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Wiener-Jude-Israeli: Robert
Mosche Fischl

Robert Mosche Fischl wuchs in Wien¬
Währing als Sohn eines Prokuristen in einer
zionistischen Familie auf. 1938 flüchtete die
Familie in die Tschechoslowakei, 1939 mit
einem (vermutlich illegalen) Transport nach
Palästina. Fischl war ein Mitglied der
Jugendbewegung Blau-Weiß. Später enga¬
gierte er sich in der kommunistischen Partei
und bei den Trotzkisten; über die Beweg¬
gründe dazu schreibt er leider nur wenig. Er
arbeitete in einer Schlosserwerkstatt der bri¬
tischen Armee. Nach der israelischen Staats¬
gründung trat er der kleinen und weitgehend
unbekannten Kavallerie der israelischen
Armee bei. 1958 reiste er zum ersten Mal
wieder nach Europa.
Trotz einiger Ungenauigkeiten ist das Buch
wegen seiner Beschreibungen einer jüdi¬
schen Kindheit in Wien und der Einord¬
nungsprobleme in Palästina/lsrael lesenswert.
Die vom Autor erwähnte Direktübertragung
des Kol Nidre Gebets am Abend des höchsten
jüdischen Feiertags Jom Kippur im öster¬
reichischen Rundfunk wäre allerdings allein
aus jüdisch-religiösen Gründen völlig un¬
möglich gewesen.

E.A.

Robert Mosche Fischl: Wiener-Jude-Israeli.
Jüdische Familiengeschichte inÖsterreich und
Israel 1928-1964. Hg. von Erhard Roy Wiehn.
Konstanz: Hartung-Gorre 2002. 116 S.

Barry Turners Klassiker iiber
die Kindertransporte

1938 war die Situation besonders für ärmere,
kinderreiche jüdische Familien fast hoff¬
nungslos — trotz der Bemühungen jüdischer
Hilfsorganisationen und der Quäker. Vom
englischen Parlament ging die Initiative zu ei¬
ner groß angelegte Rettungsaktion für Kinder
zwischen drei und siebzehn Jahren aus.
Jüdische Kinder aus Deutschland, Österreich
und später auch aus der besetzten Tschecho¬
slowakei erhielten die Einreiseerlaubnis nach
Großbritannien.

Enge Zusammenarbeit mit deutschen und bri¬
tischen Behörden wurde notwendig. Die hu¬
manitäre Aufgabe begann, noch ehe sich das
großteils private, nur durch Spenden finan¬
zierte Flüchtlingskomitee über das ungeheu¬
re Ausmaß dieser Hilfsorganisation im Klaren
war. In England erklärten sich jüdische und
christliche Familien, aber auch viele Einzel¬
personen, bereit, elternlose Kinder aufzuneh¬
men. Wohnheime wurden eröffnet, nur
wenige Jugendliche fanden Aufnahme in
Internaten.

Auf Grund authentischer Dokumente, Inter¬
views mit Betroffenen und Helfern zeichnet

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Barry Turener das erschütternde Bild einer
Massenflucht von Kindern. Die Trennung
von insgesamt über 10.000 teilweise noch
sehr kleinen Kindern von ihren Eltern, die,
selber den Tod vor Augen, alles unternahmen,
um wenigstens ihre Lieben in Sicherheit zu
wissen — das alles entsetzt, bleibt unfaßbar.
Ebenso die Tatsache, daß die wenigen, kaum
geschulten Erzieher, ihren Aufgaben nicht
gewachsen waren. So gestalteten sich die
Transporte, aber auch die Eingewöhnung in
neue, oft recht dürftige Umstände, überaus
schwierig. Sprachkenntnisse fehlten, die
Kinder waren isoliert, verzweifelt und dem¬
zufolge schwierig. Pädagogische Hilfen gab
es kaum, ausreichende Schuldbildung und jü¬
dischen Religionsunterricht nur in wenigen
Fällen. Ein besonderes Problem stellte die
medizinische Versorgung dar, so daß Kälte,
Krankheiten, Mangelernährung und psychi¬
sche Not die Situation der Kinder oft bis zur
Unerträglichkeit steigerte. Trotzdem sind die
Leistungen der freiwilligen Helfer von da¬
mals nicht hoch genug einzuschätzen.
Anerkennenswert sind die umfangreichen
Recherchen des engagierten Autors Barry
Turner. Durch die realistische, trockene Dar¬
stellungsart der Ereignisse wird dieses wich¬
tige Buch zu einem Zeitdokument von
seltener Eindringlichkeit.

Rosemarie Schulak

Barry Turner: Kindertransport. Eine beispiel¬
lose Rettungsaktion. Mit einem Vorwort von
Lucie Kaye. Aus dem Englischen von Anna
Kaiser. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag
2001. 262 S. Euro 8,64

„Etwas Besseres als den Tod“
Filmexil in Hollywood

Hollywood wurde zum Ziel zahlreicher ins
Exil getriebener Filmleute. Helmut G. Asper
hat darüber ein Buch der besonderen Qualität
vorgelegt. Obwohl es vom Verfasser nicht als
Geschichte oder Lexikon des Filmexils in
Hollywood konzipiert ist, kann man es den¬
noch als umfassendes Kompendium verwen¬
den, so vielfältig sind die darin behandelten
Themen. Es ist aber noch anderes: ein ein¬
fühlsames Lesebuch über Menschen vom
Film, die aus Hitlerdeutschland flüchten
mußten und in Hollywood darum kämpften,
wieder in ihren Beruf zu kommen, eine
Sammlung aufschlußreicher, oft schwer zu¬
gänglicher Dokumente — Artikel, Briefe,
Treatments, Rechnungen —, und eine Dar¬
stellung wichtiger Exilfilme, ihrer Entste¬
hung, ihrer Handlung, ihrer Rezeption.

Die Beschäftigung mit der Geschichte des
Films folgt oft den Namen von Regisseuren
und Schauspielern, das entspricht zwar der
öffentlichen Präsentation, nicht jedoch der
Produktionswirklichkeit. Helmut G. Asper
berücksichtigt in seiner Darstellung die ver¬

schiedenen Filmberufe, neben den Regisseu¬
ren und Schauspielern sind eigene Abschnitte
beispielsweise den Filmtechnikern, Kamera¬
leuten und Cuttern, den Filmarchitekten, den
Drehbuchautoren, den Choreographen und
den Filmkomponisten gewidmet. Das Film¬
exil, so zeigt der Autor, war bis auf wenige
Ausnahmen Teil der jüdischen Emigration,
und es war international, denn vor den Nazis
flohen Filmleute aus vielen Ländern, zu ihnen
gehörten Filmschaffende „aus Österreich,
der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und
auch Flüchtlinge aus der Sowjetunion, die seit
Jahren in der deutschen Filmindustrie arbei¬
teten.“ (20f.).

„Film und Exil“ ist eine Thematik, die in
manchem anders zu fassen ist, als etwa die
Exilliteratur, am ehesten noch in einer gewis¬
sen — oft auch personellen — Parallele zum
Exiltheater, was allerdings so häufig leider
noch nicht geschehen ist. Asper führt die
Bestimmung von „Exilfilm“ durch Jan¬
Christopher Horak an, dieser versteht darun¬
ter einen Film, der in mindestens zwei
Schlüsselpositionen (Regisseur, Drehbuch¬
autor oder Produzent) von Exilanten geprägt
wurde. Das ist einsichtig und nützlich, umfaßt
aber natürlich noch nicht die gesamte Tätig¬
keit der geflüchteten Filmleute in einem ar¬
beitsteilig organisierten Genre. Daher spricht
Asper vom „Filmexil“, das alle mit dem Film
in Verbindung zu bringenden Exilierten
einschließt, und kann somit ohne Ein¬
schränkung die Lebenswege der geflüchteten
Filmleute zeichnen.

Das Buch ist keine Sammlung von Erfolgs¬
Stories, denn sogar dort, wo schließlich die
Mitarbeit an bedeutenden Filmen gelang,
stand mit dem Eintritt ins Hollywooder Exil
zunächst oft die Arbeitslosigkeit, und der
Sturz aus dem Erfolgskarussel war gerade für
Exilanten besonders leicht möglich. Daher
finden sich auch Portraits von Personen, die
in Hollywood keine Wege mehr zur
Filmarbeit fanden oder in andere, weniger an¬
gesehene, Filmberufe ausweichen mußten.
Das sind sehr tragische Geschichten, wie die
von Curt Courant, einem der bedeutendsten
Kameramänner des deutschen Stummfilms,
der noch im französischen und englischen
Exil sehr erfolgreich tätig sein konnte, dann
aber in Hollywood nicht in die Kameraleute¬
Gewerkschaft aufgenommen wurde, was
praktisch einem Berufsverbot gleichkam.
Manchmal werden die Geschichten von den
Betroffenen selbst auf komische Weise er¬
zählt, wie die Schwejkiaden und Maskeraden
von Albrecht Joseph. Der Drehbuchautor
Albrecht Joseph konnte sich nach verschie¬
denen Jobs in der Brotfabrik, als Werkzeug¬
macher oder als Sekretär und Rechercheur für
prominente Schriftsteller mit viel List und
Geduld in den Beruf des Film-Cutters ein¬
schmuggeln.

Ein besonderes Augenmerk gilt der Mit¬
wirkung von Exilanten in den Anti-Nazi-Fil¬
men Hollywoods. Helmut G. Asper hat dabei
viel Unbekanntes entdeckt, auch beim schein¬