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Im Frühjahr 1945 saß ich im Gefängnis auf der Rossauer
Lände, das in Wien Liesl genannt wurde. Ich saß da schon seit
einem guten halben Jahr und wartete auf den Abtransport in ein
Konzentrationslager. Im November des Vorjahres wollte man
mich nach Dachau schicken, brachte mich aber irrtümlich nach
Maria-Lanzendorf, ein kleines Arbeitslager für die sogenann¬
ten Fremdarbeiter, denen man hier mit rüden Methoden
Disziplin beizubringen versuchte. Doch bald bemerkten die
überlasteten und wegen der nahenden Niederlage leicht hyste¬
risch gewordenen Nazi-Bürokraten den Irrtum und ließen mich
unter Bewachung zurück eskortieren.

Durch Fürsprache eines Schulfreundes aus Belgrad, der
auch hier einsaß und als Hausarbeiter beschäftigt war, wurde
auch ich ein Hausarbeiter, der im Jargon der Häftlinge Fazi
hieß. Ich wusch die Gänge, putzte das große Bad und lernte
den Dampfkessel zu bedienen, in dem die Kleider der Gefan¬
genen desinfiziert wurden. Wir hatten ununterbrochen zu tun,
weil jeden Tag neue Häftlinge eingeliefert und bald wieder in
verschiedene Lager weiter geschickt wurden. Die Herrscher
des sogenannten tausendjährigen Reichs arbeiteten verbissen
daran, alle ihre echten oder vermeintlichen Gegner hinter
Schloß und Riegel zu bringen oder auf irgendeine andere Art
zu eliminieren.

Zwei Tage vor dem 7. März, meinem zweiundzwanzigsten
Geburtstag, hielt ich eine Liste der Häftlinge in der Hand, die
ausgerechnet am 7. März nach Mauthausen abtransportiert
werden sollten. Darauf stand mein Name. Ich sagte es dem
Wachtmeister Hübner, der die Aufsicht über das Bad und die
Desinfektionsanlagen hatte. Er war ein alter Sozialdemokrat,
der es wegen seiner Vergangenheit in der Nazizeit nicht weit
gebracht hatte, so daß er nach vielen Dienstjahren auf diesem
unbedeutenden Posten eines Bademeisters gelandet war. Er
dürfte auch für seine Arbeit nicht besonders üppig entlohnt
worden sein, so daß er sehr sparsam lebte und aufgehobene
oder aus den Aschenbechern seiner Kollegen eingesammelte
Zigarettenkippen in einer kurzen Pfeife rauchte. Aber er hatte
Mumm.

In der ersten freien Stunde ging er schnurstracks zur
Gestapo und erzählte dort von der Flecktyphusepidemie, die
durch die vielen Läuse jeden Augenblick im Gefängnis auszu¬
brechen und nicht nur die Häftlinge, sondern auch das Be¬
wachungspersonal zu erfassen drohe. Er könne die Gefahr nur
mit Hilfe eines von ihm selbst ausgebildeten Entlausungs¬
fachmanns bekämpfen, den man überflüssigerweise nach
Mauthausen zu verfrachten vorhabe.

Seine Schilderung der Lage muß sehr überzeugend gewesen
sein, denn die zuständigen Gestapoleute strichen einfach mei¬
nen Namen von der Liste, so daß ich hier und in der Obhut des
Wachtmeisters Hübner noch einen Monat bis zum Einmarsch
der Sowjetarmee blieb. Seither habe ich eine große Schwäche
für die Sozialdemokraten.

Es war also kein Wunder, daß ich, als ich beschloß, nicht in
das damals stalinistische Jugoslawien zurückzukehren und in

Wien zu bleiben, die Nähe der Sozialdemokraten suchte. Das
fiel mir als Schriftsteller nicht schwer, weil die Sozial¬
demokraten in den ersten Nachkriegsjahren, an die Traditionen
des aufklärerischen Sozialismus der alten Partei anknüpfend,
eine ganze Reihe von eigenen Publikationen hatten, an denen
ich mitarbeiten konnte. Ich denke da vor allem an die „Arbei¬
ter-Zeitung“ unter Oskar Pollak, die einen beneidenswert gro¬
ßen Kulturteil hatte und auch Romane in Fortsetzungen
brachte, darunter den Roman „Chronik einer Nacht‘ meines
Freundes Reinhard Federmann, den wegen seiner kritischen
Haltung den Nazis gegenüber kein Verlag hierzulande drucken
wollte. Ich denke da auch an Zeitschriften wie „Die Zeit“,
„Strom“, „Trotzdem“ oder „Der jugendliche Arbeiter“, die den
Studenten und anderen jungen Menschen als Diskussions¬
plattform zur Verfügung standen und ein beachtliches Niveau
hatten. Die letzte dieser Publikationen, die den linksliberalen
Intellektuellen eine Heimstatt bot, war die Wochenzeitung
„Heute“, die ein bißchen Frische in das trübe geistige Leben
Österreichs brachte.

In dieser Zeit der Entdeckung einer für mich neuen Welt, die
mit der Zeit meine neue Heimat werden sollte, lernte ich, wie
ich glaube, durch einen französischen Freund Peter Strasser
kennen, einen sehr dynamischen jungen Sozialdemokraten, der
aus der französischen Emigration zurückgekehrt war und es
bald durch seine Sprachkenntnisse und seine Bildung zum

Milo Dor. Foto: Nina Jakl

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