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In der Woiwodschaft Rzeszow an San, in der Nähe von Jaro¬
slaw befindet sich die kleine Stadt Sieniawa. Aus diesem gali¬
zischen Städtchen Sieniawa machte sich der am 23. März 1872
geborene Samuel Unger, Sohn des Berl und der Debora, auf die
Arbeitswanderung in die k.u.k. Reichshauptstadt Wien. Daher
waren auch seine Söhne, der jüdische Arbeiterschriftsteller
Adolf Unger, Bernhard und Max sowie er selbst und seine Frau
dort heimatberechtigt. Die Lage an der galizisch-russischen
Grenze brachte es mit sich, daß die Bevölkerung immer wieder
häßlichen, todbringenden Pogromen ausgesetzt war. Über das
Leben hier und die ständig um ihre Lebensmöglichkeiten ban¬
genden Juden verfaßte Adolf Unger ein leider bis zum heutigen
Tage verschollenes Romanmanuskript, „Sieniawa, kleine Stadt
im Osten“. Es gibt jedoch zum Glück einen Augenzeugen von
einer Lesung Ungers aus diesem Manuskript in einem Wiener
Arbeiterbildungsverein. Sein Freund Alfred Weintraub (Pseu¬
donym Alfred Werner), wie auch Adolf Unger Mitglied der
„Vereinigung sozialistischer Schriftsteller‘, erinnert sich daran:

Von links: die Brüder Maximilian, Bernhard und Adolf Unger.
Foto: Archiv Herbert Exenberger

Den stärksten Beifall erzielte er jedoch an jenem Abend mit
dem Vortrag des Kapitels „Flucht“ aus seinem autobiographi¬
schen Roman Sieniawa. Das war der Name des schmutzigen,
pogromverseuchten Städtchens an der galizisch-russischen
Grenze ... Als die zaristische Dampfwalze Galizien überrann¬
te, flüchteten die Bewohner Sieniawas, speziell die Juden, die
sich vor den wilden Kosaken fürchteten, nach Süden. Unver¬
geßlich diese expressionistisch-ekstatische Schilderung der
Flucht, jenes leidenschaftliche Staccato einer Granitblockerup¬
tion, aus Furcht, Entsetzen, Haß, Elend geboren. Diese atem¬
beraubende Saga des Fortrennens aus der brennenden Stadt, zu
Fuß über unwirtliches Gelände, dann in überfüllten Eisenbahn¬
waggons ins hungernde Kriegs-Wien, das die ,Galizianer’ mit
gemischten Gefiihlen aufnimmt.

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Der jiidischen Bevélkerung Sieniawas und anderer Ortschaften
des Kreises Jaroslaw aber machten die Nazis am 25. August
1942 endgiiltig den Garaus. Die Juden wurden mit Pferde¬
wagen und später mit Autos in den Wald transportiert und er¬
schossen. Die im Ghetto Sieniawa versteckten Juden wurden
von den Nazihäschern erbarmungslos aufgespürt und an Ort
und Stelle erschossen.

In Wien also erlernte Samuel in zwei Jahren, 1890-92, das
Schuhmachergewerbe und wurde am 10. Juni 1892 in das
Gehilfen-Protokoll der Genossenschaft der Schuhmacher ein¬
getragen. Als Taglöhner verdiente Samuel Unger zunächst den
Lebensunterhalt für sich und seine Familie. Am 4. März 1900
fand in der Leopoldstadt die Trauung von Samuel und Mindel
Kress statt. Auch die Tochter von Josef und Gütel Kress war in
Sieniawa geboren, und zwar am 6. Dezember 1871. Drei
Söhne, Bernhard, geboren am 7. Juli 1899, Maximilian, gebo¬
ren am 29. August 1901, und Adolf, geboren am 11. Juni 1904,
wuchsen in der Leopoldstadt auf. Zunächst wohnte die Fami¬
lie in der Fugbachgasse 11, dann in der Springergasse 4 und
später in der Arnezhoferstraße. Über die Lebenswege dieser
drei Brüder — ein Schuhmacher und Erfinder, ein Magier und
ein Schriftsteller — wollen wir hier berichten.

Beruflich in die Fußstapfen des Vaters traten die Söhne
Bernhard und Adolf. Bernhard kam 1913 als Lehrling in den
Meisterbetrieb von Alexander und Margarete Slominsky in
Ottakring, Friedmanngasse 57, und wurde nach dreijähriger
Lehrzeit „freigesprochen“: Die Gesellenprüfung legte er am
22. August 1916 ab. Zwölf Jahre später, am 25. Jänner 1928,
entwickelte Bernhard Unger aus seiner beruflichen Erfahrung
heraus eine Tasche, die ab 15. Juni 1929 als Patent vom Öster¬
reichischen Patentamt geführt wurde. Über diese Tasche aus
Leder-Abfallstücke heißt es in der Patentschrift Nr. 115077:

Die Erfindung betrifft derartige Taschen und bezweckt eine
Verbesserung, indem durch geeignete Form und Aneinander¬
reihung der Flecken die Anzahl der Ösen und Verbindungs¬
stellen verringert und gleichzeitig der Zusammenhang der
Elemente derart verbessert wird, daß jedes Element mit sechs
benachbarten Elementen verbunden ist. Dies wird erfindungs¬
gemäß dadurch erreicht, daß die Flecken dreieckige Form be¬
sitzen und in zu den Dreieckseiten parallelen Reihen ange¬

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