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wieso der Stein mit orthodoxem Kreuz plus Hammer und
Sichel von den Roma geschmückt wurde und welcher der fünf
Gedenksteine in der Nähe der Lichtung für welche Gruppe
war, aber auch das war nicht wichtig. Eine Frau hat Bilder ih¬
rer ermordeten Großeltern vor den Stein gestellt und gebetet,
ich habe das Foto unseres Großvaters daneben gestellt.

Es gab nicht wirklich eine Chance, daß ihn jemand hätte er¬
kennen können. Die Jungen, die überlebt haben, waren unter
sich geblieben, auch die Zigeunerin, die neben der Mühle und
den Krankenbaracken gewohnt hat und erzählt, daß sie alle
Flüchtlinge gekannt und ihnen auf dem Weg ins KZ Brot zu¬
gesteckt hat und lachend berichtet, sie sei deswegen von den
Deutschen ins Gesicht geschlagen worden, kann sich nicht er¬
innern. Es ist zu lange her.

Wir waren am Friedhof, wo die Gebeine nach dem Krieg
begraben wurden, wir haben den Ort gesehen, wo sie sich ein
paar Monate frei bewegen konnten, wir haben den idyllischen
Platz mit Burg an der Save gesehen, wo vor sechzig Jahren das
KZ war; nach Kladovo sind wir nicht mehr mitgefahren.

Ich bin gestärkt zurück gekommen. Der Tod ist nicht mehr
allgemein, er ist konkret. Die Kinder dieses Großvaters, den
ich nie gekannt habe, empfinden es nach vielen Jahren voller
Schuldgefühle als Beruhigung, dass er in einer politischen
Aktion umgekommen ist, nicht als entwürdigtes Opfer einer
zufälligen Herkunft. Es ist nicht wichtig, ob mein Großvater
wirklich ins Kino gegangen ist. Der Besuch hat das Vorstel¬
lungsvermögen genährt, dem schwarzen Loch eine Form ge¬
geben. Die so oft bei Gedenkfeiern verwendeten Etiketten

‚Opfer’, ‚Willkür’, ‚hilflos-den-hinterhältigen-Mörderschergen¬
ausgeliefert” passen nicht mehr. Ich habe von Jakob Rosen¬
strauch nicht mehr nur diesen auffallend blumigen Namen, der
mir jahrelang eine Last war und der — recht spät — ein Medium
der Erkenntnis wurde. Meine Tante, seine Tochter, hatte ein
Photo dabei, auf dem er etwas kurzsichtig, aber sehr elegant in
die Welt schaut, er war ein hübscher Mann und, wenn ich sie
richtig verstanden habe, auch lebenslustig. Vielleicht hat er in
der Schule, die die Flüchtlinge eingerichtet hatten, Buch¬
haltung unterrichtet? Die Sicht auf den Ort hat die Illusion
genährt, er hätte sich in der Bibliothek von Sabac Bücher aus¬
leihen, er hätte eine Frau kennen lernen und sie noch heiraten
können, er hätte noch kurze Zeit ein fast normales Leben ge¬
lebt.

* Während wir in die Gedenkorte fuhren, haben Rassisten gegen die
Errichtung des Mahnmals in Kladovo protestiert, vermutlich wurden
wir deshalb von der Polizeieskorte ,begleitet’.

** Anderl/Manoschek hatten in ihrem 1993 erschienen Buch noch ge¬
schrieben: „Bis heute hat es das offizielle Österreich nicht für Wert
befunden, der ermordeten Österreicherinnen und Österreicher des
Kladovo-Transports zu gedenken.“ Hier war das offizielle Österreich
durch den Botschafter sowie durch eine Vertreterin des Nationalfonds
für die Entschädigung der Opfer des NS, Frau Meissner, präsent.
Österreich hat die Veranstaltung finanziell und personell unterstützt;
sie hätte früher stattgefunden, wäre nicht der Krieg in Jugoslawien
‚dazwischen’ gekommen. Von österreichischer Schuld und Verant¬
wortung oder gar Beteiligung wurde zumindest in dem Teil der
Veranstaltung, die wir mitgemacht haben, nicht gesprochen.

Eigentlich sollte er zu Hause sein in Herzlia in Israel und sei¬
ne Sauerstoffmaske tragen, mindesten 15 Stunden am Tag hat
der Arzt gemeint, denn seine Lungen spielen nicht mehr mit
und das Herz und... Ein Mal wollte er aber noch kommen und
den Friedhof seines Urgroßvaters besuchen, einmal noch am
mehr als 40 Meter langen Denkmal entlang gehen und ein letz¬
tes Gebet vor den in Metall gefrästen Namen seiner Onkel und
Tanten und Cousinen sprechen. Abraham Nemschitz ist an die¬
sem Donnerstag vielleicht zum letzten Mal nach Krems ge¬
kommen. Er war es, der mir vor 15 Jahren den Anstoß gegeben
hat, die Geschichte der Juden aufzuarbeiten, er hat den Kontakt
zu den in Israel lebenden Juden hergestellt und hat sie überre¬
det über ihre Erinnerungen zu sprechen. Das Buch „Und plötz¬
lich waren sie alle weg“ ist nur ein Ergebnis dieses Bemühens.
Diese Dokumentation war eine der ersten über die jüdische
Gemeinde einer Kleinstadt, und der Titel des Buch wurde fast
zu einem Synonym für Verdrängung und Verharmlosung, für
einen österreichischen Umgang mit der Geschichte, der lange
Jahre Praxis war. Das Denkmal von Hans Kupelwieser, die be¬
gonnene Restaurierung des Friedhofes, das Denkmal für Anna
Lambert am Steinertor sind andere kleine Zeichen in der ehe¬
maligen Gauhauptstadt.

Einmal noch wird das Efeu vom Grabstein von Richard
Sachs und von Salomon Sachs vom Stein gelöst, damit Abra¬
ham Nemschitz die verwaschene Schrift sehen kann; im Jahr

1936 hat er mit einigen jüdischen Jugendlichen mitgeholfen,
die Überreste der auf dem Turnerberg begrabenen Juden auf
diesen Friedhof zu überführen. Die Auflösung eines jüdischen
Friedhofes ist im jüdischen Ritus nicht vorgesehen, aber die
Schändungen waren im Krems der 1930er Jahre so vehement,
daß die Gebeine der Toten überführt wurden. „Knochen für
Knochen haben wir in die Holzkisten gezählt“, erinnert sich
Abraham Nemschitz.

Gegen das Vergessen anzukämpfen ist ein scheinbar fast
aussichtsloses Unterfangen. Mit einmal Rasenmähen ist es
auch in einem Garten nicht getan. Das Gras wächst durch das
Metallband von Hans Kupelwieser. Abraham Nemschitz ist
nach diesen 15 Jahren auch ein wenig enttäuscht. „Viel ist pas¬
siert und doch ist das Friedhofswärterhaus noch immer nicht
restauriert, das kostet vielleicht 20.000 Euro, nicht mehr.“
Kostenschätzungen hat es gegeben, der Verein für den jüdi¬
schen Friedhof hat sich bemüht, doch das Haus verfällt, und
nach einem Regen ist der Friedhof nicht zu betreten, es sei
denn man scheut ein riesiges Schlammloch nicht. „Das Haus
wäre der passende Ort für eine ständige Ausstellung, für eine
Dokumentation über die Juden in Krems, kein großes Mu¬
seum, aber ein Zeichen.“ Die bereits existierende Ausstellung
hängt in den beiden devastierten Räumlichkeiten, ein Sinnbild
fast für die trotz vieler Bemühungen noch immer bestehende
Achtlosigkeit. „Ich habe immer geglaubt ich erlebe die Einwei¬