len kannst; auch weil ich ganz in der Arbeit an einer Erzählung
stecke, die mir die beste Sache zu sein scheint, die ich je ge¬
träumt habe. Es ist ein moderner Gegenstand, der richtige
Rahmen, alle meine Lebenserfahrungen einzuarbeiten. Wenn
ich hier fortgehe, ist diese Hoffnung vorbei, nicht nur, weil ich
dieses oder irgendwelche Manuskripte nicht mitnehmen könn¬
te. Und selbst wenn ich es könnte, wie wäre ich fähig, in einer
neuen Umgebung meine Arbeit fortzusetzen, in einer
Umgebung in die ich ärmer eintrete, als ich es je zuvor gewe¬
sen bin.‘“*
Als Reaktion auf die Landung der Briten und US¬
Amerikaner in Marokko und Algerien marschierten am 11.
November 1942 deutsche und italienische Truppen in die noch
unbesetzten Teile (Vichy)-Frankreichs ein. Dadurch fiel Le
Lavandou in die italienische Besatzungszone. Letzte Aus¬
reiseversuche scheiterten im März 1943, als sich Rheinhardts
Hoffnungen auf ein Einreisevisum in die Schweiz zerschlugen.
Er schloß sich nun der Resistance an. Auf die Vorhaltungen
und Befürchtungen, die Erica de Behr ihm gegenüber äußerte,
antwortete er: „Alle Menschen riskieren nun ihr Leben für die
Freiheit, da werde ich nicht abseits stehen.‘“”
Über die Tätigkeit Rheinhardts innerhalb der Resistance
gibt es unterschiedliche Überlieferungen. Erica de Behr dürf¬
te seine Rolle und Taten etwas verklären, wenn sie ihn Pläne
von Befestigungsanlagen und Minenfelder ausspionieren und
den Alliierten übermitteln ließ, wie sie im oben zitierten Brief
an Gerty Felice Wolmut schrieb. Nach Meinung Conrad
Lesters, der ein Gründungsmitglied der „Liga für das geistige
Österreich“ war, beschränkte sich Rheinhardts Widerstands¬
tätigkeit darauf, italienische Soldaten zur Desertation zu be¬
wegen. Er sei deshalb auch mehrmals vom Bürgermeister Le
Lavandous verwarnt worden, weil er sich dabei zu auffällig be¬
nommen hätte.”
Als Folge seiner Widerstandstätigkeit wurde Rheinhardt am
28. April 1943 von italienischen Staatspolizisten inhaftiert und
in das Gefängnis von Les Hyeres gebracht. Nach wenigen
Tagen erfolgte die Überstellung nach Nizza, wo er auch ge¬
foltert wurde.” Weitere Stationen des Leidensweges Rhein¬
hardts in Südfrankreich waren die Gefängnisse in Menton,
wiederum in Nizza und schlußendlich in Marseille.
In Menton setzen auch die vorliegenden Tagebuchauf¬
zeichnungen ein, die belegen, wie sehr sich seine ehemalige
Sekretärin um ihn kümmerte.
Rheinhardt wurde, nachdem deutsche Truppen nach dem
Sturz Mussolinis auch den bis dahin von Italien besetzten Teil
Südfrankreichs unter ihre Kontrolle gebracht hatten, an die NS¬
Behörden ausgeliefert. Doch offensichtlich übergaben die ita¬
lienischen Beamten die Akten, die Rheinhardt der Spionage
beschuldigten, nicht an die Gestapo.
Wie es Erica de Behr gelungen ist, das Tagebuch Rhein¬
hardts aus dem Gefängnis — vielleicht auch den Gefängnissen
— in ihren Besitz zu bekommen, ist nicht bekannt. Es gibt nur
einen kleinen Hinweis in einem Brief, den Erica de Behr nach
Kriegsende an Gerty Felice Wolmut schrieb, in dem sie davon
spricht, daß Putzfrauen Kassiber für sie herausschmuggelten.”
Vielleicht kam auch das Gefängnistagebuch Rheinhardts so zu
ihr.
Noch im Jahr seiner Verhaftung erschien in Berlin bei
Suhrkamp eine Neuauflage von Rheinhardts „Duse“-Bio¬
graphie. In den Anzeigen am Ende des Buches wurde auch auf
andere erhältliche Bücher Rheinhardts verwiesen. Vielleicht
hätte sich Rheinhardt noch mit den NS-Machthabern arran¬
gieren können, doch wählte er den für ihn einzig gangbaren
Weg - den in die Résistance.
Vom Sammellager Compiegne — nördlich von Paris — wurde
Rheinhardt am 2. Juli 1944 ins KZ Dachau deportiert, wo er
am 5. Juli als sogenannter „Schutzhäftling“ ankam und die
Häftlingsnummer 77.343 erhielt.
Dem schon erwähnten niederländischen Journalisten und
Übersetzer Nico Rost und dessen Tagebuch ist es zu verdanken,
daß Rheinhardts letzte Lebensmonate nicht vollständig in der
Anonymität der NS-Mordmaschinerie verschwunden sind. Er
führte mit ihm immer wieder Gespräche über Österreicher —
Grillparzer, Rosegger, Maria Theresia —, aber auch über Litera¬
tur, Philosophie und Politik im allgemeinen. Auch das von
Rheinhardt schon in den Gefängnissen von Südfrankreich ge¬
schätzte Buch Silvio Pellicos, „Le mie prigioni“, war Diskus¬
sionsthema. Allerdings stellte Rost in seinem Tagebuch bereits
zwei Tage, nachdem er Rheinhardt am 18. Juli 1944 kennen¬
gelernt hatte, fest, „daß es [ihm] sehr schwer fallen wird, sich
hier anzupassen, denn er scheint dem Lagerleben ganz und gar
nicht gewachsen zu sein. Er findet auch den Polen gegenüber
nicht den richtigen Ton. Er ist viel zu dienstbeflissen; man muß
ebenso frech auftreten wie sie — das begreifen sie wenigstens.‘
Anfang Jänner 1945 notierte er: „An R.s Arbeit ist bestimmt
nichts auszusetzen, aber er ist immer noch zu unterwürfig, und
das darf er — besonders Lagerprominenten gegenüber — ganz
und gar nicht sein. Wir müssen ihren großen Mund ebenso
großmäulig beantworten — anders ist man hier verloren.“
Zunächst wurde Rheinhardt im Krankenrevier eingesetzt,
doch am 16. Jänner 1945 in den Quarantäneblock verlegt.
Nach Rost bestand der „einzige Grund“ dafür darin, „daß der
Oberpfleger lieber einen Polen neben sich haben will, jeman¬
den ohne Verantwortungsgefühl, aber keinen Arzt wie Rh., der
dies in hohem Maße besitzt.“ Diese Verlegung glich einem
Todesurteil, denn in den Quarantäneblocks wütete eine Fleck¬
typhusepidemie. „Dort wird er sich aller Wahrscheinlichkeit
nach anstecken“, schrieb Rost, “ und da er schon weit über
Fünfzig ist, dürfte das wohl seinen Tod bedeuten.“ Am 15.
Februar wurde Rheinhardt mit Flecktyphus ins Krankenrevier
eingeliefert, am 18. Februar notierte Rost: „Rheinhardt gese¬
hen. Das Fieber ist noch gestiegen.“ Am 22. Februar war er
bereits bewußtlos, und am 25. Februar 1945 schrieb Rost:
„Rheinhardt ist heute nacht gestorben. Ich wollte ihn noch ein¬
mal sehen, ihn ein letztes Mal grüßen, und ging ihn suchen, als
er in der Straße vor der Totenkammer lag — zwischen den hun¬
dertfünfzig anderen Toten der Nacht. Er war kaum noch zu er¬
kennen, sein Gesicht war geschwollen und krampfhaft verzerrt.
[...] Und was vielleicht mit das Schlimmste ist angesichts die¬
ses Todes, des Todes aller unserer Freunde: Wir haben hier
nicht einmal die Zeit... um sie zu trauern.‘“®
Fast visionär wirken die Verse in Rheinhardts Gedicht
„Immer wieder gehen in der Nacht“, die er viele Jahre früher
geschrieben hat:
Da schwarze Sturzflut Todesstunde
In eine offene Tür bricht, mich hinwegnimmt
Aus Heimat und Vertraun, aus Wissen und aus Schaun,
Der mich verwirft an Nacht und gehend, gehend macht.”
Am 14. Juli 1945, dem ersten Nationalfeiertag Frankreichs
nach der Befreiung, wurde in Le Lavandou eine Ehrung aller