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Strohsacke sitze und die Zelle um mich habe. Anstelle der guten Gedanken und Träumereien war ich diese Nacht voll von Verhören, von Einfällen, was ich hätte etwa sagen müssen und dergleichen. [...] Nun, fort mit dem Nachtgraus! Und fort mit dem cafard [schlechten Stimmung], daß ich jetzt die vorletzte Blaue geraucht habe. Ich habe so eifrig die Zelle gefegt, daß ich nicht aufgeschaut habe. Und jetzt sehe ich das Fenster erfüllt von einer milden Farbenwelt. Rosa und zartes, graues Blau des Himmels, der Hügel mattorange, beige, rose. Wie schön ist diese Pastellskala des Morgens — und wie selten habe ich das in diesen Jahren gesehen. Ach, dieses graue, stoppelige, alte Sträflingsgesicht, das mich jetzt vor dem Rasieren aus dem Spiegel anschaut — aber ich hatte keine Zeit zu müßigen Reflexionen, denn gleich darauf begann es zu krachen. Um acht Uhr Sirene und Flak, Fliegeralarm. Ich öffne das Fenster. Nichts zu sehen und auch nichts zu hören. Der Spaziergang, eine halbe Stunde, war sehr ergiebig. J. hat mir zwei Pakete Zigaretten verschafft. Gerade jetzt, wo ich die letzte geraucht hatte. Wenn das nicht wieder ein kleines Wunder ist! Daß es ihm gelungen ist, trotz Abgeschlossenheit und Feindseligkeit 15 Pakete zu kaufen, ist erstaunlich. Ob er nun an den 200 Franken, die er pro Paket verlangt, etwas verdient, ist einem hier herzlich gleichgültig. Vorläufig habe ich noch Geld, dank Erica. Jetzt ist l’animal fumeur [das Rauchertier] wieder zufrieden. Die Nachricht von neulich völlig bestätigt, die Deutschen befreien niemanden, auch völlig Unschuldige nicht. Ich mag es nicht glauben. Man würde ja sein Verhalten hier doch nicht ändern. Die ganze Lebensform ist auf einem allmählich abgebauten „als ob“ aufgebaut. Man glaubt an das Gefangenbleiben so wenig, wie man an den Tod richtig glaubt. Der Jude, der so gut war und mir Zigaretten verkaufte, geht in einer Woche weg in ein Lager in Drancy’, wo er glaubt, es hundertmal besser zu haben als hier. Et il éspére pouvoir foutre le camp. [Er hofft, flüchten zu können. ] Der Sonntag, der sich so versprechenslos angekündigt hatte, hat doch Unerwartetes gebracht. Die so willkommenen Zigaretten! Und jetzt öffne ich die Klappe, und es wurden jedem ein Stück päte [Pastete] ausgeteilt, recht gut, ein Geschenk des Roten Kreuzes. [...] Ich lese eben von den Pilotenfischen, die den sehr schwachBeute zugänglich machen. Das läßt mich an die Collaborationisten [Kollaborateure] denken. Abends: Alles ist verändert. Vor der Suppe wurde die Tür aufgerissen: „Vite, vite [Schnell, schnell]“, in eine andere Zelle. Mit allen unseren vielen Sachen, schnell, schnell, zwei Stockwerke höher. Als ich die Nummer 152 hörte, wußte ich, daß das eine schlechte ist, denn die geraden Nummern gehen alle nach Norden. Große Doppelzelle, eisig kalt und nur ein Bett. Hier fanden wir einen jungen Italiener, Offizier, der die ganze Okkupationszeit in Le Lavandou* mitgemacht hat und alles dort kennt. Komisch. Er sagt, seit November habe er in dieser Zelle keinen Strahl Sonne gesehen. Schade. Ich habe Heimweh nach der kleinen Zelle unten. Und außer der eisigen Kälte gibt es noch etwas Arges hier, eine elende Funzel von Kohlenfadenlampe. Ich will versuchen, sie zu ruinieren, um den Austausch zu erzwingen. — Ein kleiner Trost: Der Italiener sagt, man könne hier von den Deutschen Zigaretten und Streichhölzer kaufen. Das wäre immerhin viel. Ich erhielt einen Brief von Erica vom 28. Dezember. Die Arme ist fünf Tage unterwegs gewesen, um mir ein Paket zu bringen. Schreiben ist sehr schwer, das Licht ist schwächer als eine Kerze — und noch dazu blau. Auf morgen, mein liebes, tröstliches Heft! Sonntag, 16. Januar 44 [...] Während des Fegens war ein freundlicher Österreicher Wachsoldat. Habe versucht, wegen Zigaretten mit ihm zu verhandeln - vergeblich. Sie fassen selber nur drei Zigaretten pro Tag - zu kaufen wagt er nicht für mich. Die alle zittern, als ob man sie zum Hochverrat bewegen wollte. Und dabei haben die Deutschen gar kein Recht (Recht?), uns das Rauchen zu verbieten, da wir nur in Untersuchung und nicht verurteilt sind. Nicht einmal wie Kriegsgefangene behandelt werden. Ach, um Rechtsgepflogenheiten la G. s’en fiche [die Gestapo pfeift drauf]. Im langen Wachsein der Nacht haben sich Gedanken gemeldet, die des Aufschreibens wert schienen. Aber jetzt ist der Kopf dick verschwollen und nicht imstande, gegen die Flut der Konversation anzukämpfen. Ich habe Sehnsucht nach meinem Winkel in der Zelle 97, trotz der zwei — die habe ich ja hier auch —, aber unten schien die Sonne. Und die ganze Südseite des Hauses ist leer. Alles scheint hier nach geheimnisvollen, unerratbaren Gesetzen vor sich zu gehen. Gestern abends gab es ein praktisches Gespräch, vorwiegend von Benard geführt, der bei dieser Gelegenheit sich als alter P.S.F. (La Rocque)? herausstellte. Ich hatte ihn schon sehr weit nach rechts plaziert, aber Feuerkreuzler! Wunderlich, seit Monaten bin ich jetzt von Leuten umgeben die wegen Widerstandsverdacht etc. gefangen sind, und beinahe alle sind stark rechts eingestellt, antikommunistisch und antisemitisch. Das hätte ich mir draußen nicht vorgestellt. Außer ein paar Italienern und italienischen Abkömmlingen habe ich keine Leute von links getroffen. Die überhaupt Überzeugungen hatten waren Chauvinisten. Wunderlich, wo die anderen geblieben sein mögen? Und sie waren doch mit uns verhaftet worden wie Rossi oder N. Gott weiß, wo sie sind. [...] Nevesquez sieht mir zu, wie ich die schon zweimal angezündet gewesene halbe Zigaretten auslösche und wieder in die Tabatiére [Tabakdose] tue. „Quando potremo permetterci di fumare una sigaretta intiéra, allora la guerra sara finita. [Wenn wir es uns erlauben können, eine ganze Zigarette zu rauchen, dann wird der Krieg zu Ende sein.]“ Dabei hat er ja bis zum Armistice [Waffenstillstand] noch alles gehabt, sigarette a volontä [Zigaretten nach Belieben], während wir schon vor zwei Jahren die mégots [Zigarettenstummel] sorglich gehiitet haben. Nun ja, fiir ihn ist’s genau so schlimm, vielleicht noch schlimmer, aber er hat eine lachelnde Grazie, Schmutz und Hunger beiseite zu schieben. Es ist wohltuend zu sehen, wie liebevoll er seine Waschungen durchführt, wie eine sakrale Handlung, mit seinem winzigen Stückchen Seife. Ich werde ihm ein Stück geben. Spaziergang 25 Minuten. Ging mit einem Pariser, der meinen Namen wußte, Industrieller aus dem Norden. Er sagt: „Je suis un Rodier en plus petit. [Ich bin ein kleiner Rodier.]“ Er ist seit vier Monaten hier, war drei Monate au secret [isoliert]. Völlig allein. [...] Auf dem Spaziergang hörte ich, daß die Russen weit in Bessarabien und in Litauen sind.‘ Et en Italie ca tape dur! [Und in Italien geht es hart zu!]’ Allgemeiner Optimismus. Der leere Tag geht zu Ende (banal, terre ä terre [gewöhnlich, alltäglich]). Ich nehme mich immer mehr aus der Umwelt in mich zurück oder zu diesem Heft, daß mir eine Art Tränen23