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te schon auf ihn? Er selbst starb bald darauf in Not und
Vergessenheit, ohne daß sich sein Wunsch, von seiner Frau in
Deutschland noch etwas zu hören, erfüllt hätte.

Die Nachricht von Stefan Zweigs Selbstmord schlug in
Argentinien ein wie eine Bombe. Alle Zeitungen waren voll
mit Nachrichten, richtigen und falschen, die das tragische
Ereignis betrafen. Sehr bald danach aber war der Stefan Zweig¬
Boom ziemlich jäh zu Ende. Jahrzehnte verstrichen, ohne daß
eines seiner Werke wieder verlegt worden wäre. Und meines
Wissens ging es in den übrigen spanischsprechenden Ländern
damit nicht besser, während sich beispielsweise das Interesse
an Thomas Mann und seinem Werk hielt und das an Bertolt
Brecht überhaupt erst aufkam. In diesen Dingen mögen Kräfte
am Werk sein, die vernunftmäßig nicht faßbar sind.

So hoch Stefan Zweigs Werk künstlerisch und ethisch auch
einzuschätzen ist, seine Persönlichkeit und sein tragisches

Schicksal verdienen vielleicht doch noch größere Aufmerk¬
samkeit, als ihnen bislang zukam. Dem könnte man aber mit
Mitteln der Kunst eher beizukommen sein als mit denen der
Literaturwissenschaft. Ich habe mit meinen beschiedenen
Kräften dazu den Versuch unternommen, indem ich über sein
Leben einen Roman schrieb.

Alfredo Bauer, Träger des Theodor Kramer Preises für
Schreiben im Widerstand und im Exil 2002, ist Verfasser des
Romans „Der Mann von gestern und die Welt. Ein biographi¬
scher Roman um Stefan Zweig“ (Wien: Edition Atelier 1993;
zuerst spanisch 1990), woraus er für den Komponisten
Christoph Cech das Libretto der Kammeroper „Aus allen
Blüten Bitternis“ (Uraufführung Wien 1996) entwickelte.

Am 22. Februar 1942 schied Stefan Zweig gemeinsam mit sei¬
ner Frau Lotte im brasilianischen Städtchen Petröpolis bei Rio
de Janeiro freiwillig aus dem Leben. In seinem Briefwechsel
(1932-42) mit seinen brasilianischen Verleger Abrahäo Koo¬
gan, der im Zweig-Nachlaß der Nationalbibliothek in Rio de
Janeiro zugänglich ist, äußerte Zweig immer wieder die Erwar¬
tung, einige Zeit fern von Krieg und Krisen leben zu können.'

Seine letzten Jahre in Salzburg bis 1934 waren durch zwei
diametral entgegengesetzte Entwicklungen gekennzeichnet:
Während sein schriftstellerischer Erfolg und seine Popularität
in den zwanziger Jahren ständig zunahmen, mehrten sich auf
der persönlichen Seite nervöse Depression und das Gefühl, im¬
mer nur zu funktionieren statt zu produzieren.

Durch die politischen Veränderungen wurde diese Spannung
noch gesteigert. Nachdem Zweig die Wahlerfolge der National¬
sozialisten im September 1930 anfangs bagatellisiert und als
„natürliche und durchaus zu bejahende Revolte der Jugend ge¬
gen die hohe Politik“ abgetan hatte, wurden ihm bald danach
die allgemeinen und persönlichen Konsequenzen dieser Ent¬
wicklung klar.” Am 26. April 1933 erschien auch Zweigs Name
auf der ersten „schwarzen Liste“ der Nationalsozialisten; wenig
später wurden auch seine Bücher demonstrativ verbrannt. Nach
einer mit den Februarkämpfen in Österreich zusammenhängen¬
den Durchsuchung seines Hauses in Salzburg, Kapuzinerberg 5,
durch die Salzburger Polizei (vermutlich am 18. Februar 1934)
entschloß sich Zweig, seinen Wohnsitz von Salzburg nach
London zu verlegen, wo er sich bislang nur für Studien zu sei¬
nem Erasmus-Buch aufgehalten hatte. Dies bedeutete die
Trennung von seiner ersten Frau Friderike, die in Salzburg
blieb. Zweigs Leben befand sich im Umbruch. Wenn seine letz¬
ten Werke wie „Begegnung mit Menschen, Büchern, Städten“
und „Magellan. Der Mann und seine Tat“ auch den Eindruck
des weltmännisch-überlegenen, unabhängigen Schriftstellers
vermitteln, verbarg sich dahinter doch ein entwurzelter, ver¬
zweifelter Mensch: „Emigration bedingt eine Verschiebung des
Gleichgewichts ...; das führt dann epidemisch zu seelischen
Verstörungen.‘® Auch Zweigs Roman „Ungeduld des Herzens‘
reflektiert diese Unruhe mehr als daß er sie bewältigt.

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Nach dem Kriegsausbruch im September 1939 sahen sich
Stefan und Lotte Zweig als „feindliche Ausländer B“ einge¬
stuft, die zwar nicht sofort interniert wurden, wohl aber damit
zu rechnen hatten. Auf seinen englischen Paß mußte Zweig bis
zum 12. März 1940 warten, Lotte erhielt ihn einige Tage spä¬
ter. In England sah Zweig keine Chance zum Bleiben? und
suchte einen neuen Aufenthaltsort.

,J ai quitté l’ Angleterre avant quelque temps et comme j’ai
un voyage en Amérique du Sud devant moi je peux enfin réa¬
liser ma promesse et venir pour quelques semaines au Brésil
pour finir ce livre sur le Brésil que je projectais 4 mon premier
séjour (j’irai aprés au Chile et dans des autres pays avant de
rentrer). J’ai une sorte de nostalgie de voir votre admirable
pays qui a la chance d’étre loin de la guerre et de nos terribles
crises“, schrieb Zweig im Juli 1940 aus New York an Koogan.
Was als Vortragsreise geplant war, sollte sich als zweite
Emigration erweisen. Stefan und Lotte Zweig blieben in
Brasilien, aber es war eine Flucht, die nicht Zuflucht wurde.

Anmerkungen

1 Vgl. B. Blum: Flucht ohne Zuflucht: Stefan Zweigs Suche nach
der verlorenen Welt der Sicherheit im Spiegel seiner Briefe an seinen
brasilianischen Verleger Abrahäo Koogan. Seminar 29:3 (September
1993).

2 Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. München:
Nymphenburger 1969.

3 Hildemar Holl, Klaus Zelewitz: Hausdurchsuchung 1934: Versuch
einer Dokumentation über Stefan Zweigs Abschied von Österreich.
In: Heinz Lunzer, Gerhard Renner (Hg.): Stefan Zweig 1881/1981.
Aufsätze und Dokumente. Wien 1981, 77-95.

4 St. Zweig: Begegnungen mit Menschen, Büchern, Städten. Wien,
Zürich 1937.

5 St. Zweig: Magellan. Der Mann und seine Tat. Wien, Zürich 1937.
6 St. Zweig: Briefe an Freunde. Hg. von Richard Friedenthal. Frank¬
furt/M. 1984, 317f.

7 St. Zweig: Ungeduld des Herzens. Stockholm, Amsterdam 1939.
8 St. Zweig, Stefan: Tagebiicher. Hg. von Knut Beck. Frankfurt/M.
1984, 451-473.