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sen und gelernt, noch mit letzter Kraft zu stehlen und zu treten
wie das Vieh. Nach und nach verblaßten alle Gefühle. Das
Leiden war abscheulich. Und hätten die Leute nicht auf das
Ende des Krieges gehofft, wären die Qualen noch schrecklicher
gewesen."

Wohin das Leiden den Menschen führt, das drückt Appel¬
feld schonungslos mit den Worten von Sigi, einer andern Figur
des Romans, aus, bevor dieser Selbstmord begeht: „Wir haben
das Ebenbild des Menschen verloren — oder sollte ich nicht sa¬
gen, das Ebenbild Gottes?“

Hannah Liron, geboren in Israel, ist Lehrbeauftragte für mo¬
derne hebräische Literatur an der Universität Basel.

Von Aharon Appelfeld sind zur Zeit auf Deutsch erhältlich:
Alles, was ich liebte (Alexander Fest Verlag 2002); Badenheim
(DTV 2001); Der eiserne Pfad (Alexander Fest Verlag 2000);
Sünden (DTV 2000); Zeit der Wunder (DTV 2002).

Anmerkungen

1 Jedi’ot Acharonot, 3.6. 1994.

2 Privates Gespräch der Autorin mit dem Schriftsteller am 7.10. 1994.
3 A. Appelfeld: Badenheim. Roman. Frankfurt, Berlin 1982. (Original¬
ausgabe 1980).

4 A. Appelfeld: Katerina. Novelle. Jerusalem 1989.

5 A.Appelfeld: Tzili. Roman. Hamburg 1989. (Originalausgabe 1983).
6 A.Appelfeld: Berta. In: Schalom. Erzählungen aus Israel. Zürich 1964.
7 A. Appelfeld, Der unsterbliche Bartfuß. Roman, Hamburg 1991.
(Originalausgabe 1983).

8 A. Appelfeld, Messilat Barzel (Bahngeleise). Roman, Jerualem 1991.
9 Vgl. Anmerkung 5.

10 Vgl. Anmerkung 7.

11 Tzili, S.154 (Übersetzung der Verfasserin).

Hugo Gold war neben Josef Fraenkel — dem Herausgeber des
Buches The Jews of Austria. Essays on their Life, History and
Destruction (1967) — einer der beiden Historiker, der sich, fern
von Institutionalisierung und universitären Rahmenbedingun¬
gen bemühte, die Erinnerung an die vergangene Größe und Be¬
deutung der österreichischen jüdischen Gemeinden wach¬
zuhalten und durch Publikationen öffentlich zugänglich zu ma¬
chen.'

Beide waren bei ihren akademischen Fachkollegen nicht gut
angesehen, befanden sich aber in den sechziger Jahren auch,
trotz ihrer gemeinsamen zionistischen Gesinnung, in einem
bitteren (laut den erhalten gebliebenen Quellen nicht persön¬
lich ausgetragenen) Konflikt, auf den hier noch zurückzu¬
kommen sein wird.

Gold wurde 1895 in Wien geboren und begann in seiner
Heimatstadt, Philosophie zu studieren.

Im Ersten Weltkrieg geriet er in russische Gefangenschaft in
Sibirien, wo er Zwangsarbeit leisten mußte, aber auch eine
Theatergruppe leitete.’

Nach seiner Rückkehr 1918 wurde er ein Mitarbeiter seines
Onkels Max Hickl in Brünn.

Hickl, einer der aktivsten Zionisten Mährens, gründete
1899/1900 den „Jüdischen Kunst- und Buchverlag Max
Hickl“, in dem jährlich der bekannte Hickl ’ illustrierter jiidi¬
scher Volkskalender erschien. Die Verlagsgründung ging auf
einen Beschluß des zweiten Zionistenkongresses 1898 zurück,
der von Egon Michael Zweig, Robert Stricker und Berthold
Feiwel getragen wurde.‘

Nach dem Tod von Max Hickl 1924 übernahm Gold die
Leitung des Verlags und die Herausgabe der Brünner
Jüdischen Volksstimme. Sie war ebenfalls von Hickl gegründet
worden und erschien in dessen Verlag. 1929 promovierte Gold
in Bünn mit einer Dissertation über Die Einwanderung der
Juden in Mähren.

1932 übersiedelte er nach Prag, wo er von 1930 bis 1938 die
Zeitschrift für die Geschichte der Juden in der Tschecho¬
slowakei herausgab.°

Im Vorwort der ersten Nummer der Zeitschrift schrieb er:
„Bine pietätlose Zeit ist angebrochen, die neue Generation
stürmt, von Schlagworten geblendet vorwärts, darum wollen
wir, der alten Tradition getreu, retten, was sonst unwieder¬
bringlich verloren geht.“ Die Zeitschrift wollte vor allem
Material für künftige Forscher zugänglich machen und „alle
Freunde der jüdischen Geschichte zu gemeinsamer Arbeit ver¬
einigen ... Juden und Nichtjuden, Gelehrte und Laien, wenn sie
nur die gleiche Liebe zur Sache fühlen, werden in dieser
Zeitschrift eine stets offene Tribüne finden.“

Von 1934 bis 1939 gab Gold laut mehreren Quellen außer¬
dem die illustrierte jüdische Familienzeitschrift Die Welt her¬
aus.’

Bereits in seiner Briinner Zeit publizierte Gold drei um¬
fangreiche, in Inhalt wie Aufmachung beeindruckende
Sammelbände über die Geschichte der Juden in Böhmen,
Mähren und Bratislava.

Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit
und Gegenwart (1929) widmete Gold, neben Max (Meir)
Hickl, seinem „geliebten Freund und Mitarbeiter Dr. Oskar
Kwasnik-Rabinowicz sowie meinen Lehrern Rabbiner Dr.
Heinrich Flesch, Kanitz/Dr. N. M. Gelber, Jerusalem/Hofrat
Dr. Michael Holzmann, Wien/Prof. Dr. Samuel Krauss, Wien/
Dr. Bernhard Wachstein, Wien und meinen lieben und treuen
Mitarbeitern, die bereits im Jahre 1924 zusammen mit mir die
Erforschung der Geschichte der Juden in der Tschechoslo¬
wakei in Angriff genommen haben.“

Der Redaktion gehörten aus Wien außer Holzmann und
Wachstein auch Rabbiner Max Grunwald an. Gefördert wurde
die Publikation von einer Reihe von Einzelpersonen und der
Ersten Österreichischen Spar-Casse in Wien.

Als einen der Gründe für die Herausgabe des Buches nann¬
te Gold im Vorwort die „Erwägung, daß unsere Landge¬
meinden in kurzer Zeit durch Entvölkerung und Auflösung
vollständig verschwinden werden und daß wir noch im letzten
Augenblick alles daran setzen müssen, um wenigstens in Wort
und Bild alles jüdische Volksgut zu retten und unseren Nach¬

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