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englischer Soldaten ist — möchte ich doch wieder in Jerusalem
leben. Die herbe grausame Feierlichkeit dieser Stadt gehört zu
meinem Leben, dagegen ist nichts zu machen. Die ruhige vor¬
nehme Feierlichkeit, auch wenn sie vielleicht die des Todes ist,
gehört zu der Stimmung, die mich nach Palästina zog. Tel-aviv
aber ist ein Umweg nach Palästina.

Eine merkwürdige Tatsache: Miryam beginnt der Stimmung
Tel-avivs zu erliegen. Ihre Ansichten werden von Tag zu Tag
chauvinistischer. Wir streiten oft um politische Dinge, denn sie
macht das ganze arabische Volk solidarisch haftbar für die
Vorfälle, verkleinert den Gegner in allen seinen Handlungen
und versteht beim Araber nichts, was sie, würden wir es tun,
sofort verstehen würde. Das ist die Stimmung der Juden hier
im Gettho [sic!] Tel-aviv.

Im übrigen haben die Juden eine neue Niederlage erlitten:
ihr mächtig einsetzender Boykott versandet immer mehr, be¬
sonders die Ssefardim kaufen schon bei den Arabern, während
der arabische Boykott, sehr gut organisiert und unter den
Augen der Polizei durchgeführt, dem jüdischen Handel sehr
großen Schaden zufügt.

Im allgemeinen gleicht das Leben einem Leben auf einem
Vulkan, von dem nur einige Optimisten behaupten, daß er er¬
loschen sei.

12/11/29

Wir sind seit gestern wieder in Jerusalem. Es war an der Zeit,
die Epoche Tel-aviv abzubrechen. Trotz der Sicherheit, die die¬
se Stadt bietet, konnte ich auch jetzt mich nicht mit ihr be¬
freunden. Ich verstehe die Mentalität ihrer Menschen nicht,
nicht ihr einschläferndes Klima und nicht den Chauvinismus,
der sie zusammenhält. Geistig in Tel-aviv zu arbeiten, scheint
mir unmöglich.

Wir fanden unsere Wohnung unversehrt, in all der wüsten
Unordnung, in der wir sie verließen; der Staub, der auf den
Dingen lag, war zum Schneiden. Ebenso wüst der Garten;
manches ist zugrunde gegangen, darunter meine schöne
Palme und ein seltener Kaktus aus meiner Sammlung. Die
Stimmung ist durchaus nicht erfreulich. Alles ist so lastend und
schwer. Wenn man auf die Straße geht, hat man stets das un¬
heimliche Gefühl von einem Bravo beobachtet zu werden und
ab Sonnenuntergang, also ab fünf Uhr sind, zumindes[t] wir in
der Musrarah Gefangene in unsren Häusern. Unheimlich
kriecht der Mord noch immer durch Jerusalem. Terroristen¬
banden, nahe verwandt mit denen, die den antijüdischen
Boykott mit nackter Gewalt aufrechterhalten, lassen die Stadt
nicht zur Ruhe kommen. Heute hat ihre Frechheit einen
Höhepunkt erreicht. Um zehn Uhr vormittag wurde Dr. Ticho
vor seiner Klinik, also in einem jüdischen Viertel gegenüber
der Polizeistation Meah sche’arim von einem Araber, der stun¬
denlang ihm auflauerte hinterrücks niedergestochen. Er liegt
schwerverletzt in der Hadassah, der Bravo ist verschwunden.
Natürlich steht die Polizei’ der Engländer - die die Mitglieder
der lächerlichen britischen Untersuchungskommission bewa¬
chen müssen — wie gewöhnlich ohnmächtig der Sache gegen¬
über. Es gibt verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, warum
gerade der völlig unpolitische unter den Arabern unerhört be¬
liebte Arzt gestochen wurde. Die einen sagen, daß eine
Schwarze Liste jüdischer Ärzte existiere, die von ihren arabi¬
schen Konkurrenten aufgestellt worden sei, Andere wieder
meinen, daß die Extremisten systematisch darangehen promi¬
nente Leute aus der jüdischen Gesellschaft umzubringen, um

auf diese Weise das Gefühl der Unsicherheit zum Anlaß er¬
höhter Abwanderung der Juden zu machen. Ich glaube, daß
keine der beiden Auslegungen richtig ist, sondern daß es sich
hier in erster Linie um Blutrache für die großen arabischen
Verluste handelt. Die Terroristen wissen genau, daß Morde an
Juden die Engländer zwar in Verlegenheit — zumindest vorü¬
bergehend - bringen, daß sie sie aber nicht die Freundschaft
der Briten kosten wird. Unsere Lage ist erbärmlich.

18/11

Nein, es ist gar nicht gemütlich in Jerusalem. Die
Gefangenschaft nach Sonnenuntergang, also ab 1/2 5 Uhr wird
mählich bedrückend, selbst wenn man arbeitet. Ein Gefühl
grenzenloser Verlassenheit nistet in den leeren Zimmern;
draußen die Straße ist unheimlich ruhig, selten geht jemand
vorbei und wenn einmal zwei Menschen draußen laut spre¬
chen, erwartet man, daß jetzt und jetzt ein Schuß fällt.

Heute nachmittag Eröffnung des Universitätssemesters. Der
Kanzler der Universität leitete ein. Er ist ein Friedensfreund,
wie mir scheint Mitglied des Brith haschschalom [sic!]. Er
streifte die Vorgänge und da er im Sinne des Bjfrith].
sch[alom]. sprach, sprang Ussischkin auf und protestierte. Ein
paar Jungens machten Krawall. Einer pfiff auf einem
Schlüssel. Peinliche, und symptomatische Jungenstreiche.

Von der Universität gingen wir in einer großen, starken
Gruppe zu Fuß in die Stadt hinüber. Man sah es Jedem an, daß
er es als Wohltat empfindet, wieder einmal halbwegs sicher
über ein freies Feld gehen zu können. Man muß sich abge¬
wöhnen zu denken. Man müßte sonst heulen und verzweifeln
an unsrem Leben, an der Jämmerlichkeit dieser Zeit, immer
wieder erschüttert sein von dem Schicksal[,] dieser Generation,
die schon so viel mitgemacht hat, anzugehören.

Am Heimweg einen Sprung bei Yasmins. Merkwürdige
Gesellschaft dort: ein arabischer Polizeioffizier und ein
Engländer von Intelligence Service, also von der Geheim¬
polizei. Robinson heißt er und scheint die Spionage in jüdi¬
schen Kreisen zu betreiben.

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