eisenmayers Porträts von englischen Arbeitern
und Alltagsszenen darauf ab, die Menschen ihre Würde (und
vielleicht auch Schönheit) erkennen zu lassen. Demgemäß wi¬
derspricht Eisenmayer unermüdlich auch allem, was Men¬
schenwürde herabsetzt. — K.K.

Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hg.): „About the Dignity of Man“.
Ernst Eisenmayer. Leben und Werk. (Deutsch/Englisch.) Aus¬
stellungskatalog des Jüdischen Museums der Stadt Wien 2002.
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