OCR Output

Zeit zwar über die geringe Höhe der Entschädigung, „wenn
man vergleichsweise dazu die Summen hört, die ehemalige
Zwangsarbeiter bekommen“. Immerhin wäre sie aber „eine Art
Ehrensold“ (Zur Zeit, 6/02). Auch in Deutschland erntet die
Koalition Anerkennung. „Fingerspitzengefühl“ hätten die
Österreicher bewiesen, steht etwa in Nation & Europa zu lesen,
einer Zeitschrift, die vom ehemaligen SS-Sturmbannführer und
Spezialisten für die „Bandenbekämpfung“ Arthur Erhard ge¬
gründet wurde. Angetan hat es ihr vor allem „die objektive
Geschichtsbetrachtung“, zu der die Regierung in Wien — im
Unterschied zur deutschen — imstande sei (Nation & Europa,
2/01).

Vergangenheitspolitisch ist das Gesetz die Synthese zweier
— scheinbar gegenläufiger — Opferthesen. Von der klassischen
Opferthese, wonach Österreich das erste Opfer Nazi-Deutsch¬
lands war, ist die ÖVP als Nachfolgepartei der christlich-so¬
zialen Austrofaschisten geradezu durchdrungen. Auf die
Wehrmacht umgelegt bedeutet sie, daß die österreichischen
Soldaten gezwungen waren, an den Vernichtungsfeldzügen des
Dritten Reiches teilzunehmen. Österreichische Wehrmachts¬
soldaten waren demnach doppelte Opfer: zuerst jene der Nazis,
wurden sie mit der Kriegsniederlage unschuldige Opfer der al¬
liierten Armeen.

Die scheinbare Gegenthese vertritt die FPÖ. Als Nachfol¬
gerin der VdU, die 1949 unter wesentlicher Beteiligung von
ehemaligen Insassen des Lagers Glasenbach gegründet wurde,
bekannte sie sich gewissermaßen immer offen zu ihrer Ver¬
gangenheit. Niemand sollte sich der Kriegsteilnahme und der
Nazi-Zeit schämen müssen. Die Kriegsgeneration war also
nicht etwa Opfer der Nazis — wie in der ÖVP damit auch die
weitgehende Zustimmung zum Nationalsozialismus verleugnet
wird — sondern der Alliierten, die die Wehrmacht niederkämpf¬
ten und dann versucht hatten, das öffentliche Leben rigide zu
entnazifizieren. Der Schlachtruf der Nachkriegszeit lautete da¬
her: „Gegen die Sieger- und Rachejustiz“. Friedrich Peter,
FPO-Obmann von 1958 bis 1978, ,,Glasenbacher-Kamerad“,
Angehöriger der berüchtigten 1. SS-Infanteriebrigade, die in
der Sowjetunion Partisanen und Juden jagte, der unter Kreisky
Dritter Präsident des österreichischen Nationalrats werden hät¬
te sollen, fand für seine Kriegsteilnahme damals klare Worte:
„Ich bin nicht jenem Kreis zuzuzählen, der ‚gepreßt und ge¬
zwungen’ wurde, sondern ich bekenne auch heute, daß ich frei¬
willig gegangen bin.“

Schnittmenge beider Opferthesen war immer der Wunsch
nach der Befreiung von der alliierten Last, von dem äußeren
Zwang, sich für die Nazi-Verbrechen verantworten zu müssen.
Der Nationalsozialismus selbst muß in dieser Mengenlehre
ausgeblendet bleiben bzw. wird rituell behandelt. Seit Mitte der
1980er Jahre (Waldheim-Affäre, Vranitzky-Rede, Wehr¬
machtsausstellung etc.) etablierte sich gegen die beiden
Opferthesen aber ein konträrer Diskurs, der die Mitschuld der
Österreicher betonte und die mangelnde „Aufarbeitung der
Vergangenheit“ kritisierte. Seine Spuren hinterließ die einset¬
zende „Betroffenheit“ bei vielen offenbar vor allem in der po¬
litischen Rhetorik.

Exemplarisch tun sich diese Abgründe der österreichischen
Erinnerung auf, wenn sich Sozialminister Haupt zu Wort mel¬
det: „Wenngleich geschehenes Unrecht nie wieder gut gemacht
werden kann, so sollen die Entschädigungen wenigstens eine
Geste der Anerkennung sein.“ Haupt spricht hier nicht über
ZwangsarbeiterInnen oder Juden und Jüdinnen, die versklavt,
beraubt, vertrieben und vernichtet worden sind, sondern über

Kriegsgefangene aus der Wehrmacht und die anderen erwähn¬
ten Anspruchsberechtigten des KGEG. Eine weitgehend be¬
wußtlos eingeübte, offiziöse Betroffenheitsrhetorik gegenüber
Opfern des Nationalsozialismus kommt hier in einer Apologie
der Wehrmacht und ehemaliger NS-Funktionäre zu ihrer ei¬
gentlichen Bestimmung. Die kollektive Reinwascherei gelingt
auch deswegen so gut, weil in dem Gesetz — in schlechter
österreichischer Tradition — völlig unterschiedliche Gruppen
zusammengefaßt sind. Nach dem jahrelangen Abwehrkampf
gegen einen gespenstischen Kollektivschuldvorwurf wird mit
dem novellierten Gesetz der Kriegsgeneration nun so etwas
wie eine Kollektivunschuld bescheinigt. Der FPÖ ist es ge¬
lungen, das Kriegskollektiv aus Wehrmachtssoldaten und
Nazi-Funktionären symbolisch neu zu schmieden — und unter
der Patronanz der ÖVP in eine perfekte nationale Opfer¬
gemeinschaft zu verwandeln. Diese könnte zur neuen Ikone
des offiziellen österreichischen Gedächtnisses werden.

Das KGEG stellt — zusammenfassend — keinen Bruch mit
der österreichischen Vergangenheitspolitik dar. Dafür trägt es
zu sehr die Handschrift der Entschädigungs- und Rehabili¬
tierungspraxis seit den 1950er Jahren. Dennoch bringt die
Regierungsbeteiligung der FPÖ offensichtlich einen schweren
revisionistischen Drall. Nun gibt es Genugtuung für die ver¬
meintlichen „Parias“ der Zweiten Republik (Mölzer). Die
Söhne und Töchter der „Opfer der Rache- und Vergeltungs¬
Justiz“ (VdU-Gründer Viktor Reimann) nützen die Gelegen¬
heit, um ihre eigene, gegen das „Diktat der Alliierten“ gerichte¬
te Geschichtsbetrachtung zu kodifizieren. Das KGEG ist so¬
zusagen die Gesetzwerdung der Ulrichsberg-Reden. Die Mit¬
verantwortungsthese hat offenbar ihre Schuldigkeit getan; sie
hat die Koalition fit gemacht für vergangenheitspolitische
Abrechnungen, die noch ins Haus stehen (Stichwort: Bene$¬
und Avnoj-Dekrete). Das Kriegsgefangenenentschädigungs¬
gesetz mag dafür weniger Beispiel als ideologischer Vorläufer
sein. Denn das Geld dafür muß noch aus dem eigenen Budget
genommen werden.

Peter Pirker, aufgewachsen in Berg im Drautal, studierte
Politikwissenschaft und Ethnologie in Wien, Diplomarbeit zur
Kritik der Zivilgesellschaft, Studienschwerpunkte zu Kritischer
Theorie, Staatstheorie und Nationalsozialismus, arbeitet als
freier Journalist u.a. für die APA und den ORF-Rundfunk.

Anmerkungen

1 Weiters sind Personen anspruchsberechtigt, die vor den Nazis ge¬
flüchtet sind und im Ausland festgehalten wurden. Das wird vor allem
Personen betreffen, die in die Sowjetunion geflüchtet sind und dort in¬
terniert wurden.

2 Bundesgesetzblatt vom 8.3. 2002.

3 Antragsformular der Pensionsversicherungsanstalt der Angestell¬
ten. Pikanterweise verschweigt Sozialminister Haupt in einer am 4.3.
2002 eingelangten Antwort auf eine parlamentarischen Anfrage der
Grünen die Möglichkeit, Rehabilitierungen anzuführen (,,http://
www.parlinkom.gv.at“). Die PVArb bestätigte dies hingegen gegenü¬
ber dem Autor.

4 Vegl.: Winfried R. Garscha: Entnazifizierung und gerichtliche
Ahndung von NS-Verbrechen, in: Emmerich Talos et.al.: NS-Herr¬
schaft in Österreich. Wien 2000. S. 852-883.

5 Zit. nach Brigitte Bailer-Galanda: Der „antifaschistische Geist der
Nachkriegszeit“, www.doew.at.