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Transkription nach der Handschrift, Jewish National and
University Library Jerusalem, Ms. Var. 365, Karton 7

6/11/28

Die Erregung aus der Klagemauerangelegenheit will nicht ab¬
flauen. Der Oberste muslimische Rat respektive der
Grossmufti Haj Emin el husseini und sein nobler Cousin Jemal
el husseini hetzten und haranguieren die Massen gegen die
Juden, während auf der andern Seite das Chauvinistenorgan
Doar hayyom und die Jabotinskygarde, unsere Haken¬
kreuzlerknaben vom Brith trumpeldor Soldatenspielen und das
Land mit Gerüchten über Schlachten mit den Arabern, am 2.
November den [sic!] Jahrestag der unmöglichen Balfour¬
deklaration, erfüllen. Der Tag ging glücklicherweise ruhig
vorüber, aber die Nervosität und das irrsinnige Hetzen ist nicht
abgeflaut. Über den Geisteszustand der arabischen Hetzer un¬
terrichten ihre Zeitungen aufs gründlichste, über den unserer
Hurrahpatrioten unter anderem ein nächtliches Gespräch mit
dem Revisionistenknaben Koestler, dem Vertreter der Vossi¬
schen Zeitung. Resümee seiner Anschauungen: Kampf gegen
die Araber, Kampf gegen die Geistigkeit, gegen Religion, mit
einem Wort gegen alles was das Judentum von den andern
Völkern abhebt. ‚Wir müssen ein Volk werden mit Staat, Fah¬
nen, Gesandten, Taschendieben, Huren, ein Herrenvolk mit
Muskeln.“ Gibt es noch Gemeinsames mit diesen wahnsinni¬
gen Schändern der jüdischen Idee die mit Hedad sich assimi¬
lieren an den Abhub aller nationalen Ideen? Ich glaube nicht.

[...]

Neuangelegter Teil von Jaffa. Zeitgenössische Aufnahme.
Foto: Jüdisches Museum der Stadt Wien (JMW)

26/9

Das Spiel, das die Engländer mit uns treiben, ist unverständ¬
lich. Verbrechen oder Wahnsinn? Die Früchte der einseitigen
Entwaffnung — sie wissen ganz genau, daß sie die Beduinen
und die Fellachen nicht entwaffnen können — sind in den letz¬
ten Tagen diese: vorgestern wurde Kfar hayyeladim um 8 Uhr
abends von Beduinen, die die Telefondrähte abgeschnitten hat¬

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ten, überfallen. Der Schomer der sich mit dem Revolver ver¬
teidigte, fiel. Seiner Leiche wurde die Gurgel durchge- schnit¬
ten. Militär kam natürlich zu spät. Der arabische Spurensucher
der Polizei fand angeblich keine Spuren mehr. Gestern wurde
in Jerusalem, 500 Schritte vor der Polizei[station] Meah
sche’arim ein sechzigjähriger Jude erstochen. Mörder unbe¬
kannt. Was haben wir davon, wenn man morgen an derselben
Stelle zwei tote Araber finden wird. Es ist zum Wahnsinnig
werden! In der alten Stadt ein jüdischer Verwundeter. Ergebnis
eines Tages.

30/9

Der Brith schalom schickt mir ein Statement ins Haus. Litera¬
tur, nichts als Literatur, blut- kraft- und saftlos, Verbeugung
nach allen Seiten hin. Verkennt die ganze Sachlage, verschiebt
sie auf ein Geleise, das gar nicht existiert, sieht nicht das
Wesentliche. Nicht die elementare Notwendigkeit des Zusam¬
menstoßes infolge Verschiedenheit des Leben[s]stils — einer¬
seits — und infolge des. englischen Spiels — anderseits. Die
Engländer: dieser Tage beschlossen die englischen Beamten,
der englischen Polizei — wohl dafür, daß sie auf Kosten der er¬
mordeten Juden die Engländer geschützt hat - ein Geschenk zu
geben. Sammelten Geld in ihren Kreisen und übergingen die
Juden, das heißt die hohen englischen Beamten, die Juden sind.
Der Oberstaatsanwalt Bentwich schickte ohne Einladung fünf
Pfund — und erhielt die fünf Pfund prompt zurück. Die Sache
kam vor den Highcommis[s]ioner und Lord Chancellor verbot
sofort die ganze Chose. Und diese Leute sollen ein jiidisches
Nationalheim aufbauen. Es scheint, als würden diese Englän¬
der, sobald sie palästinensischen Boden betreten, moralisch in¬
disponiert werden. Die Sache ist aber unbezahlbar, denn sie
beweist schlagender als irgend etwas anderes, daß die engli¬
sche Beamtenschaft — ausgenommen vielleicht Lord Chan¬
cellor — antisemitisch ist.

Nach Jerusalem zurückzugehen, scheint noch immer kein
Vergnügen zu sein. Die Leute die aus Jerusalem kommen, er¬
zählen, daß die Stimmung sehr deprimiert ist, daß es jeden Tag
irgendeinen falschen Alarm gibt und daß besonders die
Musrarah nichts an ihrer Unheimlichkeit verloren hat. Es
scheint, als wollten die Araber diesen Zustand stabilisieren.

Hier ist es ruhig. Gestern nur gab es drüben in Jaffa einen
kleinen Zwischenfall. Araber wollten eine Demonstration ge¬
gen einen Richter machen, der Urteile aussprach, die ihrem
Geschmack nicht entsprachen und wurden durch Polizisten
und einen Flieger, der ein bis[s]chen in der Luft herum schoß,
auseinander getrieben.

27/10

Ein paar Tage in Jerusalem. Ich bin krank, muß durchleuchtet
werden. Ich atmete wieder auf, als ich in Jerusalem war. Sie ist
Blut von meinem Blut, diese Stadt. Trotzdem die Stimmung in
keiner Weise mit der Tel-avivs zu vergleichen ist —- man fühlt
auf Schritt und Tritt die Gedrücktheit und die Unsicherheit der
Lage deren augenfälligstes Zeichen die Anwesenheit vieler