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Wir waren seit 1911 entschlossen gewesen, nach Palästina zu
gehen und hatten damals in Kfar Saba ein Grundstück von 20
Dunam erworben. Die Umstände erlaubten uns erst im Jahre
1933 die Einwanderung, immerhin fünf Jahre vor Hitlers
Einbruch in Österreich.

Mein Bruder und seine Frau, die seit 1923 in Benyamina als
Bauern ansässig waren, nahmen uns vorläufig auf. Sie hatten
ihren Kuhstall, der nicht mehr benützt wurde, für uns zu einem
behaglichen Raum umgestaltet mit eigener Wasserzuleitung
und was nicht allem. Ihre Gastfreundschaft bleibt mir unverge߬
lich, und mein Mann wie ich waren ihnen unendlich dankbar.

Die ersten Wochen verbrachten wir damit, uns umzusehen.
Wir machten lange Spaziergänge und fuhren auch häufig nach
Haifa, um nach unserem Lift [Umzugsgut] zu fragen. Dieser
war nicht mit uns mitgekommen, sondern auf einem Frachter
die Donau hinunter — und war im Schwarzen Meer buchstäb¬
lich eingefroren.

Während dieser Periode gewann mein Mann das Dorf
Benyamina über die Maßen lieb, und wir beschlossen, uns hier
anzusiedeln statt in Haifa, wo wir vor mehreren Jahren einen
Bauplatz auf dem Zentralcarmel erworben hatten. Wir kauften
also in Benyamina ein Grundstück im Westen des eigentlichen
Dorfes, jenseits der Bahn, wo sich damals ein einziges Haus
befand, und begannen zunächst damit, ein Häuschen für mei¬
ne Werkstätte zu bauen. Ich hatte nämlich, von Ertaubung be¬
droht, noch in Wien einen zweiten Beruf erlernt, Keramik, zu
dem man nicht wie zum Sprachunterricht Ohren brauchte.
Dieses Häuschen bestand aus der Werkstätte, einem sehr
großen Raum mit drei Riesenfenstern an der Nordseite, einem
Magazin und einem Hühnerstall. Im März 1934 war das Ganze
fertig und wir zogen vorläufig dahin, während das eigentliche
Wohnhaus gebaut wurde.

Wir hatten das Grundstück in Kfar Saba bereits vorher ver¬
kauft und dafür eines in Benyamina erworben, das mein
Bruder noch vor unserem Kommen mit Orangen bepflanzt hat¬
te. Dahin zogen wir jeden Morgen zwanzig Minuten Wegs
durch tiefen Sand, mein Mann mit einer schweren Turie be¬
waffnet. Mein Mann benützte das Ding sehr geschickt,
während ich am Boden hockte und mit den Fingern jätete.
Nach zwei bis drei Stunden Arbeit im Pardess [Garten] kehr¬
ten wir zurück. Ich begab mich in die Werkstätte. Mein Mann
setzte sich an den Schreibtisch. Er war in Wien Anwalt gewe¬
sen und hatte noch vieles für seine Klienten zu erledigen, und
außerdem eine große Korrespondenz mit dem Übernehmer sei¬
ner Kanzlei. Ein nettes Mädchen aus dem Dorfe räumte täglich
auf, das Kochen besorgte ich selbst.

Wir waren beide vollbeschäftigt, das kann man schon sagen.
Mein Mann hatte es übernommen, unsere zweieinhalb Dunam
Garten mit Hilfe meines Bruders zu bepflanzen. Sie pflanzten
fünfzig Zitrusbäume, viele Schattenbäume und ornamentale
Büsche und Perennen [immergrüne Pflanzen]. Ferner sorgte er
für das Geflügel; mein Bruder hatte uns Hühner, Truthennen
und Enten besorgt. Und schließlich hatte er ein Auge auf die
Werkleute, die unser Haus bauten.

Wir planten, die Sommer in den Alpen zu verbringen, die
wir beide so sehr liebten. Später verbat sich das, aber in jenem

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ersten Sommer wurde das Vorhaben eingehalten. Als der Juni
kam, hatten wir beide genug vom Pionierleben. Das kleine
Häuschen hatte weder Bad noch Klo — mein Mann hatte da¬
hinter ein primitives Häuschen mit Grube gebaut. Jeden
Morgen fanden wir Skorpione und Tausendfüßler in unseren
Schuhen. Ich kochte in einer primitiven Küche - natürlich auf
Petroleum — die wir im Magazin eingerichtet hatten. Es war ein
sehr heißer Sommer, der Staub und der Lärm, den der vom
[Hausbau] war auch schwer zu ertragen. Mein hilfsbereiter
Bruder versprach, ein Auge auf alles zu haben, und wir zogen
vergnügt ab, um drei Monate in Europa zu verbringen.

Wie oben erwähnt, fuhren wir in der ersten Zeit oft nach
Haifa, erstens um nach unserem Lift zu fragen, zweitens um
Baumaterial und ähnliches zu besorgen. Damals gab es nur ei¬
nen einzigen Mann in Haifa, der Füllfedern reparierte — die
moderne Bleistiftfeder war noch nicht erfunden. Mein Mann
übergab dem Handwerker seine Feder und fragte, wann er sie
wieder holen könne. „Heute Abend“ — „Das nützt mir nichts,
ich wohne in Benyamina - aber ich komme am Dienstag, um
sie zu holen, wird sie da fertig sein?“ — „Gewiß.““

Als wir am Donnerstag den Laden betraten wurde der Mann
bleich und begann zu stottern. Mein Mann sagte ihm in einem
wenig höflichen Satz die Meinung und wollte gehen, aber er
hielt ihn am Schlafittchen und rief: „Warten Sie doch! Die
Feder ist fertig - ich habe bloß vergessen, sie mitzubringen. Sie
ist in der Werkstätte! Lauf hinüber“, sagte er zu dem Jungen,
„schnell!“ Der Junge lief, kam wirklich bald mit der Feder
zurück, mein Mann probierte sie aus, sie war in Ordnung.
Während mein Mann zahlte, brummte er noch ein wenig, und
der Handwerker rollte die Augen gen Himmel:

„Oi, diese Jeckes, diese Jeckes!“

„Ich bin kein Jecke“, rief mein Mann entrüstet.

„Esoi? Far wus sent Ihr dann esoi piinklach?“

Noch eine wahre Jeckengeschichte:

Eine Nachbarin russischer Herkunft jatete ihren Garten, als
eine meiner Freundinnen — übrigens österreichischer Herkunft
wie ich, also auch nur eine Pseudo-Jeckete — stehen blieb und
nach ihrem Ischias fragte. Die Frau erhob sich stöhnend aus ih¬
rer gebückten Haltung und sagte, es ginge ihr immer schlech¬
ter. Meine Freundin sah mißbilligend zu zwei großen Kindern
hinüber, einem Buben und einem Mädel von etwa 14 bis 15
Jahren, die im Schatten saßen und lasen-oder vielleicht lernten.

„Warum lassen sie dann die Kinder nicht jäten?“, fragte sie.

Die Frau sah sie von oben herab an: „Mir exploitieren nit
ünser Kinder esoi wie Ihr Jeckes“, sagte sie.

Ich hatte in Europa schon als junges Mädchen in meiner
Studentenvereinigung Hebräisch gelernt und sprach prinzipi¬
ell im Laden nur Hebräisch, wenn auch langsam und stockend.
Damals aber wurde man in diesen lobenswerten Bestrebungen
durchaus nicht unterstützt, von Ulpanim [Hebräischkursen für
Einwanderer] gar nicht zu reden, die erst viel später erfunden
wurden.

Ich betrat den Laden unseres damals einzigen Gemischt¬
warenhändlers und las langsam Hebräisch von meinem Zettel
meine Wünsche ab. Der brave Mann unterbrach mich unge¬
duldig auf Jiddisch: „Nü, und Schokolad und Rosinkes welt Ihr