mer, Küche und Vorraum lebte, unmittelbar nach der Zu¬
stellung des Kündigungsschreibens am 5. Juli 1938 an das
Bezirksgericht Leopoldstadt: „Ich hatte nämlich früher eine
mir durch das Invalidenamt zugewiesene unter Mieterschutz
stehende Wohnung, welche ich der Gemeinde Wien zur Ver¬
fügung stellte und zwar gegen ... [die Zusicherung], daß sie
mir nach Erbauung des gegenständlichen Hauses eine Tausch¬
wohnung in diesem übergebe ... Ich bin verheiratet und bin
derzeit auch ohne Stellung, da ich von meiner Firma Ende Juni
im Sinne der allgemeinen Anordnungen jüdischer Angestellter,
fristlos entlassen wurde. Der Verlust des Obdaches würde
mich, der ich mein Blut für das Vaterland vergossen habe,
zwingen, daß ich mit meiner Frau Selbstmord begehe, da wir
keine Möglichkeit haben, ein anderes Obdach zu erlangen.“
Für die nun uneingeschränkt herrschende Naziclique, die das
Wort „Kameraden“ nicht oft genug in den Mund nehmen
konnte, galten die jüdischen Soldaten des Ersten Weltkrieges
nicht als Kameraden. Im Gegenteil, Demütigungen, Diebstahl
ihrer Habe und brutale Terrormaßnahmen der National¬
sozialisten standen an der Tagesordnung gegen die jüdischen
Bürger unseres Landes. Von der Glockengasse 24, Tür 9 wur¬
den Rosa und Julius Adler am 18. August 1942 nach The¬
resienstadt deportiert. Sie überlebten Drangsalierungen und
Verfolgungen in der Zwangsgemeinschaft des Ghettos The¬
resienstadt und kehrten nach der Befreiung wieder nach Wien
zurück. Sie gehörten zu den ganz wenigen Vertriebenen, die
nach der Rückkehr wieder in eine Gemeindewohnung einzie¬
hen konnten. Julius Adler, der bereits im September 1945 von
der Bezirksorganisation Leopoldstadt der SPÖ die Bestätigung
erhielt, daß er in den Jahren 1934-38 im Untergrund für die
Revolutionären Sozialisten tätig gewesen sei, arbeitete dann als
Trafikant und wohnte mit seiner Frau wieder in seiner alten
Wohnung in der Ybbsstraße.
Im Lassalle-Hof, Stiege 8, Tür 6, wohnte die am 7. Juni
1866 in Wien geborene Klavierlehrerin Louise Bermann. Ihre
Wohnung bestand aus einer Wohnküche, einer Kochnische und
einem Vorzimmer. In einem Schreiben an den „Reichskom¬
missar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deut¬
schen Reich“, führte die damals 72jährige Frau aus, daß es ihre
Krankheit unmöglich mache — „was jederzeit vom Amtsarzt
festgestellt werden kann“ —, in einer Wohngemeinschaft auf¬
genommen zu werden (wie sie höflich die Zusammenpfer¬
chung mehrerer jüdischer Familien in sogenannten Sammel¬
wohnungen umschreibt), und ersucht um eine kleine eigene
Wohnung. Der Brief vom 3. August 1938 wurde von der Kanz¬
lei Josef Bürckels an den Wiener nationalsozialistischen Vize¬
bürgermeister und SA-Brigadeführer Thomas Kozich weiter¬
geleitet, der ja, wie bereits angeführt, am 14. Juni 1938 den
mündlichen Auftrag erteilte, sofort mit der Kündigung der jü¬
dischen Mieter aus städtischen Wohnhäusern zu beginnen. Ihre
letzte Bleibe war eine „Sammelwohnung‘“ in der Leopoldstadt,
Glockengasse 18, Tür 9, die sie mit Hermine Morgenstern
(geb. 1865), Marie Morgenstern (geb. 1867) und Wil- helmine
Richter (geb. 1865) teilen mußte. Am 22. Juli 1942 wurde
Louise Bermann mit ihren Leidens- und Wohngefährtinnen
nach Theresienstadt deportiert, wo sie wenige Monate später,
am 2. November 1942, starb.
Im Heizmann-Hof, Vorgartenstraße 140, lebte auf Stiege 1,
Tür 13 der Chauffeur Rudolf Biach mit seiner Frau Barbara. Er
war einer von jenen jüdischen Mietern, die bereits vor der Kün¬
digungswelle gegen jüdische Mieter in Gemeindebauten
Häftlinge im Konzentrationslager Dachau waren. Bereits am
24. Mai 1938 teilte die Gestapo Wien in einem Schnellbrief al¬
len Bezirkspolizeikommissariaten mit, daß „unverzüglich un¬
liebsam, insbesondere kriminell vorbelastete Juden fest¬
zunehmen und in das Konzentrationslager Dachau zu über¬
führen“ seien. Welche Personen tatsächlich betroffen waren,
sieht man klar und deutlich an den dreizehn jüdischen Mietern
aus Gemeindebauten, die am 31. Mai 1938 im KZ Dachau re¬
gistriert wurden. Die Leidensgefährten von Rudolf Biach waren
vier Ärzte, zwei Kaufleute, jeweils ein pensionierter Gemein¬
debediensteter, Fotograf, Uhrmacher, Reisender, Ingenieur und
Spengler, ein paar davon bekannte ehemalige sozialdemokrati¬
sche Funktionäre. In Dachau erhielt Rudolf Biach die Häft¬
lingsnummer 14428 und wurde von seiner arbeitslosen nicht¬
Jüdischen Frau ersucht, einer einvernehmlichen Scheidung ih¬
rer Ehe - sie waren seit 1929 standesamtlich verheiratet — zu¬
zustimmen. Die Zustimmung dazu erteilte er am 22. Juli 1938.
Rudolf Biach selbst wurde am 22. September 1938 in das
Konzentrationslager Buchenwald überstellt, hier erhielt er die
Häftlingsnummer 5956. Er starb dort am 31. März 1941.
Der am 15. August 1879 in Bratislava geborene Herren¬
schneidermeister Geza Deutsch bewohnte mit seiner Frau Rosa
geb. Bonitzer (geb. 3. November 1878) zwei Zimmer, Kabinett,
Küche und Vorzimmer auf Stiege 2, Tür 6 im Gemeindebau in
der Ybbsstraße 15-21. Die Familie war groß, denn das Ehepaar
hatte noch sieben Kinder. Geza Deutsch war jedoch krank. Er
litt an Depressionen und Arteriosklerose. Zum ersten Mal begab
er sich vom 30. Oktober 1937 bis zum 15. Februar 1938 in
Behandlung ins Psychiatrische Krankenhaus Steinhof und wur¬
de danach in häusliche Pflege entlassen. Ein weiteres Mal war
er vom 3. April bis 10. Oktober 1938 in diesem Krankenhaus,
wurde jedoch am 19. Mai „beurlaubt“, das heißt, er blieb zwar
Patient, befand sich aber nicht ständig in der Krankenanstalt. So
ist es auch zu erklären, daß die städtische Wohnhäuserverwal¬
tung in einem Aktenvermerk am 3. August 1938 anläßlich der
Verhandlung vor dem Bezirksgericht über die Abwesenheit von
Geza Deutsch festhielt: „Auf Grund einer Eingabe des Obge¬
nannten teilte der Richter mit, daß sich der Beklagte in Steinhof
befinde und seinerzeit bei Erhalt der Kündigung bloß auf
Urlaub zu Hause weilte.“ Seine Frau pflegte ihn. Nach dem
zwangsweisen Auszug aus ihrer Gemeindewohnung lebten sie
in der Malzgasse Nr. 2, Tür 23. Am 28. Juli 1939 meldeten sich
Rosa und Geza Deutsch nach London ab.
Bereits vor dem „Anschluß“ hatte der blinde Kaufmann
Hermann (Viktor Hersch) Eisenthal, der am 28. Februar 1882
in Kolomea geboren wurde und mit seiner Familie im
Lassalle-Hof, Stiege 5, Tür 12, lebte, finanzielle Probleme. Am
26. Februar 1938 berichtete der Fürsorgerat Josef Linhart vom
Sprengel 177 in der Leopoldstadt folgendes:
Mit Rücksprache des H. Eisenthal teilte mir derselbe mit,
noch 2 Zinse im Rückstand zu sein. Die Partei bekommt für
Untermiete $. 26 monatlich und zahlt davon den laufenden
Zins. Indem er aber Gas und elektrisches Licht auch zu be¬
zahlen hat und durch seine Blindheit nichts verdienen kann, ist
derselbe in Not geraten. Er bittet daher, ihm eine Aushilfe in
der Höhe der zwei rückständigen Zinse, Schilling 36, zu ge¬
währen.
Nach dem März 1938 wurden auch die humane und pädago¬
gische Tätigkeit jüdischer Blindenhilfe stark eingeengt, bezie¬
hungsweise überhaupt verboten. Eine „Selbsthilfegruppe der
jüdischen Blinden“ versuchte in der Folge bis zur ihrer Auf¬
lösung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1942 für ihre
Schicksalsgenossen tätig zu sein. Am 10. Februar 1939 er¬