In beiden Zeitschriften wurden auch Aufrufe und Berichte über
Veranstaltungen der von Rheinhardt mitgegründeten „Ligue de
l’Autriche vivante“ („Liga für das geistige Österreich‘) abge¬
druckt.
Über die Ziele dieses Vereins, dessen Mitinitiatorin und
Organisatorin u.a. Elisabeth Freundlich war”, schrieb er am 9.
November 1938 an Gerty Felice Wolmut: ,,Aus Paris schicke
ich Dir den eben im Druck befindlichen Aufruf der ,Liga fiir
das geistige Osterreich’. Ich bin einer der Hauptinitiatoren ih¬
rer Gründung, denn seit jenen furchtbaren Märztagen, in denen
unser Land von den Hitlertruppen besetzt worden ist, weiß und
empfinde ich immer klarer und intensiver, wie sehr wir zu die¬
sem Österreichischen Land gehören und wie art- und wesens¬
fremd die Eroberer sind. Und wenn ich auch jetzt, der Not der
Zeit gehorchend, Franzose werden soll, werde ich mich sicher
Frankreich gegenüber pflichttreu und dankbar erweisen, wo
immer ich es kann, aber ich werde dabei nicht aufhören, mich
als Österreicher zu fühlen und zu hoffen, daß Österreich wie¬
der frei werde. Wir sind jetzt schon eine ganze Menge geisti¬
ger und künstlerischer Menschen, aus denen sich diese Liga
zusammensetzt, Katholiken, Sozialisten, Kommunisten und
parteilos-demokratisch Fühlende, sämtliche aber antifaschi¬
stisch. Es sind wichtige Leute dabei, Musil, Werfel, Bruno
Walter, eigentlich alle besten Namen des eigentlichen neueren
Österreich. Und wir sind uns einig in dem Glauben, daß wir für
Österreich etwas tun müssen und auch können.“
Rheinhardts Engagement für die „Liga“ war sehr groß, sei¬
ne Korrespondenz, um diese Vereinigung bekannt zu machen
und neue Mitglieder zu werben, wuchs an. Einem Brief, den
Rheinhardt Ileinrich Schnitzler” am 25. Jänner 1939 schrieb
und in dem er sich für die Bereitschaft Schnitzlers zur Mit¬
gliedschaft in der „Liga“ bedankte, legte er auch eine „Anzahl
unserer Aufrufe [bei], mit der Bitte, diese in Ihrem Bekann¬
tenkreise zu verbreiten. Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie
einen davon mit einem empfehlenden Worte an Max Reinhardt
weiterschicken wollten, zu dem wir bis jetzt noch keinen Weg
gefunden haben.“ Im selben Brief kündigte Rheinhardt für
das Frühjahr 1940 die Herausgabe eines umfangreichen Sam¬
melbandes mit dem Titel „Lebendiges Österreich“, der in der
Schweiz erscheinen sollte, an. Dieser Band sollte ungedruck¬
te Beiträge aller (!) in der Emigration lebenden österreichi¬
schen Schriftsteller enthalten. Leider wurde dieses Projekt nie
verwirklicht.
In den Aufrufen der „Liga“ scheint nicht nur Rheinhardts
Name auf. Eine von Franz Werfel nach der Annexion der
„Resttschechei‘“ durch das nationalsozialistische Deutschland
verfaßte Resolution für ihre tschechische Schriftstellerkolle¬
gen, die in der „Österreichischen Post“ vom 15. April 1939 und
in den ,,Nouvelles d’ Autriche“ in der Aprilnummer 1939 ab¬
gedruckt wurde, unterzeichneten neben Rheinhardt Fritz
Brügel, Gina Kaus, Alfred Polgar und Joseph Roth. Daß die
„Liga“ auch in Großbritannien vertreten war, zeigt eine Er¬
klärung, die Berthold Viertel für die englische Gruppe der
„Liga“ verfaßte und die in den „Nouvelles d’Autriche“ voll¬
ständig veröffentlicht, in der „Österreichischen Post‘ mit einer
kurzen Notiz gemeldet wurde.
Alle Hoffnungen, die in diese Vereinigung gesetzt wurden,
waren mit der Niederlage der französischen Armee, dem
Einmarsch der deutschen Truppen in Paris und der darauf fol¬
genden Kapitulation vom 22. Juni 1940 endgültig beendet. Das
letzte öffentliche Auftreten der „Liga“ lag zu diesem Zeitpunkt
schon ein Jahr zurück. Beim Begräbnis Joseph Roths am 30.
Mai 1939 legte eine Delegation einen Kranz mit der Inschrift
„Die Liga für das geistige Österreich — ihrem Präsidenten,
Österreichs größtem Dichter“ nieder. In den „Nouvelles d’
Autriche“ erschien in der Juninummer 1939 noch eine
Todesanzeige Roths, danach hörte man nichts mehr von der
„Liga“.
Nach dem Angriff der deutschen Armee im Mai 1940 wur¬
den fast alle aus dem deutschen Machtbereich geflohenen
Emigranten von den französischen Behörden interniert. Diese
Maßnahme traf auch Rheinhardt, der in Les Milles festgehal¬
ten wurde.*! Alfred Kantorowicz berichtet, daß Rheinhardt sich
in der Nacht — wie so viele Internierte - in den Katakomben
des Lagers aufhielt. Sie waren Schwarzmarkt, Gerüchtebörse,
Vorstadtspelunke und Stammtischcafe in einem. Er beschreibt
ihn als „groß, sanguinisch, ein unwiderstehlicher Causeur [un¬
terhaltsamer Plauderer] und doch auch mehr als das. [...] Er
hatte viel gelesen, viel von der Welt gesehen, kannte viele
Menschen, war voll Kunstverständnis, wußte gut zu erzählen.
Sogar in den Katakomben bildete er einen Mittelpunkt.‘“? Dies
bestätigt Lion Feuchtwanger in seinem autobiographischen
Bericht über seine Erlebnisse in Südfrankreich („Der Teufel in
Frankreich“, erstmals 1942 in englischer Übersetzung in den
USA erschienen). Darin beschreibt er Rheinhardt als einen
„stattlich aussehenden Herrn, von jeher Liebling der Frauen,
jetzt mit seinen Zwei- oder Dreiundfünfzig ein bißchen ver¬
fettet und versoffen. Er war weltkundig, sprach meisterlich
deutsch, französisch, englisch, war zu Hause in hundert
Künsten und Wissenschaften [...] Er trank viel, auch im Lager;
weiß der Himmel, wo er die List und das Geld hernahm, im¬
mer wieder seinen Wein aufzutreiben. Er war aus weichem
Stoff und ging, so groß und stattlich er aussah, letzten An¬
strengungen und mutigen Entscheidungen gern aus dem Wege.
Um ein Haar hätte er dann später mit uns entkommen können,
aber da fehlte es ihm an Zähigkeit und Entschlußkraft.‘“*
Nach der französischen Kapitulation am 22. Juni 1940 ge¬
nehmigte die überforderte Lagerleitung des Internierungslagers
Les Milles über 2.000 Internierten die Flucht mit einem Zug
vor den herannahenden Deutschen. Die Gefangenen wurden in
einer drei Tage und drei Nächte lang dauernden Irrfahrt nach
Bayonne gebracht, das aber bei der Ankunft bereits unmittel¬
bar vom deutschen Einmarsch bedroht war. Vielen der Inter¬
nierten gelang dort oder später die Flucht aus diesem
„Geisterzug“, wie er genannt wurde. Rheinhardt wagte dies
nicht und wurde in ein Internierungslager in Saint Nicolas bei
Nimes gebracht.’
Nach der Entlassung aus dem Lager bemühte sich
Rheinhardt mit Hilfe seiner Exgattin Gerty Felice Wolmut um
die Emigration in die USA. Schließlich wurde ihm nach vielen
Verzögerungen - etwa durch den Vorwurf, er wäre Kommunist
— und einer Intervention von Thomas Mann im Sommer 1942
ein Visum ausgestellt, doch konnte er sich nicht entschließen,
Europa und sein geliebtes Haus in Le Lavandou zu verlassen
und seine literarische Arbeit zu unterbrechen. Außerdem be¬
drückte ihn das Schicksal seiner Sekretärin Erica de Behr, die
als Staatenlose nur über einen Nansen-Paß® verfügte, was ihre
Emigrationschancen erheblich verringerte. In einem Brief an
seine Exgattin schrieb er: ,,Je alter man wird, desto stärker fühlt
man die Verantwortung [...], es ist einfach sehr hart, eine Frau
in einer freudelosen Umgebung zuriickzulassen [...] und es
gibt noch einen anderen persönlichen Grund, weshalb ich die¬
sen Schritt nun fürchte, den ich früher gewollt habe, nicht nur,
daß ich nun älter und verbraucht bin, mehr als Du Dir vorstel¬