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In dem Teil der Engerthstraße, in dem ich vor vielen, vielen
Jahren gewohnt habe, gibt es kein öffentliches Verkehrsmittel.
Ich steige daher in der Vorgartenstraße bei der Haltestelle
Jungstraße aus dem Autobus 11A. Von hier bis zur Ennsgasse
erstreckte sich einmal der Vorgarten-Markt und vor diesem das
große Areal des „Städtischen Reservegartens“. Heute gibt es
dort vier riesige, quergestellte Wohnblocks, die jetzt im April
mit blühenden japanischen Kirschbäumen davor freundlicher
wirken.

Ich gehe ein Stück zurück, dann durch die damals kurze
Wachau-,,straße‘“, in deren Gemeindebau ein „Tröpferlbad“ un¬
tergebracht war, das für alle Badezimmer-Besitzlosen nach
dem Krieg große Bedeutung hatte. Noch eine Biegung nach
links und ich stehe vor meinem ehemaligen Wohnhaus — mein
Herz klopft laut —, denn hier soll ich die Möglichkeit haben,
eine kleine Zeitreise zurück zu machen.

Es war, glaube ich, im November 1944, das Datum weiß ich
nicht mehr genau, ich war damals beim Arbeitsdienst in Wall¬
see und bekam die Erlaubnis zu einem kurzen Heimaturlaub,
da das Haus bombardiert worden war. Meiner Mutter war Gott
sei Dank im Luftschutzraum nichts passiert, nur das Stiegen¬
haus war getroffen und zerstört - man konnte nicht mehr in die
Wohnung, die offenbar nicht beschädigt worden war. Ich mu߬
te aber hinauf, alle meine Bücher waren dort, auch das Klavier.
Ich mußte einfach alles sehen. Da war plötzlich eine Feuer¬
wehrleiter, ich überlegte nicht lang. Das Hinaufklettern in den
dritten Stock war gar nicht so schlimm — das wurde es erst, als
ich wieder hinunter mußte. Das „Aus-dem-Fenster-Steigen“
werde ich wohl nie vergessen können. Jetzt stehe ich wieder
vor dem Fenster und mir schwindelt schon bei einem bloßen
Blick hinunter.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gab es damals ein
E-Werk, mit einem großen Baum lärmender Spatzen davor.
Heute ist alles verändert, einzig eine alte Essenzenfabrik be¬
hauptet noch ihren Platz. In einem Nebenhaus dieser Fabrik
gab es sogar noch einen Stall mit „richtigen“ Kühen, den die
Familie Eberharter bewirtschaftete, — dort holten wird unsere
„Frischmilch“.

Ich verlasse die lieben Menschen, die mir diesen Rückblick
ermöglichten. Vor dem Haustor kommt blitzartig eine andere
Szene aus der Vergangenheit zurück, die sich tief in meine
Erinnerung eingegraben hat: Ich war elf Jahre alt und vor die¬
sem Haustor sah ich zum letzten Mal meine Lieblingstante, da¬
mals eine schöne, junge Frau. Sie emigrierte mit ihrem Mann
nach New York und kam nie mehr zurück. Sie starb dort, völ¬
lig verarmt, an einer seltenen, schrecklichen Krankheit, gera¬
de als der Krieg in Europa zu Ende ging.

Später ziehen meine Mutter und ich auf den Mexikoplatz um,
ein Fenster des großen Eckzimmers geht wieder auf die En¬
gerthstraße, diesmal auf der anderen Seite, nur ein paar Minu¬
ten von der alten Wohnung entfernt. Der 1 ler, die alte StraBen¬
bahn, rumpelt wieder vorbei. Heute ist dieses Viertel vollkom¬
men verändert, die alten Geschäfte gibt es nicht mehr, einzig das
Blumengeschäft auf dem Platz und auf der gegenüberliegenden
Seite die Trafik haben die Stellung gehalten — und natürlich die
große Kirche im Winkel zwischen Donau und Reichsbrücke.

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Die Reichsbrücke, wenn man von der Lassallestraße kommt,
scheint ins Nichts zu führen, sie hat keine schwungvollen
Bögen mehr, wie die im August 1976 eingestürzte, aber auch
keine Türmchen mit Stiegenauf- und abgängen wie die ganz
alte, über die man auf die Liegewiesen des „Überschwem¬
mungsgebietes“ gelangte. Man kann auch nicht mehr aus einer
der damaligen über die Brücke fahrenden Straßenbahnen mit
offener Plattform „abspringen“. Das Viertel um den
Mexikoplatz (der einmal schon „Volkswehrplatz‘“ und
„Erzherzog Karl-Platz“ hieß), war immer schon Anlaufstelle
vieler Schiffe aus dem Osten; Schleppschiffe und Personen¬
schiffe legten hier an. Er war Umschlagplatz für viele Waren
(besonders nach der „Wende“ im Ostblock). Auch heute ist er
das noch, und darüber hinaus ein Schmelztiegel der verschie¬
densten Völker, die hier eine Heimat gefunden haben.

So lautet die Schrift auf einem Laden in der Ennsgasse:

Geschäft für asiatische, afrikanische und russische Lebens¬
mittel.

Mexikoplatz. Foto: Nina Jakl