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den hebräischen Kollegen, als sich die Redaktion am 18. No¬
vember 1943 einer Aktion der gesamten hebräischen Presse
gegen die Pressezensur durch die Briten anschloß.

Am 6. Juli 1949 starb Siegfried Blumenthal nach langer
schwerer Krankheit. Erbin des Blattes und der Druckerei war
Blumenthals Frau Ilse, geleitet wurde es aber von anderen. Den
Höhepunkt der Auflage erreichte die Jedioth Chadashoth in
den 1950er Jahren mit 26.000 verkauften Exemplaren.

Nach dem Tod Ilse Blumenthals führten die beiden Töchter
den Verlag bis zur Liquidierung am 31. Dezember 1973 wei¬
ter. Die Töchter hatten zu diesem Zeitpunkt die Lust verloren
und empfanden auch die materielle Belastung wegen der
Druckerei mit ihren vielen Angestellten als zu groß. So er¬
klärten sie Bankrott. Die Leser waren verzweifelt und über¬
häuften die Redaktion mit Vorschlägen zur Weiterführung der
letzten deutschsprachigen Tageszeitung. Aber nicht nur für die
Leser, sondern auch für die Redakteure, inzwischen etwa zehn
Personen, war das weitere Erscheinen einer deutschsprachigen
Zeitung existentiell wichtig. Die Redakteure suchten und fan¬
den einen neuen Verlag, „Hachevra Ha-Meuchad Le¬
Pirsumim“ (Vereinigte Gesellschaft für Veröffentlichungen)
unter der Leitung von Shabtai Himmelfarb, eines gebürtigen
Polen, der sich zur Herausgabe eines deutschen Blattes bereit
erklärte. Der Verlag gehörte indirekt der Arbeitspartei. Aus po¬
litischen wie auch persönlichen Gründen ging der bisherigen
Chefredakteur Dr. Ivan Lilienfeld nicht zum neuen Verlag über,
interne Verstimmungen innerhalb der Redaktion in Tel Aviv
mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls wurde in der
nunmehr Israel Nachrichten benannten Zeitung Jacob E.
Palmon, vorheriger Chefredakteur der Yedioth Hajom und
Wirtschaftsredakteur der Jedioth Chadashoth, erster Chefre¬
dakteur. Nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben nach
etwa einem Jahr machte sich Shabtai Himmelfarb selbst zum
Chefredakteur, de facto wurde die Zeitung aber von Alice
Schwarz-Gardos redigiert, da Himmelfarb zwar deutsch
sprach, aber nicht schrieb. Seine wöchentlichen Leitartikel
mußten aus dem Hebräischen übersetzt werden.

1993/94 verabschiedete das israelische Parlament ein
Gesetz, das den politischen Parteien die Beteiligung an profit¬
bringenden Geschäften verbot. Die der Arbeitspartei naheste¬
henden Aktionäre der Gesellschaft „Pirsumim“ beschlossen
daher, die Zeitungen des Verlags (u.a. auch eine rumänische
und ungarische Tageszeitung, sowie eine rumänische, ungari¬
sche, polnische und jiddische Wochenzeitung) per 1. April
1994 aufzugeben. Ob das notwendig war, ist nicht klar, denn
einige Parteien behielten ihre Zeitungen. Jedenfalls gelang es
nach einer Ausschreibung, die Zeitungen des Verlags an eine
Gesellschaft namens „Emza Bascharon“ zu verkaufen, die lo¬
kale Werbeblätter in der Provinz herausgab. Die neuen Besitzer
— die dann an George Edri, den heutigen Verleger, weiter ver¬
kauften — führten eine Modernisierung durch. Das bisher im¬
mer noch im Bleisatz (!) hergestellte Blatt wurde auf Com¬
putersatz umgestellt und die Mitarbeiter, darunter einige älte¬
re, mußten sich in Windeseile umstellen. So arbeitete die
Verfasserin dieser Zeilen täglich in der alten Redaktion, begab
sich nach 16.00 in die nicht weit entfernten neuen Redak¬
tionsräume und machte sich dort erstmals in ihrem Leben mit
dem Computer vertraut. Für den Umbruch fand sich ein junger
Deutscher, der ein Jahr lang bei dem Blatt arbeitete.

Heute hat die Zeitung zwar einen größeren Umfang als die
Jedioth Chadashoth — acht Seiten gegenüber vier (allerdings
etwas größeren Formats) am Wochentag und sechs (gegenüber

zwölf) am Wochenende. Sie hat aber nur mehr wenige bezahl¬
te Mitarbeiter — von gelegentlichen Praktikanten und freiwil¬
ligen Mitarbeitern abgesehen. Das hat zur Folge, daß sich der
Inhalt in Grenzen bewegt, die durch die Interessensgebiete der
freiwilligen Mitarbeiter und das eingesandte Material gegeben
sind. An Wochentagen macht die Redaktion stark von ange¬
botenem Material der dpa Gebrauch, hat daher eine erhebliche
Auswahl und kann eine breite Palette an Themen und Sach¬
gebieten, an Nachrichten wie Korrespondentenberichten, an¬
bieten. Der Freitag ist für die wenigen Mitarbeiter ungeheuer
arbeitsaufwendig, weil sie versuchen müssen, vielfältig zu
sein, den Tagesereignissen in Israel, die ausländische Agen¬
turen aus einem anderen Gesichtspunkt beleuchten, selber ge¬
recht zu werden und bei alldem ein gewissen Niveau zu halten.
Notwendigerweise müssen viele Berichte, die den ausländi¬
schen Leser weniger interessieren, der inländischen Abon¬
nenten wegen berücksichtigt werden, vor allem was aus¬
führliche Berichte über Vereins- und andere „jeckische“ Veran¬
staltungen betrifft.

Der gesamte besoldete Stab, der das Blatt macht, ist lächer¬
lich klein. Insgesamt gibt es nur drei bezahlte Vollzeit- und
zwei Halbzeitmitarbeiter und einen besonderen freien
Korrespondenten, Ilan Hameiri, der einen wöchentlichen
Wirtschafts- oder politischen Artikel schreibt. Frau Helga
Müller setzt eingesandte Texte und sortiert dpa-Berichte drei¬
mal die Woche. Frau Ilana Brünell übersetzt ebenso oft aus
dem Hebräischen und Englischen und schreibt auch gelegent¬
lich. Frau Natalia Abdzamanov, russischsprachig, ist ganzzei¬
tig für das Layout verantwortlich und hat sich, obwohl ohne
Deutschkenntnisse, gut zurechtgefunden. Frau Margot
Schischzan sorgt für Fernsehprogramme, Roman und das
Eingeben der Anzeigen. Frau Miriam Kanner liest Korrektur.
Und Alice Schwarz-Gardos trifft die letzte Auswahl der Texte,
stellt die täglichen Seiten zusammen, schreibt jede Woche ei¬
nen politischen und einen kulturellen Artikel sowie eine sati¬
risch-politische Wochenübersicht pro Woche. Außerdem ist sie
für die tägliche Seite 1 mit Aufmacher und Bildmaterial, zu¬
sammengestellt aus dpa- und anderen Agenturberichten, er¬
gänzt durch Übersetzungen aus der hebräischen Presse, sowie
Radionachrichten, die stündlich gehört werden, verantwortlich.
Dazu kommen als freie Mitarbeiter u.a. Israel A. Glück, Lis¬
beth Rosenthal, Evelyn Adunka, Marc David Herzka, Mourad
Kuserow u.v.a.

Viele technische Details, die für den ausländischen Leser
wichtig wären, zum Beispiel die Einführung von Farbdruck
und modernes Layout, sind eine Geldfrage. Die Redaktion
hofft, diesbezüglich auf eine „Goldader“ zu stoßen, die es ihr
ermöglichen würde, das Blatt noch viel attraktiver zu gestalten
und dem israelischen Alltag mehr Aufmerksamkeit schenken
zu können. Damit könnten auch ausländische Leser gewonnen
und die Zeitung, deren „jeckische‘“ Leser unaufhaltsam aus¬
sterben, noch weiter am Leben erhalten werden.

Alice Schwarz-Gardos, geboren 1916 in Wien, wuchs in
Preßburg auf und ging 1940 illegal nach Palästina, wo sie u.a.
als Haifa Korrespondentin der Yedioth Hajom, leitende
Redakteurin der Chadashoth Israel und (bis heute) Chef¬
redakteurin der Israel Nachrichten tätig war. Sie veröffentlichte
Romane, Anthologien und 1992 ihre Autobiografie Von Wien
nach Tel Aviv.

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