— trotz mehrfacher Einladung — an einer Ta¬
gung der Gruppe 47 teilgenommen.
Wenngleich dieser zutiefst kränkende Auftritt
auch den literarischen Durchbruch des
Lyrikers markierte — im gleichen Jahr er¬
schien der Band Mohn und Gedächtnis — und
Celan in den 60iger Jahren zunehmend Aner¬
kennung, ja Ruhm erntet, so mehren sich zu¬
gleich politische Enttäuschungen und Ver¬
letzungen. Kritiker, ehemalige Nazi-Mit¬
läufer, sprachen Celans Gedichten den
Wirklichkeitsgehalt ab und verleugneten da¬
durch indirekt die Shoah; ein offener Affront
gegen alles was Celan am eigenen Leib er¬
fahren hatte, gegen seine gesamte Existenz.
1956 folgte dann der Eklat um den Film
Nacht und Nebel von Alain Resnais über die
NS-Vernichtungslager. Celan hatte damals
den Filmtext ins Deutsch übertragen, eine für
ihn bedeutende, aufwühlende Arbeit. Als der
Film 1956 schließlich bei den Filmfestspielen
von Cannes gezeigt werden sollte, wurde im
Namen der Bundesregierung Beschwerde
eingelegt, weil dadurch „Haß gegen das
deutsche Volk in seiner Gesamtheit“! erzeugt
werde. Die französische Regierung strich dar¬
auf hin den Film aus dem Programm.
Enttäuschend für Celan, dies ist in den
Briefen zu entnehmen, verlief wohl auch die
Begegnung mit Martin Heidegger: Weshalb
der Lyriker sich auf diescs Treffen überhaupt
eingelassen hatte, erfährt man aber nicht.
Schließlich kannte Celan nicht nur Hei¬
deggers Schriften, sondern wußte auch über
dessen Engagement für die Nazis genau
Bescheid, wußte, daß der Philosoph bis zu¬
letzt Hitler die Treue gehalten hatte. Noch
1959 hatte er sich dem von Heidegger
geäußerten Wunsch, einen Beitrag zur
Festschrift anläßlich seines 70. Geburtstages
zu schreiben, widersetzt. Und als drei Jahre
später die Zeitschrift Muttersprache er¬
scheint, schreibt Gisele verärgert an ihren
Mann: „Zitate auch von Heidegger. Was soll
man davon halten? Dieser so schmutzige
Name, der von Dir spricht, von Deiner Mut¬
tersprache, Gedichte über Deine Mutter zi¬
tiert. Das tut mir weh. Wie wagt er daran zu
rühren?“ Zur Begegnung schließlich kommt
es 1967, anläßlich einer Lesung in Freiburg,
der ein außergewöhnlicher Erfolg beschieden
ist. Am zweiten August berichtet Celan seiner
Frau von mehr als 1200 Personen, die ins
Audi-Max der Universität gekommen waren,
um ihm „eine Stunde lang mit angehaltenem
Atem“ zu lauschen, ein erstaunlicher Erfolg
für einen Lyriker. Im Publikum, gleich in der
ersten Reihe: Martin Heidegger. „Heidegger
war auf mich zugekommen“, schreibt Celan,
„Am Tag bin ich ... in Heideggers Hütte im
Schwarzwald gewesen. Dann kam es im Auto
zu einem ernsten Gespräch, bei dem ich kla¬
re Worte gebraucht habe ... Ich hoffe, daß
Heidegger zur Feder greifen und einige
Seiten schreiben wird, die sich auf das Ge¬
spräch beziehen und angesichts des wieder
aufkommenden Nazismus auch eine War¬
nung sein werden ...“', eine Hoffnung, die
sich freilich nie erfüllte. Unmißverständlich
sind jedenfalls die wenigen Zeilen, die Celan
in einer ersten Fassung des Gedichtes Todt¬
nauberg kurz nach der Begegnung zu Papier
brachte: „Seit ein Gespräch wir sind,/ an dem/
wir würgen,/ an dem ich würge,/ das mich/
aus mir hinausstieß,/ dreimal, viermal.‘ ?
Der Briefwechsel weist Celan aber auch als
jemanden aus, der sich der Gefahren des
Nationalismus und linken Antisemitismus zu
einer Zeit bewußt ist, als sich deutsche und
österreichische Linke in der Tradition der
Arbeiterbewegung zwar intensiv mit der Ver¬
folgung deutscher und österreichischer
Antifaschisten auseinander zusetzen began¬
nen, nicht aber mit der Verschleppung und
Ermordung von Millionen europäischen
Juden. Die unabdingbare Notwendigkeit ei¬
nes eigenen Staates für Juden als einzige
Stätte der Zuflucht für die vom Antise¬
mitismus Verfolgten, die Besonderheit Israels
also, wurde damals ebenso wenig begriffen
wie heute. „Der Waffenstillstand ist da— Gott
sei dank“'* kommentiert Celan anläßlich des
Sechstagekriegs die Ereignisse im Nahen
Osten, und wenig später heißt es „,.. möge
der Frieden dort [in Israel, R.G.] Einzug hal¬
ten, fiir immer.“ '* Merkwiirdig mutet eine
Passage von 1968 an, als Celan sich in
London aufhält: „Fried — mit dem ich eine
schr offene, sehr fruchtbare (wie ich glaube)
Auseinandersetzung über Israel, das Juden¬
tum, den Antisemitismus (einschließlich den
von links) gehabt habe.‘ Darüber möchte
man gerne mehr erfahren, zumal Fried, der
von den Linken mit Begeisterung rezipiert
wurde, in seinem Buch Höre Israel den
Judenstaat mit dem Dritten Reich verglich,
indem er Juden im Vernichtungslager mit den
Palästinensern in den Flüchtlingslagern
gleichsetzte und dadurch gleichsam zum
„Alibizeuge des linken Antisemitismus ge¬
worden“'° wurde. „Viel Beklemmendes ge¬
schieht, auch zu dieser Stunde in der Welt —
und ich verliers nicht aus den Augen“, schreib
er bereits 1965 an Erich von Kahler, „Wie ich
nicht aus den Augen verliere, was in
Deutschland geschieht ... Linksnationalis¬
mus, ist mir, wie Linksantisemitismus, ver¬
haßt. Solange wir, die wir Juden sind, Juden
zu sein und zu bleiben versuchen, nicht als
Gleichgeborene und Ebenbürtige anerkannt
werden, bleibt alles beim Alten.‘“"’
1962 war Celan durch die von Claire Goll er¬
hobenen Plagiatsvorwürfe und Verleumdun¬
gen und die damit zusammenhängende
Pressekampagne in einen ersten Wahnzustand
geraten. Weitere persönliche und politische
Verletzungen verstärkten diese Entwicklung,
die zunehmend auch seinen Lebenswillen
schwächen. Fünf weitere Krankenhausaufent¬
halte bzw. Zwangsinternierungen folgen, ein
Mordversuch an Gisele sowie ein Selbst¬
mordversuch sind nicht exakt zeitlich zu prä¬
zisieren. Doch selbst als sich das Paar,
bedingt durch Celans Krankheit, bereits ge¬
trennt hatte, setzten sie den Briefwechsel fort,
zumeist ist es Gisele, die immer wieder zur
Feder greift und sich sorgt. Diese Briefe ge¬
hören zu den berührendsten Zeugnissen, si¬
cher auch weil Vieles im Dunkeln bleibt. Je
näher Celans Ende rückt, desto mehr sind es
Gedichte, die er Gisele sendet: so als wäre
ihm die Alltagssprache zunehmend abhanden
gekommen, dichten zu seinem einzigen Aus¬
drucksmittel geworden. „Es wird etwas später
sein“ lautet der Titel seines letzten Gedichtes,
das Celan Gisele zu ihrem 43. Geburtstag
übersendet. Darin heißt es: „Aus dem zer¬
scherbten/ Wahn/ steh ich auf/ und seh meiner
Hand zu,/ wie sie den einen/ einzigen/ Kreis
zieht“.
Paul Celan — Gisele Celan-Lestrange. Brief¬
wechsel. Aus dem Französischen von Eugen
Helme, Hg. und kommentiert von Bertrand
Badiou in Verbindung mit Eric Celan. 2 Bde.
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001. 590, 614 S.
1 Brief an Alfred Margul-Sperber, in: Neue
Literatur 26 (1975) 7, 50-63. Zitiert nach:
Wolfgang Emmerich: Paul Celan. Reinbek
1999, 149.
2 Brief 213.
3 Siehe das Gedicht Huriges Sonst aus
Schneepart, Gesammelte Werke II, 339.
4 Brief 300.
5 Brief 69.
6 Brief 52.
7 Brief 14.
8 Ebd.
9 Milo Dor, zit. nach Briefwechsel, Bd. I
(Kommentarband), 52.
10 Vgl. W. Emmerich, 1999, 107.
11 Brief 536.
12 Bd. II, 325.
13 Brief 518.
14 Brief 517.
15 Brief 603.
16 Doron Rabinovici: Schreiben als Affekt.
In: „All right, what’s left.“ Texte des Erich
Fried Symposiums 2001, Zirkular, Sonder¬
nummer 58, 115.
17 Brief an Erich von Kahler, den Celan ei¬
nem Schreiben an Gis£le beilegte. Der in Prag
geborene von Kahler war deutsch- und eng¬
lischsprachiger amerikanischer Soziologe,
Historiker und Philosoph. Brief 244.
Wahrscheinlich wird der Schwerpunkt von
ZW Nr. 2/2002 in erweiterter und ergänzter
Form im Mai 2003 als eigene Broschüre
publiziert. Auch eine Ausstellung der Fotos
von Lisl Ponger wird vorbereitet.
Kooperationspartner sind die Gebietsbetreu¬
ung Leopoldstadt, Außenstelle Stuwerviertel
(eine Einrichtung der Stadt Wien), der Kul¬
turkreis Mexikoplatz und „Kunst in der
Kapelle“.